Das Fettsäuremolekül PIP2 öffnet und schließt das α-Actinin-Muskelprotein und steuert somit dessen Fähigkeit, Actin und Titin zu binden. Kann das α-Actinin nicht mehr PIP2 binden, können sich keine Sarkomere mehr bilden und der Muskel wird funktionsunfähig: Erkrankungen sind die Folge.
„Sarkomere bestehen zum größten Teil aus Proteinsträngen, sogenannten Filamenten, von Actin und Myosin. Damit ein Muskel sich verkürzen – also kontrahieren – kann, müssen sich diese Filamente gegeneinander verschieben können und in festen Ebenen, den Z-Scheiben, verankert sein. Z-Scheiben bestehen zum Großteil aus dem Protein α-Actinin, welches auch das Protein Titin verankert. Titin ist dafür verantwortlich, dass die Actin- und Myosinfilamente eines Sarkomers korrekt angeordnet sind, und stellt nach getaner Muskelarbeit die ursprüngliche Länge des Sarkomers wieder her“, erklärt Strukturbiologin Kristina Djinović-Carugo.
α-Actinin ist ein lebenswichtiges Protein – Embryonen, die es nicht herstellen können, sterben. Wird α-Actinin zwar gebildet, funktioniert es aber nicht richtig, sind Muskelerkrankungen wie Muskeldystrophien und Kardiomyopathien die Folge. Mit dem Wissen über die genaue Struktur und Funktionsweise von α-Actinin und Muskeln ließe sich nicht nur die Rolle von fehlerhaften, also mutierten α-Actinin-Formen in Erkrankungen besser verstehen, sondern auch die Diagnose erleichtern. Schlussendlich könnte das die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten unterstützen. Djinović-Carugo erklärt: „Mithilfe einer Technik namens Röntgenkristallographie haben wir die Struktur von α-Actinin aufgeklärt. Wir haben Jahre gebraucht, um genügend große Mengen hochwertigen Proteins zu produzieren und geeignete Kristalle für unsere Analysen herzustellen.“ Schließlich gelang es den Forschern, die Struktur von α-Actinin in hoher Auflösung aufzuklären und in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Mathias Gautel vom „British Heart Foundation Centre of Research Excellenz“ am King’s College London (KCL) auch zu zeigen, wie das Protein reguliert wird. Oberflächenstruktur des α-Actinin-Dimers vor dem Hintergrund einer elektronenmikroskopischen Aufnahme von Muskel-Sarkomeren. © Mathias Gautel und Andrea Ghisleni, KCL, Nikos Pinotsis und Kristina Djinović-Carugo, MFPL
Die Strukturaufklärung zeigte, dass α-Actinin einen symmetrischen Komplex bestehend aus zwei Molekülen bildet. Jedes dieser Moleküle hat einen Kopf, Hals und stabförmigen Körper, der vier zick-zack-artig angeordneten Fusilli-Nudeln ähnelt. Der Kopf von α-Actinin bindet Actin, während zwei L-förmige Domänen am Ende des Körpers mit der Halsregion des anderen Moleküls wechselwirken. Die Ergebnisse zeigten auch, dass die Gesamtstruktur mehr ist als nur die Summe ihrer Teile: Die genau entgegengesetzte Anordnung zweier α-Actinin-Moleküle erlaubt nicht nur die gleichzeitige Wechselwirkung mit Actin und Titin und deren Verankerung in der Z-Scheibe, sondern ermöglicht auch diese Wechselwirkung zu regulieren. Detailstruktur des α-Actinin Dimers. Der Kopf ist rot hervorgehoben, die Halsregion ist gelb eingefärbt, und die L-förmigen Domänen sind in lila und blau dargestellt. © Kristina Djinović-Carugo, MFPL
„Es gab schon seit einigen Jahren die Hypothese, dass die Wechselwirkung zwischen α-Actinin und Titin durch ein Fettsäuremolekül namens PIP2 ein- und ausgeschaltet wird. Unsere Strukturdaten haben nun zum ersten Mal gezeigt, wie die Fettsäure das α-Actinin-Muskelprotein öffnet und schließt und so seine Fähigkeit, Actin und Titin zu binden, steuert“, erläutert Djinović-Carugo. Ist kein PIP2-Molekül gebunden, wechselwirkt eine der beiden L-förmigen α-Actinin-Domänen mit dem Hals des entgegengesetzt liegenden Moleküls, welcher strukturell Titin stark ähnelt. Ist PIP2 vorhanden, löst sich die L-förmige Domäne vom Hals und wechselwirkt stattdessen mit Titin. Die Dynamik von α-Actinin und seiner Wechselwirkung mit PIP2 klärte das Team in Zusammenarbeit mit Katharina Pirker (Universität für Bodenkultur Wien) und Bojan Žagrović (MFPL) auf. Die Forscher um Gautel veränderten α-Actinin zudem so, dass es kein PIP2 mehr binden konnte oder so blockiert war, dass die Wechselwirkung mit Titin nicht mehr gelöst werden kann. Diese Resultate zeigten, dass sich in beiden Fällen keine geordneten Sarkomere mehr bilden konnten; so ein Muskel wäre funktionsunfähig.
„Unsere Ergebnisse liefern neue Einblicke in den molekularen Aufbau und Funktionsweise eines Muskels. Das wird helfen Muskelerkrankungen besser zu verstehen und Behandlungsmöglichkeiten für diese zu entwickeln“, so Djinović-Carugo. Originalpublikation: The Structure and Regulation of Human Muscle α-Actinin Kristina Djinović-Carugo et al.; Cell, doi: 10.1016/j.cell.2014.10.056; 2014