Ich finde nach wie vor keinen einzigen Grund, warum die STIKO eine Influenza-Impfung nicht für alle Menschen empfiehlt. Ja, auch für Kinder. Ein Rant.
Man könnte auch sagen – wir impfen einfach alle. Die STIKO sagt nämlich nicht, dass man nicht einfach alle impfen sollte. Die STIKO sagt aber eben auch nicht: „Impft alle Menschen gegen Influenza.“ Andere Länder sehen das übrigens aus gutem Grund anders. „Wir empfehlen eine Impfung bei X und Y“ wird in Deutschland als „Wir empfehlen sie nicht bei Z“ verstanden. Was so natürlich nicht stimmt, aber in der Praxis so interpretiert wird. Keine STIKO-Empfehlung bedeutet in der Regel keine Kostenübernahme und damit eben keine Durchführung.
Ich finde also weiterhin keine einzige sinnvolle Begründung, warum man nicht alle bzw. so viele Menschen wie möglich gegen Influenza impfen sollte. Völlig egal ob alt oder jung, ob mit oder Vorerkrankungen. Natürlich ist es für bestimmte Menschen besonders sinnvoll, sich impfen zu lassen. Man kann mit entsprechenden Vorerkrankungen nämlich sogar an Influenza sterben. Aber darum geht es gar nicht. Auch ganz ohne Tod ist eine echte Grippe sehr lästig und vor allem sehr anstrengend – für alle Beteiligten. Und das sind bei Kindern nun mal vor allem die Eltern.
„Zu teuer“ kann jedenfalls schon mal nicht als Argument zählen, denn wenn man die Kosten für die Impfung den Kosten für den Ausfall von Arbeitskraft direkt (durch eine AU) und indirekt (durch Kindkrank-Tage) gegenüberstellt, geht das sehr eindeutig aus. Es gibt einfach keinen rationalen Grund, Kindern eine Influenzaimpfung zu verwehren. Es gibt zwar ein paar parawissenschaftliche oder esoterische Spinnereien, aber auf so einen wissenschaftlich widerlegbaren Unfug würde die STIKO doch nicht hören, oder? ODER?
Es geht aber noch um etwas anderes. Influenzaviren lösen nicht nur Fieber aus, sondern auch: Diabetes.
Gucken wir uns mal die Evidenz an. Und da ist ungefähr seit den 1970er Jahren bekannt, dass eine Influenzainfektion im Verdacht steht, Typ-1-Diabetes auszulösen. Keine ganz so geile Krankheit mit miesen Langzeitschäden, um es mal zeitgemäß euphemistisch auszudrücken. Ein Zusammenhang zwischen einer Influenzainfektion und dem Neuauftreten einer Diabetes-Erkrankung wurde in den Jahren danach oft beschrieben. An Mäusen konnte gezeigt werden, dass Influenzaviren die Insulinsignalkaskade beeinflussen. Aber dann müsste eine Infektion mit Influenza ja auch zu einer messbar höheren Zahl an Neuerkrankungen mit Diabetes führen! Tut sie auch. Hat man zeigen können. Zum Beispiel in Japan oder auch in Italien.
Wenn es da aber doch einen relevanten Zusammenhang gibt und man die Erkrankung durch eine Impfung sehr effektiv verhindern kann, warum impfen wir die Kinder dann nicht gegen Influenza? Zum Beispiel weil esoterische, parawissenschaftliche Gruppen behaupten, wenn das Virus Diabetes auslöst, tut es die Impfung vielleicht auch. Also hat man auch das untersucht und konnte eindeutig und mehrfach zeigen, dass eine Impfung gegen Influenza kein Risiko für eine Erkrankung mit Diabetes darstellt. Zum Beispiel hier, hier und hier.
Wenn also die Infektion Diabetes auslösen kann, eine Impfung aber nicht und sogar eine Infektion verhindert – ja, warum impfen wir dann nicht alle Kinder regelmäßig gegen Influenza? Ich verstehe es nicht. Weil es teuer und aufwändig wäre? Das stimmt natürlich. Der Impfstoff kostet, die Impfung kostet auch ein bisschen was. Unterm Strich ist das aber mit Sicherheit billiger als ein paar Kindkrank-Tage und der dadurch entstehende Ausfall an Arbeitskraft.
Und dann wären da eigentlich noch die sauteuren Hustensäfte, aber die sind ja zum Glück gerade nicht lieferbar, also spart man sich das und so müssen die Kinder jetzt eben ohne Schmerzmittel da durch. Was sie nicht tötet, macht sie härter, oder so. Und für die paar, die dann eben Diabetes kriegen, naja, für die gibt es bestimmt kindgerechte Aufkleber von Elsa oder Cars für die Insulinpens.
Ich wiederhole mich: Vieles erscheint mir wie ein Irrsinn, den ich unter erwachsenen Menschen im Jahr 2022 nicht für möglich gehalten hätte.
Bildquelle: Mufid Majnun, unsplash