Haben Patienten tatsächlich Schwierigkeiten, an Feiertagen oder Wochenenden dringend benötigte Arzneimittel zu bekommen? In Baden-Württemberg sehen ärztliche Standesvertreter Versorgungslücken – und würden nur allzu gerne selbst Präparate abgeben.
Seit Menschengedenken streiten Heilberufler über das Dispensierrecht: Um 1820 verklagten drei Apotheker den Arzt Samuel Hahnemann (1755 bis 1843), da er selbst homöopathische Medikamente herstellte und abgab. Schließlich kam es zu einem Kompromiss: Hahnemann durfte in Notfällen und in schlecht versorgten ländlichen Gegenden selbst aktiv werden. Nach knapp 200 Jahren hat das Thema nichts von seiner Brisanz verloren.
Gesundheitspolitiker sind ebenfalls mit von der Partie. So forderte Biggi Bender von den Grünen in 2012, Ärzte sollten im Bereitschaftsdienst Arzneimittel abgeben. Für die notwendige Ausstattung in Form eines ominösen „Arzneimittelkoffers“ hätten wiederum Apotheker zu sorgen. Patientenorganisationen schlossen sich an – speziell hinsichtlich der Versorgung von Schmerzpatienten. In Teilen hatten sie Erfolg: Seit der Vierten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung können Ärzte ambulanten Patienten BtMs abgeben, die in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zu finden sind. Voraussetzung ist, dass der Bedarf zur Akutversorgung ohne sofortige Abgabe nicht ausreichend gedeckt werden könnte, argumentiert das Bundesministerium für Gesundheit. Apotheker kritisierten vielfach einen „dehnbaren Begriff“.
Jetzt werden Standesvertreter der Ärzteschaft aus Süddeutschland aktiv. Dr. Norbert Metke, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, fordert vom Gesetzgeber das eingeschränkte Dispensierrecht für seinen Beruf. Konkret sollen Patienten außerhalb üblicher Ladenöffnungszeiten von Medizinern Arzneimittel erhalten, um die Zeit bis zum nächsten Werktag zu überbrücken. Entsprechende Sonderregelungen wünscht sich Metke für Wochenenden und für Feiertage. Er begründet seine Initiative mit vermeintlichen Versorgungslücken während des Notdienstes. Man könne Patienten nach einem ärztlichen Hausbesuch nicht per Taxis bis zur nächsten Apotheke schicken, sagte der Standesvertreter. Auch seien Apotheken oft zu weit von Notfallpraxen, die sich häufig an Kliniken befänden, entfernt. Repräsentanten der Krankenhäuser schlagen in eine ähnliche Kerbe.
Pharmazeuten konterten umgehend und publikumswirksam. Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten sagte Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg: „Apotheker sind durch ihr Pharmaziestudium die Arzneimittelexperten. Ärzte sind für die Diagnose zuständig. Diese Aufteilung ist sinnvoll.“ Er weist darauf hin, jeder zweite Betroffene bekäme ohnehin direkt pharmazeutische Beratung. „Diese Patienten gehen gar nicht erst zum Arzt, sie gehen in die nächstgelegene Apotheke. Das zeigt doch, dass wir durchgehend gut erreichbar sind.“ Mediziner lassen nicht locker. Sie wollen Apothekern eine Liste mit Notfallpraxen zur Verfügung stellen, um zu sehen, wo sich die nächste dienstbereite Apotheke befindet. Politiker kennen das Problem nur allzu gut. Sie haben in ihrem Referentenentwurf zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) eine bessere Abstimmung apothekerlicher und ärztlicher Notdienste vorgesehen. Entsprechende Passagen bleiben jedoch sehr allgemein – die Rede ist von einem „Informationsaustausch zwischen den KVen und den für die Einteilung der Apotheken zur Dienstbereitschaft im Notdienst zuständigen Behörden (Landesapothekerkammern)“.
Doch geht es in der Sache wirklich um Patienten? Das erscheint fraglich, sobald Kollegen an den letzten Apothekertag denken. Damals hatte Ex-KBV-Chef Dr. Andreas Köhler „einen riesigen Konflikt“ proklamiert, sollten Pharmazeuten in ihrem Perspektivpapier „Apotheke 2030“ nicht stärker auf Ärzte eingehen. Mediziner könnten eine Kannibalisierung durch Pharmazeuten wittern – und zum Gegenschlag ausholen. Genau das ist möglicherweise passiert.