Der Umgang mit psychisch erkrankten Straftätern steht immer wieder in der Kritik. Die DGPPN untersuchte nun erstmals systematisch die Versorgungslage im deutschen Maßregelvollzug – mit ernüchternden Ergebnissen.
Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gefährlicher als psychisch gesunde Menschen. Bei einzelnen Diagnosen kann es aber – insbesondere im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch – vermehrt zu aggressivem Verhalten und Straftaten kommen. Die Täter werden, je nach Kontext und Schwere der Tat, in Akutpsychiatrien, in Justizvollzugsanstalten oder im Maßregelvollzug behandelt.
Prof. Thomas Pollmächer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), erklärt: „Wenn ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung tatsächlich eine Straftat begeht, ist für die Konsequenz entscheidend, welche Rolle die Erkrankung für die Tat gespielt hat. Hat sie die Tat ausgelöst? Hat sie beeinflusst, ob sich der Täter des Unrechts der Tat bewusst war? Oder steht die Erkrankung in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Straftat?“
Gibt es keinen Zusammenhang, verbüßen die Täter eine etwaige Gefängnisstrafe in der Regel in einer Justizvollzugsanstalt. Wird ein Täter aufgrund seiner Erkrankung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig eingestuft, kann er in einem psychiatrischen Krankenhaus des Maßregelvollzugs sofern von ihm weiterhin eine Gefahr ausgeht. Diese Unterbringung dient zum einen der Behandlung der Erkrankung, aber auch der dem Schutz Dritter.
Für die Öffentlichkeit sind die Umstände der Straftaten und ihre rechtlichen Folgen nicht immer leicht nachvollziehbar; sie unterliegen häufig Fehlinterpretationen. Eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie aufgrund von Schuldunfähigkeit wird dann mitunter als unzureichende Bestrafung betrachtet. Werden entlassene Sexualstraftäter rückfällig, wird dies nicht selten dem Maßregelvollzug angekreidet. Andererseits wird der Forensik auch vorgeworfen, Patienten nach nicht ersichtlichen Kriterien unangemessen lange „wegzusperren”.
Tatsächlich lagen bisher zur Situation des Maßregelvollzugs in Deutschland kaum öffentlich zugängliche Daten vor. Die DGPPN hat deshalb unter Federführung des Referats „Forensische Psychiatrie“ eine Umfrage unter den 78 deutschen Kliniken für Maßregelvollzug durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einem Symposium auf dem DGPPN Kongress vorgestellt. Eine Veröffentlichung im Fachblatt Der Nervenarzt ist in Vorbereitung.
Die Ergebnisse der Umfrage sind ernüchternd: Der Großteil der Kliniken, die sich an der Umfrage beteiligt haben, beklagt eine deutliche Überbelegung – nicht zuletzt aufgrund steigender Patientenzahlen. Zu wenig Personal und mangelhafte Räumlichkeiten verhindern, dass Patienten eine optimale Behandlung erhalten. Mehr als jeder vierte Patient ist länger als zehn Jahre im Maßregelvollzug untergebracht. Ein Drittel der Kliniken berichtet eine steigende Zahl an körperlichen Übergriffen durch Patienten.
„Zu viele Patienten, zu wenig Ressourcen. Unter den derzeitigen Umständen ist es trotz des enormen Engagements der Mitarbeiter sehr schwer geworden, den gesetzlichen Auftrag der Kliniken für den Maßregelvollzug dauerhaft sach- und fachgerecht zu erfüllen“, fasst Prof. Jürgen Müller, Leiter des zuständigen DGPPN-Referats, die Ergebnisse der Umfrage zusammen. „Wir brauchen dringend eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Grundlagen über die Bundesländer hinweg, eine Reform des Maßregelrechts, eine auskömmliche Finanzierung und eine bundesweite Erfassung der Daten zu Unterbringung und Behandlung.“
Auch in den Gefängnissen leidet die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen unter mangelnden Ressourcen. Prof. Johannes Fuß, Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum Essen führt aus: „In Deutschland sitzen derzeit etwa 45.000 Personen in Justizvollzuganstalten ein. Schätzungen zu Folge leiden bis zu 88 % dieser Personen unter einer oder mehreren psychischen Erkrankungen. Genaue Zahlen zu den Häufigkeiten psychischer Erkrankungen unter JVA-Insassen fehlen aber.“
Unabhängige Berichte gäben Hinweise darauf, dass die psychiatrische Versorgung in vielen JVAs unzureichend ist. Es werde von mangelnden Behandlungen, von langen Einzel-Unterbringungen oder auch Fixierungen berichtet. „Die Ursachen sind vielfältig: Häufig gibt es keine psychiatrischen Aufnahmeuntersuchungen, so dass Erkrankungen und entsprechend auch der Behandlungsbedarf unerkannt bleiben. Zudem gibt es vielfach zu wenig psychiatrisch-psychotherapeutisches Personal in den Justizvollzugsanstalten.“
Allerdings ist man für die Beurteilung der Lage hier derzeit noch von unsystematischen Einzelberichten abhängig. Deshalb plant die DGPPN auch zur Situation von psychisch kranken Straftätern in Justizvollzugsanstalten eine Umfrage, um auf Basis wissenschaftlich fundierter Informationen Reformvorschläge für eine verbesserte Behandlung machen zu können.
Pollmächer resümiert: „Am besten wäre es natürlich, wenn es erst gar nicht zu Straftaten oder in der Folge zur Unterbringung kommen müsste. Dafür brauchen wir eine deutliche Stärkung der Prävention, einen Wiederaufbau der Vernetzung mit der Allgemein- und Gemeindepsychiatrie und eine Stärkung supportiver und nachbetreuender Einrichtungen.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
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