Der November war Awareness-Monat für personalisierte Medizin. Auf Initiative der European Cancer Patient Coalition sollen in diesem Monat die Themen Testung und neue Behandlungsoptionen für Krebspatient:innen thematisiert werden – ganz unter dem Motto „Cracking the Cancer Code“.
Zur personalisierten Medizin passend fand auf dem diesjährigen Deutschen Krebskongress, dem DKK 2022, 13. bis 16. November in Berlin, ein Roche Satellitensymposium statt. Im Fokus stand dieses Mal das Thema Evidenz der Zukunft: Welche innovativen Ansätze werden in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass dringend benötigte Daten zur personalisierten Onkologie zur Verfügung stehen werden? Hier fassen wir die wichtigsten Aspekte aus den Vorträgen für Sie zusammen.
Zum Einstieg in das komplexe Thema gab Chair Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe Martens, Heilbronn, einen Überblick über den aktuellen Stand der personalisierten Medizin in der Onkologie. Erfreulich ist, dass Zahl der Zulassungen von entitätsspezifischen und tumoragnostischen Medikamenten in den letzten Jahren zugenommen hat. Parallel dazu empfehlen onkologische Leitlinien, wie z. B. die der ESMO, immer mehr Testungen auf therapierbare molekulare Marker.
„Onkologie war in den letzten Jahren atemberaubend.“(Prof. Martens, DKK 2022)
Doch was sollte sich in Zukunft ändern, damit mehr Patient:innen mit zielgerichteten Wirkstoffen behandelt werden können? Wie sollte mit der zunehmenden Komplexität der verfügbaren Daten und Therapieoptionen umgegangen werden?
Prof. Martens war sich sicher, dass die Onkologie an einer Zeitenwende steht und dass neue Formen der Evidenzgenerierung erforderlich sind, um die Personalisierung weiter voranzutreiben. Daten aus dem Behandlungsalltag werden bei dieser Transformation eine immer bedeutendere Rolle spielen, sagte der Experte.
Im anschließenden Vortrag stellte Prof. Dr. Alwin Krämer, Heidelberg, aktuelle Studienkonzepte zum CUP-Syndrom vor. Von einem CUP-Syndrom (Cancer of Unknown Primary) wird gesprochen, wenn bei Patient:innen histologisch gesicherte Metastasen vorliegen, ein Primärtumor trotz intensiver Suche jedoch nicht lokalisiert werden kann. Etwa 3-5 % aller Krebsfälle fallen darunter, und rund 80-85 % der Betroffenen haben eine schlechte Prognose und erhalten eine (meist platinbasierte) Chemotherapie oder Best Supportiv Care.1-4
Da auch beim CUP-Syndrom molekulare Treiber am Werk sein können, sind neue Studiendaten essenziell, um auch diesen Patient:innen eine zielgerichtete Therapie mit der Aussicht auf längeres Überleben anbieten zu können. Ein moderner Ansatz wird z. B. mit der CUPISCO-Studie verfolgt, in die CUP-Patient:innen mit ungünstiger Prognose und ohne Vortherapie eingeschlossen werden. Bei allen Patient:innen wird eine Genanalyse mit einem breiten Sequenzierungspanel durchgeführt.5 Dabei kommen FoundationOne® CDx und FoundationOne® Liquid CDx zum Einsatz, mit deren Hilfe zahlreiche molekulare Marker auf der Basis von Gewebe- bzw. Blutproben identifiziert werden können.
Die 630 eingeschlossenen Studienteilnehmer:innen erhalten zunächst drei Zyklen Platindublette und im Anschluss eine markerbasierte, zielgerichtete Behandlung oder weitere drei Zyklen Chemo (Randomisierung 3:1). Die Stratifizierung erfolgt nach vorhandenen Markern.5 Erste Ergebnisse werden für 2023 erwartet. Bereits jetzt sind wichtige Erfahrungen aus der Studie zu Differentialdiagnose beim CUP-Syndrom in aktuelle ESMO-Guidelines eingeflossen, wusste Prof. Krämer zu berichten.6
Erste retrospektive Kohortenanalysen des MASTER-Programms zeigen bereits jetzt, dass CUP-Patient:innen von zielgerichteter Therapie profitieren können.7 Die prospektive CUPISCO-Studie werde dazu weitere wertvolle Erkenntnisse beisteuern und idealerweise zeigen, welche CUP-Subgruppen von welcher Therapie besonders profitieren, war sich der Referent sicher.
Unter den molekularen Treibern von Krebs befinden sich auch wahre „Exoten“ – seltene Mutationen, die weniger als 100 Fälle pro Jahr in Deutschland ausmachen. Um diese ging es im nächsten Vortrag von Prof. Dr. Martin Schuler aus Essen. Als ein Beispiel dafür nannte er seltene EGFR Exon 20-Mutationen beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC).
Das Problem: Es gibt nicht genügend Patient: innen, um mit klassischen klinischen Studien aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Gleichzeitig bieten Studien oft den einzigen Rahmen, in dem zielgerichtete Wirkstoffe außerhalb ihrer Zulassung eingesetzt werden können. Hier müssen also ebenfalls alternative Evidenzmodelle her!
Eine Möglichkeit kann sein, Real-World-Daten als „künstliche Kontrollarme“ mit in eine Studie einzubeziehen.8 Um ausreichende Daten für solche Ansätze zu erhalten, plädierte der Experte für eine umfassende Biomarkerdiagnostik und Sequenzierung mit einem breiten Panel, damit auch seltene Alterationen identifiziert und in solchen Studien beurteilt werden können.
Um Forschung und Therapie miteinander zu verbinden, könnten evidenzgenerierende Behandlungssysteme wie die TAPISTRY-Studie nützlich sein. Das Design des TAPISTRY-Registers ist adaptiv – es können also im zeitlichen Verlauf weitere Kohorten geöffnet oder bestehende geschlossen werden.9 Derartige multizentrische Plattform-Studien könnten wegweisend sein, um auch Patient:innen mit seltenen Treiberalterationen angemessen behandeln und gleichzeitig Erkenntnisse gewinnen zu können, so Prof. Schuler.
Zum Abschluss des Symposiums unterstrich auch Prof. Martens die zukünftige Bedeutung von Real-World-Daten. Eines der Stichworte hierzu ist Big Data, also große Datenmengen, die z. B. im klinischen Behandlungsalltag bei NGS-Analysen anfallen – aber in weiten Teilen noch nicht für die Evidenzgewinnung analysiert werden. Darin schlummert ein regelrechter Datenschatz für Patient:innen, Behandler:innen und auch alle weiteren Beteiligten des Gesundheitssystems.
Ein neues Konzept bietet hierzu die WAYFIND-R-Studie, ein international vernetztes Krebsregister, das neue Real-World-Erkenntnisse zur zielgerichteten Therapie generieren soll. Ein Vorteil einer solchen Plattform ist, dass weltweit Daten eingespeist werden, die dann lokal zur Auswertung und Prüfung von Forschungshypothesen verwendet werden können. Eingeschlossen werden können Patient:innen mit soliden Tumoren jedes Stadiums, bei denen eine NGS-Analyse durchgeführt wurde.10,11
Über ein Dashboard erhalten Behandler:innen auf Antrag Zugriff. WAYFIND-R soll so als Online-Forschungs-Portal dienen und zukünftig Sequenz-, klinische und epidemiologische Daten von ≥ 15.000 Patient:innen enthalten, die sich zur Studienteilnahme bereiterklären.11
„Wir brauchen ein kollaboratives Mindset.“(Prof. Martens, DKK 2022)
Das WAYFIND-R-System bietet Interoperabilität mit verschiedenen Datenbanken.11 Weltweit unterschiedliche Standards bei Diagnostik und molekularer Testung sind jedoch herausfordernd. Hier seien gemeinsame Anstrengungen erforderlich, um die notwendige Datenqualität zu erhalten, berichtete Prof. Martens.
Real-World-Daten werden zukünftig an Bedeutung zunehmen und zur Weiterentwicklung der personalisierten Medizin beitragen. Erste innovative Konzepte zur Evidenzgewinnung laufen bereits und bringen Forschung und Versorgung weiter voran.
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