Trifft Omikron auf ein SARS-CoV-naives Immunsystem, dann hat es Spaß. In China gab es angeblich ein Superspreader-Event im Park: Ein Jogger soll in einer halben Stunde 39 Menschen infiziert haben.
Wahr oder nicht? Das ist hier die Frage. In China nehmen die Widerstände in der Bevölkerung gegen die Zero-COVID-Politik zu. Parallel dazu haben Mitarbeiter der chinesischen Gesundheitsbehörde jetzt eine neue Veröffentlichung vorgelegt, in der sie über die Ergebnisse eines Kontakt-Tracings berichten. Der Ausbruch, um den es geht, ereignete sich im August 2022 in Chongqing. China ist bekanntlich einer der wenigen Orte der Erde, wo es noch einen hohen Anteil Menschen gibt, die noch nicht mit SARS-CoV-2 in Kontakt waren.
Patient Zero, so der Bericht in China CDC Weekly, wurde am 16. August positiv getestet. Die Chinesen vermuten eine Infektion in einem zuvor nicht desinfizierten Flugzeug, in dem der Betreffende am 13. August saß und in dem während eines vorausgegangenen Flugs am Vorabend (!) vier Menschen saßen, die bei Ankunft positiv getestet worden waren. Wir kommen darauf am Ende des Textes noch einmal zurück.
Bleiben wir zunächst bei dem, was die Chinesen berichten. Patient Zero hatte in Chongqing an den dort üblichen PCR-Screenings teilgenommen und war u. a. am 9., 10., 11., 13. und 14. August negativ getestet worden. Am 15. August wurde er abends getestet und am 16. August morgens um 8 Uhr lag das positive Testergebnis vor. Er erfuhr davon unmittelbar nachdem er seine morgendliche Jogging-Runde im Park absolviert hatte.
Mit Hilfe der Aufzeichnungen von Überwachungskameras und mit Hilfe von Tracking-Daten mobiler Geräte seien insgesamt 256 enge Kontakte identifiziert worden, so die Autoren, „eng“ definiert als weniger als einen Meter entfernt. Dazu kamen weitere 20.496 Personen, die als Risikopersonen eingestuft wurden, weil sie sich in der Nähe von Patient Zero aufgehalten hatten, ohne dass es einen klaren Beleg für unmittelbare Nähe gab.
Von diesen Kontaktpersonen hätten sich insgesamt 48 Personen infiziert, nachgewiesen mit den Screenings, die in China im Rahmen der Zero-Covid-Politik durchgeführt werden. Bei neun davon fand der Kontakt entweder am Abend vorher oder morgens vor der Jogging-Runde statt, darunter die Frau von Patient Zero, vier Kollegen, zwei Fußmasseurinnen, ein Ober und ein Zufallskontakt. Bei allen anderen 39 kam es demnach während der insgesamt 35 Minuten dauernden Jogging-Runde zum Kontakt. Von diesen 39 hatten im späteren Test 29 exakt dieselbe SARS-CoV-2-Gensequenz wie Patient Zero, bei fünf gab es eine zusätzliche Mutation und bei weiteren fünf erfolgte keine Sequenzierung.
Auf Basis dieser Daten hat sich das Ausbruch-Team etwas genauer mit der Jogging-Route und den Kontaktsituationen beschäftigt. Der Weg war demnach etwa vier Meter breit. Der Jogger betrat den Park von Chongqing durch das Osttor, rannte entgegen dem Uhrzeigersinn zu einem See im Park und umrundete diesen viermal. Windgeschwindigkeit 0,5–3 m/sec, Temperatur deutlich über 30 Grad bei relativer Luftfeuchte von rund 45 %. Im Ganzen hatte Patient Zero während des Joggens 104 Kontakte von weniger als einem Meter Entfernung, die keine Maske trugen. Auch er selbst trug keine Maske.
Insgesamt, so die chinesischen Wissenschaftler, lasse sich aufgrund von Bewegungsdaten bei 13 der Infizierten rekonstruieren, dass sie enge Kontakte waren, sprich in geringer Entfernung am Patient Zero vorbeigelaufen waren. Weitere 20 waren zur fraglichen Zeit zumindest auch am See gewesen. Letztlich legt sich das chinesische Expertenteam fest: Es handele sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Outdoor-Superspreading eines maskenlosen Joggers, der das Virus an überwiegend maskenlose Parkbesucher weitergegeben habe. Dies sei auch deswegen das Wahrscheinlichste, weil es bei den sekundär Infizierten zur fraglichen Zeit keine anderen Kontakte zu Infizierten gegeben habe.
Erwartungsgemäß provoziert dieser Bericht der Chinesen in den sozialen Medien zahlreiche Kommentare, nicht nur massiv in den üblichen Corona-Bubbles, sondern auch bei ausgewiesenen Experten. Immerhin gelten Outdoor-Events aller Art als vergleichsweise Covid-sicher. Es gab allerdings vorher auch schon vereinzelt Berichte über mögliche Übertragungen beim Outdoor-Sport, inklusive Jogging, insofern passt der Bericht zumindest irgendwie ins Bild.
Trotzdem positionieren einige sich glasklar, dass es sich um ein Fake handelt. Darunter ist Prof. Joseph Allen, Public Health Experte an der Harvard Universität. Er weist unter anderem auf das oben erwähnte Intro der Publikation mit der angeblichen Infektion im Flugzeug hin, in dem am Vortag vier Infizierte gesessen haben sollen, die auch noch Tibeter gewesen sein sollen. Das alleine reiche ihm schon für massive Zweifel, so Allen.
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Der Genetiker und Infektionsepidemiologe Prof. Francois Balloux vom University College London äußert sich ebenfalls auf Twitter. Und kommt zu einem anderen Ergebnis: „Ich hatte zunächst Zweifel, aber nach genauer Lektüre glaube ich, dass die Ergebnisse real sind. Das Risiko für Outdoor-Übertragung ist wesentlich geringer als für Indoor-Übertragung, aber es ist nicht null.“
Balloux weist auch darauf hin, dass wir außerhalb Chinas mittlerweile relativ wenige dokumentierte Superspreader-Events sehen – und zwar sowohl Outdoor als auch Indoor, was mit der breiten Immunität zusammenhänge, die die Bevölkerungen der meisten Ländern in den letzten drei Jahren aufgebaut haben. Klar ist in jedem Fall: Die Situation in China mit einer Bevölkerung, die noch kaum Viruskontakt hatte und die bisher nur teilweise und mit einem suboptimalen Impfstoff geimpft ist, lässt sich nicht auf Länder übertragen, in denen Omikron schon die große Mehrheit infiziert hat und in denen durch Impfungen und Infektionen mittlerweile eine vergleichsweise breite Grundimmunität besteht.
Bildquelle: Huckster, Unsplash