Ein Gendefekt im DNAJC3-Protein führt zu einem Chaperon-Mangel. Die Beta-Zellen und verschiedene Nervenzellen sind davon betroffen. Auch kommt es zu einer Atrophie des Kleinhirns. Diabetes mellitus und neurodegenerative Erkrankungen sind die Folge.
Forscherteams um Prof. Dr. Ludger Schöls vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen sowie Dr. Holger Prokisch vom Helmholtz Zentrum München und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, hatten von einer Familie erfahren, in der drei von vier Kindern unter einem frühbeginnenden Diabetes litten. Alle drei waren zudem seit frühen Jahren schwerhörig. Sie litten auch unter Gangstörungen und hatten Probleme bei zielgerichteten Bewegungen.
Um den verantwortlichen Genfehler zu finden, entschlüsselten die Forscher das Exom von zwei der drei Geschwister. Beide Geschwister wiesen eine Mutation im DNAJC3-Gen auf. „Das Gen wurde bereits vorher in Mausmodellen mit Diabetes in Verbindung gebracht, aber niemand wusste, was es beim Menschen verursacht“, berichtet Prokisch. „Die Entfernung des Gens in sogenannten Knockout-Mäusen führt zum Untergang der Beta-Zellen, die in der Bauchspeicheldrüse Insulin produzieren“, erklärt der Letztautor weiter. Das DNAJC3-Gen enthält die Information für ein Chaperon-Eiweiß. Dies sind Eiweiße, die neu hergestellten Proteinen bei der Faltung helfen und den Abbau fehlgefalteter Proteine unterstützen. Die Mutation, die die Forscher auch bei dem dritten erkrankten Geschwisterkind entdeckten, führt zum Ausfall des Chaperons DNAJC3. Aufgrund einer sogenannten loss-of-function-Mutation wird nur ein verkürztes und für die Zelle wertloses DNAJC3-Protein gebildet.
„Da das DNAJC3-Protein an der korrekten Faltung einer Vielzahl von Proteinen beteiligt ist, sind die Folgen gravierend“, erläutert Dr. Matthis Synofzik. Betroffen waren nicht nur die Insulin produzierende Zellen in der Bauchspeicheldrüse, sondern auch verschiedene Typen von Nervenzellen. Die Kernspintomografie zeigte vor allem eine Atrophie des Kleinhirns. „Das erklärt die Gangstörungen und die Ataxie“, so Synofzik, Erstautor der Studie. Er nimmt an, dass auch das Großhirn betroffen ist, da die Betroffenen Schwierigkeiten bei Rechenaufgaben hatten. Eine verminderte Nervenleitgeschwindigkeit zeigte, dass nicht nur das Zentralnervensystem, sondern auch die Nerven an Armen und Beinen Schäden aufwiesen. Alle Betroffenen waren auffallend klein für ihr Alter. Das legt nahe, dass auch Wachstumsstörungen zum Krankheitsbild gehören.
Um herauszufinden, ob es sich um einen Einzelfall handelt, recherchierten die Forscher in der „Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation“, einer Datenbank mit 226.194 Diabetespatienten in Deutschland. Dort fanden sie 35 Patienten mit einem ähnlichen Krankheitsbild, von denen acht zu einer Gen-Analyse bereit waren. Bei einem wurde ebenfalls ein Defekt im DNAJC3-Gen gefunden. Es handelte sich aber nicht um eine Punktmutation wie in der ersten Familie, sondern um eine Deletion, bei der ganze Abschnitte des Gens verloren gegangen sind. Weitere Recherchen ergaben, dass die Schwester ebenfalls erkrankt war und dieselbe Deletion aufwies. Die Eltern der Geschwister waren Cousin und Cousine ersten Grades, also ebenfalls blutsverwandt.
Warum die Mutation „nur“ in der Bauchspeicheldrüse und im Gehirn zum Zelluntergang führt, ist bisher unklar. Bindegewebszellen der Haut waren unauffällig, obwohl auch hier das DNAJC3-Protein fehlte. Die neu entdeckte Genmutation hat laut Synofzik eine Ähnlichkeit zum Wolfram Sydrom 1. Auch hier führt der verantwortliche Gendefekt nach heutigen Erkenntnissen zu einer Störung in der Proteinproduktion. Der Defekt im DNAJC3-Gen solle zukünftig als wichtiges Modell für die Erforschung der gemeinsamen Ursache von Diabetes und Neurodegeneration dienen. Originalpublikation: Absence of BiP Co-chaperone DNAJC3 Causes Diabetes Mellitus and Multisystemic Neurodegeneration Matthis Synofzik et al.; American Journal of Human Genetics, doi: 10.1016/j.ajhg.2014.10.013; 2014