Ein schwammiger Begriff, gerade bei Medizinern: Was verbirgt sich hinter dem Zervikalsyndrom, auch bekannt als HWS-Syndrom? DocCheck hat einen Blick in die Leitlinie „Nackenschmerzen“ geworfen und gibt einen Überblick für die Praxis. Wo handelt es sich um harmlose Missempfindungen? Wann stehen mitunter gefährliche Grunderkrankungen im Fokus?
Nackensteife, Beschwerden im Schulterbereich, Kopfschmerzen oder Gefühlsstörungen in den Armen und Händen: Bei diesen unspezifischen Beschwerden sprechen Ärzte vom Zervikalsyndrom (HWS-Syndrom). Je nach Verlauf unterscheiden sie akute oder chronische Formen. Nicht immer stecken schwerwiegende Erkrankungen hinter entsprechenden Missempfindungen. Details sind in der DEGAM-S3-Leitlinie „Nackenschmerzen“ zu finden. Die Autoren führen als Synonyme Zervikalneuralgie, HWS-Syndrom, Zervikozephales Syndrom, Zervikobrachialsyndrom und Zervikalsyndrom an. Neurologische Ausfälle, Traumata, maligne Erkrankungen in der Vorgeschichte sowie Osteoporose gelten als Hinweise auf einen gefährlichen Verlauf – hier stehen Grunderkrankungen im Fokus. Fehlen Hinweise auf derartige Leiden, hilft nur ein multimodales Konzept.
Autoren des Papiers sehen es als vorrangiges Ziel, Patienten zu mobilisieren. Bei akuten Beschwerden verschreiben Ärzte Paracetamol beziehungsweise NSAR, damit sich Betroffene möglichst bald wieder bewegen und ihren täglichen Erledigungen nachgehen können. „Aufgrund der ausgesprochen dünnen Evidenzlage zur oralen Medikation bei Nackenschmerzen schlagen wir vor, sich am Stufenschema der WHO zu orientieren“, heißt es weiter. Gerade bei älteren Patienten werden gastrointestinale beziehungsweise kardiovaskuläre Vorerkrankungen zum Problem. Eingeschränkte Nierenfunktionen machen die Sache nicht leichter. Sofern Kontraindikationen für NSAR vorliegen, kann Paracetamol mit einem schwach wirksamen Opioid kombiniert werden – zum Preis von Obstipation, Übelkeit und Benommenheit. Tetrazepam wies im Vergleich zu Diazepam durchaus positive Effekte bei akuten Beschwerden auf. Für Cyclobenzaprin, Phenobarbital, Fluoxetin, Amitriptylin, Melatonin, Gabapentin, Pregabalin oder für das Botulinumtoxin gab es keine Hinweise auf erwünschte Effekte. Bei Schmerzintensitäten von mindestens vier Punkten auf einer Skala mit zehn Werten lohnt es sich, an eine Injektionstherapie zu denken. Ärzte greifen zu ähnlichen Mitteln, sollten Schmerzen chronifizieren. Zum Einsatz kommen kristalloide Glukokortikoide, Lokalanästhetika und Natriumchlorid. Bei der zervikalen Spinalnervenanalgesie bringen Mediziner ein Lokalanästhetikum an das Gelenk und an die Nervenwurzel. Bleibt als weitere Option die zervikale epidurale Injektion unter Bildwandlerkontrolle.
Damit ist es nicht getan. Bei subakuten und chronischen Nackenschmerzen empfehlen Ärzte Krankengymnastik plus manuelle Therapie. „Es handelt sich hierbei – im Gegensatz zu klassischer Massagetherapie – um einen nachhaltigen Effekt, der durchschnittlich mindestens drei Monate anhält“, so die Bewertung. Maßnahmen zur reinen Verbesserung des Bewegungsumfangs sind generell nicht empfehlenswert. Anwendungen im Rahmen der manuellen Medizin beziehungsweise Chirotherapie führten in Kombination mit Physiotherapien zu Schmerzreduktion. Gleichzeitig konnten Patienten ihren Alltagsaktivitäten besser nachgehen. Ob die Kombination tatsächlich wirksamer ist als Physiotherapie alleine, lässt sich momentan nicht sagen. Zervikale Manipulationen gehen mit deutlich höheren Komplikationsraten einher; meistens nahmen die Schmerzen zu.
Noch ein Blick auf vermeintliche Alternativen: Immer wieder fragen Patienten ihren Arzt, ob es Phytopharmaka zur Schmerztherapie gibt. Derzeit fehlen methodisch hochwertige Studien. Betroffene können einen Versuch mit Beinwellextrakten zur lokalen Anwendung wagen. Extrakte aus dem Cayennepfeffer gelten aufgrund von Capsaicin als weitere Option. Salben enthalten auch Zubereitungen aus der Teufelskrallenwurzel beziehungsweise der Weidenrinde. Wunder sollten Patienten jedoch nicht erwarten. Zum Wert der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson gibt es beim Zervikalsyndrom keine ausreichende Evidenz. Der Nutzen von Elektrotherapien ist ebenfalls nicht belegbar. Akupunktur kann eine Therapieoption bei Patienten mit chronischen Nackenschmerzen sein, obwohl unklar ist, wie lange der Effekt wirklich anhält. Zu Massagen als Monotherapie lassen sich keine Aussagen treffen, schreiben die Autoren in ihrer Leitlinie. Eher selten setzen Kollegen beim Zervikalsyndrom Radonkuren ein. Das radioaktive Edelgas Radon-222 bildet sich in Bergwerksstollen beim Zerfall von Radium-226. Über die Atemluft gelangt es in unseren Körper und löst dort biochemische Prozesse aus. Antiinflammatorische Effekte gehen wahrscheinlich auf Moleküle wie TGF-beta (Transforming Growth Factor beta) zurück; Details sind noch nicht bekannt. Dem gegenüber stehen erhöhte Risiken für Lungenkrebs – laut LNT-Modell (linear, no threshold) gibt es für die Strahlenexposition keinen Schwellenwert. Momentan stehen Ärzten weitaus besser untersuchte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie warten mit Spannung auf die neue Leitlinie.