Lange hat sich Hermann Gröhe (CDU) dagegen gewehrt, die „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Jetzt macht Europa Druck – und der Gesundheitsminister versucht, Land zu gewinnen. Apotheker hat er schon vor den Kopf gestoßen.
Ein Dauerbrenner: Seit Jahren streiten Koalition und Opposition im Bundestag, ob orale Notfallkontrazeptiva aus der Rezeptpflicht entlassen werden oder nicht. Christdemokraten und Christsoziale sind dagegen, während die Grünen und die Linkspartei für niedrigschwellige Möglichkeiten der Abgabe stark machen. Bleiben noch die Sozialdemokraten. Eigentlich befürworten auch sie einen OTC-Switch. In den letzten Monaten setzten SPD-Politiker jedoch alles daran, unbequeme Entscheidungen zu verzögern.
Bei der kontroversen Debatte hat Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, klargestellt, Apotheker seien „Personen, die Beratungssituationen vollumfänglich und professionell gestalten“. Und Mechthild Rawert (SPD) ergänzte: „Es kann nicht sein, dass das, was in 79 Staaten – in den meisten europäischen Staaten – längst medizinischer und pharmakologischer Alltag ist, uns hier in Deutschland verwehrt wird.“ Für Emmi Zeulner (CSU) war die Sache nicht so klar: „Eine Beratung kann nachts am Apothekenfenster oder durch ein kurzes Onlinevideo meiner Ansicht nach nicht gewährleistet werden und entspricht nicht den Bedürfnissen der Betroffenen.“ Sie fordert weiterhin direkte Arzt-Patienten-Kontakte und will Online-Rezepte via DrEd unterbinden. Mit dem Heilmittelwerberecht befasste sich Karin Maag (CDU): „Ich möchte nicht erleben, dass im Kino, Fernsehen oder am Bahnhof für die Pille danach geworben wird.“ Nach erfolgreichem OTC-Switch hätten Firmen die Möglichkeit, Patientinnen über Laienmedien direkt anzusprechen. SPD-Vertreter sahen nach dieser Kontroverse „weiteren Beratungsbedarf“ und legten das Vorhaben auf Eis. Einmal mehr landete der Antrag zur „Pille danach“ im Gesundheitsausschuss. „Also scheint wohl der Beratungsbedarf eher an Ihrem Koalitionsgefängnis zu liegen“, monierte Cornelia Möhring von der Linken. Auf wissenschaftliche Fragen gingen Politiker aller Couleur kaum ein.
Genau hier schwelt ein Konflikt zwischen Behörden und Heilberuflern. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte Levonorgestrel beziehungsweise Ulipristal unabhängig vom Körpergewicht als „zuverlässig“ eingestuft – trotz mehrerer Veröffentlichungen. So schreibt Anna Glasier, Edinburgh, adipöse Frauen würden trotz Notfallkontrazeption drei Mal häufiger schwanger als Probandinnen einer durchschnittlichen Vergleichsgruppe. Levonorgestrel verlor mit steigendem BMI stärker an Wirkung als Ulipristal. HRA Pharma reagierte auf entsprechende Daten mit einem Warnhinweis und änderte sogar Beipackzettel. Ein Hinweis, dass das Präparat ab 75 Kilogramm Körpergewicht vielleicht nicht ausreichend wirkt, kam hinzu. Und weiter: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker nach alternativen Methoden der Notfallverhütung.“ Trotz dieser Sachlage halten EMA-Experten beide Wirkstoffe für geeignet; die Datenlage sei „zu eingeschränkt“ und „nicht robust“, schreiben Behördenvertreter. Sie berufen sich auf eine Metaanalyse mit Frauen asiatischer und afrikanischer Herkunft. Bei WHO-Arbeiten aus 1998, 2002 und 2010 trat keine signifikante Verschlechterung der Wirkung mit zunehmendem Körpergewicht auf. Grund genug für die EMA, sich jetzt gegen eine Rezeptpflicht von Ulipristal-haltigen Notfallkontrazeptiva auszusprechen. Die Einschätzung europäischer Arzneimittelwächter hat weitreichende Konsequenzen. Sollte die EU-Kommission entsprechenden Empfehlungen folgen, was als sehr wahrscheinlich gilt, muss Deutschland nachziehen und ellaOne® (Ulipristal) aus der Rezeptpflicht entlassen. Das Präparat wurde in 2009 EU-weit zugelassen. Ein Rx-Switch betrifft alle Mitgliedsstaaten. Bei der preisgünstigeren und besser untersuchten PiDaNa® (Levonorgestrel) entscheidet jedes Land individuell.
Zurück nach Berlin. „Wir werden die Empfehlungen des EU-Arzneimittelausschusses genau prüfen und die EU-Entscheidungsfindung weiter verfolgen“, so Hermann Gröhe. „Unser Ziel ist es, auch weiterhin eine gute Beratung für beide Präparate aus einer Hand sicherzustellen“ – ein klarer Kurswechsel. Apotheker sind jedenfalls bereit. „Ohne Rezeptplicht könnten wir unseren Patientinnen noch schneller weiterhelfen. In den wohnortnahen Apotheken mit ihrem niedrigschwelligen und flächendeckenden Nacht- und Notdienst erhalten Frauen die ‚Pille danach‘ umgehend“, stellt Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, klar. „Selbstverständlich beraten wir die Patientinnen auch bei rezeptfreien Notfallverhütungsmitteln so, dass eine größtmögliche Arzneimittelsicherheit gewährleistet ist.“ Diese Einschätzung teilt Gröhe nur bedingt. Er will „die Frauenärzte, die Apotheken und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dazu einladen, gemeinsam Kriterien für eine qualitativ hochwertige Beratung zu entwickeln“.