Das IQWiG konnte den Zusatznutzen für Nalmefen bei Alkoholabhängigkeit nicht belegen. Die Dossierbewertung ergab, dass die vom Hersteller angeführten Studien wegen der Unterschiede bei Patienten und Behandlungszielen nicht aussagekräftig seien.
Nalmefen (Handelsname Selincro®) ist seit Februar 2013 für Personen mit Alkoholabhängigkeit zugelassen, die akut viel Alkohol trinken, aber keine körperlichen Entzugserscheinungen haben und keinen sofortigen Entzug benötigen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in einer Dossierbewertung überprüft, ob der Wirkstoff bei dieser Patientengruppe gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Zusatznutzen bietet. Einen solchen Zusatznutzen konnten die Untersuchungen nicht belegen: Der Hersteller lege in seinem Dossier ausschließlich Daten für einen indirekten Vergleich mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie Naltrexon vor, die jedoch ungeeignet seien. Patienten und Behandlungsziele unterscheiden sich in sechs von sieben Studien zu Naltrexon grundlegend von denen in den Nalmefen-Studien. In der siebten Studie wurde Naltrexon zeitweise nicht zulassungskonform eingesetzt und für relevante Zeiträume in der Studie fehlen Auswertungen.
Der Wirkstoff Nalmefen kommt für Personen infrage, die ihren akut hohen Alkoholkonsum (ca. drei Flaschen Bier bei Männern, ca. zwei Flaschen Bier bei Frauen) reduzieren möchten, das aber innerhalb von zwei Wochen nicht aus eigenem Antrieb schaffen. Nalmefen beeinflusst die Freisetzung von Botenstoffen im Gehirn und soll so das Verlangen nach Alkohol dämpfen und bei alkoholkranken Männern und Frauen die Trinkmenge verringern. Gemäß Zulassung wird der Wirkstoff mit psychosozialer Unterstützung eingesetzt, beispielsweise kombiniert mit einer Beratung, einer Verhaltens- oder Psychotherapie. Für das Anwendungsgebiet von Nalmefen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Naltrexon als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt. Dabei war die Arzneimittel-Richtlinie zu berücksichtigen, die die Anwendung von Nalmefen bei alkoholkranken Männern und Frauen vorsieht, die zu einer Abstinenztherapie hingeführt werden sollen, aber noch auf einen Therapieplatz warten müssen.
Das IQWiG aber kritisiert: Weil keine direkt vergleichenden Studien von Nalmefen gegenüber Naltrexon vorliegen, führe der Hersteller in seinem Dossier einen adjustierten indirekten Vergleich an. Er schließe insgesamt elf Studien ein, bei denen der Wirkstoff jeweils mit einem Scheinmedikament (Placebo) verglichen wird. Das Placebo diene damit als sogenannter Brückenkomparator. Vier Studien untersuchten die Wirkung von Nalmefen im Vergleich zu Placebo bei Alkoholabhängigen mit dem Ziel, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Der Hersteller legt Auswertungen derjenigen Studienteilnehmer vor, die bis zum Studienstart weiterhin Alkohol auf mindestens hohem Risikoniveau tranken. Diese Patienten entsprechen der Fragestellung und die Daten wären grundsätzlich für einen indirekten Vergleich verwertbar.
Sieben Studien haben die Wirkung von Naltrexon im Vergleich zu Placebo untersucht, in sechs davon waren allerdings Abstinenz und Rückfallprophylaxe die Behandlungsziele. Eingeschlossen waren in diese sechs Studien ausschließlich Patienten, die vor Studienbeginn bereits mehrere Tage abstinent waren, also keinen Alkohol mehr tranken. Der Einwand: Diese Patienten entsprechen allerdings nicht der Fragestellung für die Nutzenbewertung, die nun gerade Patienten betrachtet, die akut auf einem hohen Risikoniveau Alkohol trinken. Ein Vergleich der Nalmefen-Patienten, die akut einen hohen Alkoholkonsum haben, mit den bereits abstinenten Naltrexon-Patienten sei auch mit Blick auf Outcomes wie eine Änderung des Trinkverhaltens nicht sinnvoll interpretierbar. So liefern diese Studien keine geeigneten Daten für den indirekten Vergleich von Nalmefen mit Naltrexon. Die siebte Naltrexon-Studie sei nicht relevant, weil der Wirkstoff nicht über den gesamten Studienzeitraum zulassungsgemäß angewendet wurde und keine geeigneten Ergebnisse vorliegen. Da aus den sieben Naltrexon-Studien keine geeigneten Daten für den indirekten Vergleich vorliegen, lautet das Fazit des IQWiG: Ein Zusatznutzen für Nalmefen ist nicht belegt.