Sprüche wie diese müssen sich Pfleger häufig anhören. Doch professionelle Pflege ist mehr als nur „Arschabwischen“ oder „Füttern“. Warum ist das so vielen immer noch nicht klar?
Würde man eine Umfrage zum Thema Pflege machen, in der man zufällige Passanten auf der Straße fragt, ob sie in der Pflege arbeiten könnten oder es getan haben, würden genau zwei Antworten am häufigsten vorkommen: „Pflege? Nein, so etwas kann ich nicht!“ oder „Pflegen kann doch jeder!“
Professionelle Pflege ist mehr als das. Genau deswegen möchten Pflegepersonen sich organisieren und von Verbänden und Pflegekammern vertreten werden. Die professionelle Pflege ist mehr als das schlechte Bild, das im Umlauf ist. Aber fangen wir vorne an: Woher kommen diese Unterschiede in der Wahrnehmung?
Zuallererst ist es ein sprachliches Problem: Pflege ist ein Synonym für Fürsorge. Wir benutzen es sehr häufig in unserem Sprachgebrauch. Die Gartenpflege, der pflegeleichte Waschgang oder das Pflegeset, um ein paar Beispiele zu nennen. Viele Dinge gehören zur Pflege oder müssen gepflegt werden. Die Pflege des Menschen ist aber weit mehr als nur ein Produkt oder eine Tätigkeit. „Die Pflege ist kein Beruf, es ist eine Berufung!“ Sicherlich schon einmal gehört, oder? Und obwohl es eine plumpe Redensart ist, steckt doch etwas Wahres dahinter. Die Pflege am Menschen ist weit mehr, als nur das „Kümmern“ oder „Betreuen“ einer Person – es ist ein medizinischer Fachberuf.
Zum falschen Sprachgebrauch gesellt sich die oftmals die schlichte Vorstellung von pflegerischen Arbeitsgebieten: Das „Arschabwischen“ oder „Füttern“ von Personen – Pflege wird auf die negativ assoziierten Tätigkeiten beschränkt, oftmals mit abwertenden Begriffen, die das nochmals unterstreichen. Pflege ist verpönt und unangenehm, man möchte wegsehen.
Vor allem das Pflegeheim hat selten einen guten Ruf, im Gegenteil: Ältere Menschen haben Angst davor, weil sie glauben, dort wären nur verrückte, wehrlose Personen untergebracht, während der Geruch von Urin und Kot in der Luft liegt. Es ist sinnbildlich der Anfang vom Ende, sogar die soziale Isolation zu Hause ist erstrebenswerter als die Unterbringung in einer Seniorenresidenz.
Zusätzlich sind die mediale Berichterstattung und Erfahrungsberichte auf sozialen Medien selten positiver Natur. Der Pflegenotstand, der eine gute Versorgung gar nicht mehr möglich macht, weil kein Personal vorhanden ist. Menschen, die in Krankenhäusern abgewiesen werden, obwohl sie doch Hilfe benötigen. „Pflegepersonen“, die ungefragt Sterbehilfe leisten oder Menschen in diesen Einrichtungen quälen. Es sind Momentaufnahmen und seltene Straftaten, doch diese werden medial komplett ausgeschlachtet – jeder hat davon gehört. Von der guten Versorgung wird jedoch nicht berichtet, denn es bringt keine Quote und keinen Absatz.
Es gibt auch Ausnahmen: Vielleicht erinnert ihr euch noch an die Aktion #nichtselbstverständlich, bei der Joko und Klaas zur Prime Time den Dienst einer Pflegefachfrau im Fernsehen begleiteten und dafür mit Lob überhäuft wurden. Solch ein Beispiel zeigt: Auch ohne große Negativschlagzeile ist es möglich, Berichterstattung zur Pflege zu liefern und medial erfolgreich zu sein.
Zu guter Letzt kommt ein ganz wichtiger Punkt dazu: der demographische Wandel. Die Bevölkerung wird zunehmend älter, das Gesundheitssystem wird an seine Grenzen gebracht. Und diese Entwicklung ist noch lange nicht vorbei: Erst in ca. 15–20 Jahren werden wir den Peak dieses Wandels erreicht haben. Nämlich dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 60er und 70er Jahre pflegebedürftig werden und vom Arbeitsmarkt verschwinden. Die ersten Konsequenzen können wir aber heute schon sehen, z. B. verschiebt sich das Renteneintrittsalter weiter nach oben; die Lösung der Politik, um diese Entwicklung zu verzögern. Dabei bleiben wir nicht automatisch gesünder.
Hierzu noch eine kleine Veranschaulichung vom statistischen Bundesamt: Im Jahr 2021 gab es ca. 4,96 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland, die Zahl stark steigend (von 2019 um 20 %, was 0,83 Millionen entspricht). Dagegen stehen 31.150 Pflegeeinrichtungen (ohne (!) Krankenhäuser), 50 % stationär und 50 % ambulant mit insgesamt 1,25 Millionen Pflegepersonen (ein Rückgang von 25.000 seit 2019), davon allerdings über 70 % in Teilzeit. Von diesen 4,96 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wurden 2,4 Millionen von professionellen Pflegepersonen versorgt (stationär & ambulant). Etwa 2,55 Millionen Menschen, die pflegerische Hilfe benötigten, wurden zu Hause von ihren Angehörigen versorgt. Das waren über 50 %!
Dies ist nun der Moment, in dem sich die pflegenden Angehörigen auf die Schulter klopfen können: Ihr sorgt dafür, dass das Gesundheitssystem in Deutschland nicht zusammenbricht. Chapeau!
Zurück zum Thema: Da das Gesundheitssystem auf dem Umstand beruht, dass Angehörige in der Pflege mit eingebunden sind und damit einen essenziellen Anteil mittragen, entsteht das vorschnelle Urteil, dass die Laienpflege zu Hause gleich der professionellen Pflege ist. Denn: Die Personen sind pflegerisch versorgt. Diese Blickweise sehe ich auch häufig bei Bewerbungsgesprächen von Quereinsteigern. Die Frage nach Vorerfahrungen in der Pflege wird oftmals bejaht. Wenn man allerdings konkreter nachfragt, stellt sich schnell heraus, dass hier die heimische Pflege von Angehörigen oder Bekannten gemeint ist.
Ich möchte pflegenden Angehörigen nicht auf den Schlips treten, denn sie sind mit ein Grund dafür, warum der Pflegenotstand noch nicht zum kompletten Kollaps unseres Systems geführt hat. Jetzt das Aber: Professionelle Pflege geht über die Grundversorgung von Menschen in der Laienpflege hinaus.
„Pflege kann doch jeder“ – stimmt nicht! Ein Beispiel: Körperwäsche. Während pflegende Angehörige die reine Hygiene im Vordergrund sehen und entsprechend vorgehen, sehen professionell pflegende Personen ihre Patienten/Bewohner/Klienten umfänglicher. Es fängt damit an, dass Prophylaxen vor Vorbeugung diverser Schäden durchgeführt werden: von der Hautinspektion mit Fingertest zur Vorbeugung eines Dekubitus über die Zugluftvermeidung als Pneumonieprophylaxe bis hin zur Vermeidung eines Intertrigos. Zehn solcher Prophylaxen gibt es in der Pflege, die alle gleich auf mehrere Arten zur Prävention beitragen.
Zusätzlich dazu führen Pflegefachpersonen sogenannte aktivierende Pflege durch – ein Konzept, das die Aktivierung von Ressourcen des Pflegebedürftigen bei der Körperpflege in den Vordergrund stellt und damit bewegungstherapeutische Zwecke erfüllt. Zusätzlich kommen bei Bedarf spezielle Behandlungen, wie beispielsweise die atemstimulierende Einreibung, ins Spiel. Während der ganzen Maßnahmen wird die Krankenbeobachtung durchgeführt, werden Risiken eingeschätzt und daraus weitere notwendige Maßnahmen abgeleitet, im Anschluss Auffälligkeiten und Veränderungen dokumentiert und bei Bedarf wird der Arzt informiert.
Ein Prozess, der sich stetig wiederholt und reflektiert. Und natürlich sind die Personen im Anschluss auch gewaschen, auf Wunsch mit einer Körperlotion eingecremt und mit Parfüm besprüht, tragen ihre Kleidung nach Wunsch und erhalten von uns die passenden Inkontinenzmaterialien. Auch spezielle Tätigkeiten wie die Versorgung eines Katheters oder eines Anus praeter sowie die Anlage ärztlich angeordneter Hilfsmittel wie Kompressionsstrümpfe, Kompressionsverbände und Orthesen oder Schienen übernehmen wir bei der Körperpflege.
Und das machen Pflegepersonen im Alltag nicht nur einmal, noch dazu mit verschiedenen Menschen, die diverse Krankheiten, Ressourcen und Voraussetzungen mitbringen. Das klingt sehr umfangreich, nicht wahr? Das ist die Auflistung für eine Tätigkeit, kurz zusammengefasst. Ich würde behaupten, dass die These „Pflege kann doch jeder!“ damit widerlegt sein sollte.
Was können wir also tun, damit sich das Bild der professionellen Pflege verbessert und sich stärker von der Laienpflege abhebt? Eines davon tut ihr genau hier: Ihr lest einen Artikel dazu, vielen Dank! Information ist unser schärfstes Schwert, daher ist genau das der Punkt, der dabei helfen kann: informieren, schulen, beraten, aufklären. Das kann jeder in seinem kleinen Einflusskreis machen, vor allem dann, wenn in eurem Beisein negativ oder abwertend über die Pflege geredet wird. Es ist schon längst kein Hilfsberuf mehr wie in den 50er Jahren. Wir haben uns, auch dank der Pflegewissenschaft, weiterentwickelt.
In dem Zug ist die Professionalisierung der Pflege auch ein wiederkehrendes, aktuelles Thema. Pflegekammer, Übernahme von medizinischen Tätigkeiten, Reformierung der Zugangsvoraussetzungen (weg vom Ausbildungsberuf hin zum Studium, ähnlich dem schwedischen/US-amerikanischen Modell) sind unter anderem Punkte, die den Weg zu einem besseren und differenzierteren Ansehen zwischen professioneller Pflege und Laienpflege ebenen.
Diese Themen sind nicht neu, aber ihre Umsetzung ist schwierig, da das Gesundheitssystem nicht auf solch große Veränderungen ausgelegt ist. Stattdesssen also zähe Verhandlungsrunden mit wenig Eingeständnissen bei der Kostenübernahme von pflegerischen Tätigkeiten, Probleme bei Übernahme von ärztlich delegierbaren Tätigkeiten, die in der Ausbildung gelernt werden und vieles mehr.
Fun Fact: Erst seit 2018 gibt es eine abrechenbare Leistung für das An-, Aus- und Umkleiden im ambulanten Bereich, zuvor war diese Tätigkeit nur Teil der kleinen oder großen Morgen- bzw. Abendtoilette. Oder ein anderes Beispiel: Die Corona-Impfung durfte von Pflegefachpersonen nicht durchgeführt werden, obwohl sie die intramuskuläre Injektion in der Ausbildung lernen.
Auf dem Weg zur profession Pflege sind viele Hürden zu nehmen. Natürlich sind in diesem Zusammenhang auch Wertschätzung und Arbeitsbedingungen zu nennen. Personalschlüssel, die am Minimum kratzen und damit Einrichtungen Grund geben, auch nur diese einzuhalten (Geld > Qualität). Einrichtungen, die überhaupt monetäre Interessen vor die Gesundheit der Klienten und des Personals stellt. Pflegepersonen, die so wenig verdienen, dass der Beruf gar nicht erstrebenswert ist, trotz der vielen Verantwortungen, die man hat. Work-Life-Balance, die dank Schichtsystem oft gar nicht erst beachtet wird. Hier ist die Politik gefragt, denn das sind viele übergreifende Themen, die man von unserer Seite aus nicht beheben kann. Daher ist es wichtig, hier Druck aufzubauen, das Thema salonfähig zu machen und es in aller Munde zu bringen.
Pflege streikt, doch auch hier sieht man: Die Thematik wird sehr stiefmütterlich behandelt. Tageszeitungen, Nachrichtensendungen im Fernsehen und Radio interessieren sich kaum für Streiks in der Pflege. Erst nach 54 Tagen wurde zum Beispiel über den großen Streik in NRW und Berlin erstmals in der Tagesschau berichtet, nachdem das Thema über Social Media sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hatte – bei Piloten wurde zuletzt schon am Tag vor dem Streik berichtet. Dabei ging es den Pflegepersonen nicht einmal primär um das Gehalt, sondern um die schlechten Arbeitsbedingungen.
Fazit: Professionelle Pflege ist schlussendlich ein Thema, das uns alle gemeinsam interessieren sollte. Wir alle verlieren, wenn wir Hilfe brauchen und keine professionellen Pflegepersonen da sind, die diese leisten können, denn alleine mit Laienpflege werden wir den demographischen Wandel nicht überstehen. Wie nimmst du Pflege wahr und was sind deine Erfahrungen, wenn das Thema angesprochen wird?
Bildquelle: Sigmund, Unsplash