Gesunde Neuronen können nach einem Schlaganfall die Aufgaben geschädigter Areale übernehmen. Ein zweiter Weg ist die Neubildung, die auch durch Astrozyten induziert wird, wie eine aktuelle Studie belegt. Sie öffnet die Tür für neuro-regenerative Therapien.
Etwa 80 Prozent aller Schlaganfälle gehen auf den Verschluss eines gehirnversorgenden Gefäßes zurück, die restlichen 20 Prozent resultieren aus einer Gehirnblutung. Wenn das Gehirn schlagartig nicht mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird, sterben Gehirnzellen ab. Je nachdem, welche Hirnregion davon betroffen ist, kann es zu teils schwerwiegenden motorischen, sensorischen und kognitiven Beeinträchtigungen des Patienten kommen. Wissenschaftler der Lund Universität und des Karolinska Instituts in Stockholm, Schweden, konnten nun erstmals an Mäusen zeigen, dass eine bestimmte Art von Nervenzellen – die Astrozyten – in der Lage sind, die Bildung neuer Nervenzellen anzuregen. Ihre Studie veröffentlichten sie im Fachmagazin Science.
Bereits vor zehn Jahren hatten die Wissenschaftler herausgefunden, dass der menschliche Körper nach einem Schlaganfall neue Nervenzellen bildet und zwar ausgehend von den neuronalen Stammzellen des erwachsenen Gehirns aus. Auch ihre aktuelle Arbeit zeigt, dass das menschliche Gehirn alle Hebel in Bewegung setzt, um defekte Bereiche zu reparieren. Dabei spielen offenbar auch die Astrozyten eine wichtige Rolle.
Die meist sternförmigen Astrozyten gehören zu den Gliazellen. „Bisher gibt es keine eindeutige Definition von Astrozyten“, schreibt das Glia-Netzwerk des Max-Delbrück Zentrums in Berlin auf seiner Webseite. Astroglia seien bezüglich ihrer Morphologie und ihrer Funktion eine sehr heterogene Population von Zellen. „Astrozyten sind eigentlich die Zellpopulation im Gehirn, die übrigbleibt, wenn man Neurone, Oligodendrozyten und Mikroglia abzieht“, heißt es auf der Webseite. Doch genau diese schwammig definierte Gruppe von Zellen könnte für Schlaganfallpatienten von großer Bedeutung sein. Denn die schwedischen Forscher haben eine besondere, bisher nicht bekannte Fähigkeit der Zellen entdeckt: Im Mausmodell waren Astrozyten nach einem künstlich herbeigeführten Schlaganfall in der Lage, sich im Bereich der geschädigten Hirnareale in neue Nervenzellen umzuwandeln. Mit Hilfe genetischer Methoden konnten die Forscher zeigen, dass Astrozyten in diesem Bereich zunächst unreife Nervenzellen ausbilden, die sich dann zu reifen Nervenzellen entwickeln. Auch den molekularbiologischen Signalmechanismus dazu konnten die Wissenschaftler aufklären – und noch mehr: In einem gesunden Gehirn verhindert ein dauerhaft aktiver Signalweg, dass sich aus Astrozyten neue Nervenzellen bilden.
Ein Schlaganfall in Mäusen sorgt dafür, dass der Signalweg unterbrochen wird. Dann haben die Astrozyten freie Bahn bei der Produktion neuer Nervenzellen, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Publikation. Besonders praktisch dabei: Astrozyten lassen sich offenbar auch austricksen. „Interessanterweise haben Astrozyten auch bei Mäusen, die keinen Schlaganfall erlitten hatten, neue Nervenzellen produziert, wenn wir den Signalweg blockiert haben“, berichtete Studienautor Zaal Kokaia. „Wie es aussieht, lässt sich die Herstellung neuer Nervenzellen nicht nur durch einen Schlaganfall induzieren. Der Mechanismus lässt sich möglicherweise auch bei anderen Erkrankungen des Gehirns einsetzen, wenn es darum geht, beschädigte oder zerstörte Nervenzellen zu ersetzen“, so Kokaia weiter.
Weitere Untersuchungen der Wissenschaftler zeigten, dass die neu gebildeten Nervenzellen synaptische Kontakte zu den anderen Zellen ausbildeten – eine wichtige Voraussetzung für den Austausch neuronaler Transmitter. Ob diese neu gebildeten Neuronen aber tatsächlich funktionell sind und inwiefern sie an der spontanen Regeneration, die bei den meisten Versuchstieren und Patienten nach einem Schlaganfall zu beobachten ist, beteiligt sind, müssen weitere Versuche erst noch zeigen. Denn auch nicht geschädigte Neuronen können nach einem Schlaganfall die Funktion der geschädigten Nervenzellen – zumindest teilweise – übernehmen.
„Als nächstes müssen wir prüfen, ob sich auch menschliche Astrozyten nach einem Schlaganfall oder anderen hirnschädigenden Prozessen in Nervenzellen umwandeln“, so Neurologieprofessor und Studienleiter Olle Lindvall. Ist das der Fall, gäbe es neben der Neubildung von Nervenzellen im Striatum eine weitere Möglichkeit des erwachsenen, menschlichen Gehirns, geschädigte Bereiche zu reparieren. „Unsere aktuellen Daten lassen vermuten, dass einige der im Striatum gebildeten, neuen Nervenzellen von Astrozyten abstammen könnten“, so Lindvall weiter. „Sollten wir den Mechanismus auch im menschlichen Gehirn vorfinden und diesen dort verstärken können, hätten wir ein wirksames Mittel für Schlaganfallpatienten und Menschen mit anderen Erkrankungen in der Hand, bei denen Nervenzellen absterben“ Denkbar wären dabei auch Therapieansätze für Erkrankungen wie Parkinson oder Chorea Huntington.