Fast alle Mediziner habens noch falsch gerlernt: Das sternförmige Pentamer der IgM-Antikörper schien ein Beweis dafür, dass die Natur schlichte Eleganz und tiefe Symmetrie liebt. Pustekuchen.
Immunglobulin M (IgM) stellt als Antikörper einen elementaren Bestandteil unseres unspezifischen Immunsystems dar.
IgMs zählen zu den natürlichen Antikörpern. Das heißt, sie werden auch gebildet, ohne dass zuvor ein Kontakt mit Antigenen stattgefunden hat. Sie kommen entsprechend bereits bei Neugeborenen vor und sind ebenfalls im Blut von keimfrei gehaltenen Mäusen nachweisbar.
Wie andere Antikörper, besteht IgM aus vier Polypeptidketten, zwei leichten und zwei schweren. Verbunden über Disulfidbrücken, bilden sie ein Y-förmiges Gesamtmolekül. IgM-Antikörper lagern sich weiter zu Polymeren zusammen, die ebenfalls durch Disulfidbrücken verknüpft sind.
Struktur eines IgM-Monomers (links) und Homopentamers (rechts)
An den variablen Enden des Y befinden sich die identischen Antigenbindungsstellen:
Was IgM von anderen Antikörpern unterscheidet, ist seine Neigung, in löslicher Form Pentamere zu bilden. Jedes Immunologielehrbuch, jede Pathophysiologie-Vorlesung kennt sie, die elegant anmutenden Darstellungen von IgM, bei denen fünf IgM-Monomere eine Art Weihnachtsstern bildern, der sich visuell vorteilhaft abhebt von den eher schnöden Ypsilons der IgG-Liga. Beim Menschen liegt IgM zu rund 75 % als ein solches Homopentamer vor, das durch eine J-Kette (für engl. joining) stabilisiert wird. Daneben kommen Homohexamere (rund 25 %) und vereinzelt Monomere vor.
Mittlerweile ist klar, dass es mit der eleganten Punktsymmetrie der IgM-Pentamere leider doch nicht so weit her ist. Breit durchgesetzt hat sich das neue Wissen um die IgM-Struktur freilich noch nicht, zu hübsch sind die alten Bilder. Dabei sind kryoelektronenmikroskopische Aufnahmen, wenn sie denn mit modernsten Geräten erzeugt werden, eindeutig: Das IgM Pentamer ist kein flacher Stern, sondern wirkt dreidimesional eher wie eine Art Pilz.
Vor allem sind die Fc-Fragmente der Monomere, die über die J-Kette verknüpft und durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind, nicht schön regelmäßig um das J-Ketten-Zentrum herum angesiedelt. Das IgM-Pentamer ist vielmehr komplett schief: Zwischen zwei der fünf Monomere klafft eine 50 Grad große Lücke.
Als die Wissenschaftler sich das noch etwas genauer angesehen haben, fanden sie zu ihrem Erstaunen ein bis dahin an dieser Stelle nicht bekanntes Serum-Protein, den „Apoptosis Inhibitor Expressed by Macrophages“ (AIM/CD5L). Mit anderen Worten: Das elegante Immunologie-Wunder IgM-Pentamer jobbt im Nebenberuf als schnödes Transportprotein.
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Bildquelle: Soheb Zaidi, Unsplash