Azubis werden häufig wie Handlanger behandelt – dabei sind sie unsere zukünftigen Kollegen. Auch wenn Praxisanleiter nicht viel Zeit haben, ist es möglich, junge Menschen zu motivieren.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“ oder „Stell dich nicht so an, da mussten wir auch schon durch!“ – nutzt ihr diese Sprüche im Umgang mit euren Auszubildenden? Dann geht bitte schnell in die Küche, packt euch den Salzstreuer und kommt dann wieder zurück; denn wir werden jetzt sehr viel Salz in diese Wunden streuen!
Jede Pflegefachperson musste einmal durch die Ausbildung: früher Krankenschwester oder Gesundheits- und Krankenpfleger, heute die Pflegefachfrau oder der Pflegefachmann. 3 Jahre, in denen selten viele gute Gefühle und Erinnerungen hängen geblieben sind – eine dunkle Vergangenheit, möchte man meinen. Warum sollten es die Auszubildenden von heute besser haben als wir damals? Einfache Antwort: Weil IHR die Möglichkeit habt, es besser zu machen.
Auszubildende sind mehr als nur die Handlanger, die euch den Rücken freihalten, um die Raucherpause im Dienst zu ermöglichen. Sie sind allem voran eure zukünftigen Kollegen. Und, wie ihr es aus eurer Erinnerung kennt, prägt diese Zeit enorm. Die erste Reanimation, der erste tote Patient, vielleicht aber auch nur das erste Mal Verantwortung für Patienten und Bewohner übernehmen. Aus jeder Situation bleibt etwas hängen, was für die persönliche und berufliche Entwicklung essenziell ist. Ihr erinnert euch sicher noch an diese Situationen. Es ist schwierig, diese alleine zu bewältigen, zumal ihr beim ersten Mal nicht an die Organisation und das Drumherum gedacht habt, sondern eure Gefühle und Eindrücke im Mittelpunkt standen.
Pflege ist – und das wiederholt sich immer wieder – mehr als nur Toilettenstühle leeren oder Akten archivieren. Und genau das sollte Mittelpunkt der Ausbildung sein. Azubis kommen mit einem Kopf voller Wissen auf die Station, haben Fragen zu den Tätigkeiten, die sie gerade im theoretischen Unterricht gelernt haben. Und dann gibt man ihnen nicht die Möglichkeit, von diesem Wissen zu profitieren. Da kommen die nächsten beliebten Zitate ins Spiel: „Das haben wir immer schon so gemacht!“ oder „Das ist alles Theorie, in der Praxis geht das gar nicht!“ und, zack, dahin sind Motivation und Ehrgeiz – weggeschmettert dank einer verbitterten Einstellung zur Arbeit.
Dabei können Auszubildende extrem wertvoll sein! Sie bringen das aktuellste pflegetheoretische Wissen in die Praxis. Warum sich also nicht davon inspirieren lassen und alt eingefahrene Statuten überdenken, Prozesse optimieren oder gar erneuern?
Wenn ich an meine Ausbildung zurückdenke, dann ist genau das passiert: Ich war hoch motiviert, ich hatte das theoretische Wissen, welches ich als dualer Student sogar noch vertiefter serviert bekommen habe als die meisten meiner Kollegen. Aber kaum war ich auf Station, wurde ich abgebremst. Zum einen, weil niemand etwas Neues hören wollte. Zum anderen, weil man nicht einmal Zeit hatte, mir etwas Praktisches zu zeigen.
Wir bilden unsere Auszubildenden zu Einzelkämpfern aus – nicht zu Teamplayern. Und das ist in vielerlei Hinsicht schlecht. Vor allem dann, wenn die Erwartungshaltung durch das fortschreitende Lehrjahr zunimmt, das Wissen allerdings auf dem früheren Stand stagniert, weil man nicht genügend Zeit oder Interesse in diese Person investiert hat. Wo soll das praktische Wissen herkommen, wenn nicht von uns?
Das klingt jetzt alles sehr offensiv und fordernd. Natürlich ist es nicht überall so, aber die Erfahrung zeigt: Gut betreute Auszubildende sind leider eine Seltenheit. In meiner Zeit auf der Sozialstation hatte ich sehr viele dieser Geschichten gehört und teilweise auch gesehen. Azubis, die bei mir das erste Mal im zweiten Lehrjahr eine Anleitung für die Grundpflege erhalten haben. Andere, die im dritten Lehrjahr erstmals intensiv über Kompressionstherapie angelernt wurden, nicht nur praktisch, sondern auch in der Theorie. Eine kurze Stunde in der Schule reicht oftmals nicht aus, um Wissen zu vertiefen und Fragen zu beantworten. Unzählige Male habe ich Aussagen wie „Aha!“ und „Das hat mir keiner gesagt!“ gehört, weil sich niemand um die Azubis kümmert. Dabei muss man sie auch da abholen, wo sie herkommen – ein Grundsatz, den wir bei Patienten und Bewohnern anwenden. Warum lassen wir unseren Nachwuchs da außen vor? Wann habt ihr euch das letzte Mal um euren Azubi gekümmert? Ihm Fragen beantwortet? Wann seid ihr proaktiv auf diese Person zugegangen und habt ein Lehrangebot gemacht?
Praxisanleiter können sicher ein Ankerpunkt auf dem Weg zur erfolgreichen Ausbildung sein, aber: In 90 % der praktischen Zeit sind Auszubildende nicht in den Händen der Anleiter. Dort kommt es auf jeden Einzelnen an, ob diese Zeit gut und effektiv genutzt wird oder nicht. Ein „Ich habe keine Zeit für Auszubildende“ kann es dabei nicht geben, denn sie lernen auch passiv von dem, was ihr anbietet. Bietet ihr nichts an, züchtet ihr die nächste Generation an Pflegepersonen, die sich vor Auszubildenden verschließen, als sich ihnen zu öffnen.
Womit wir zum nächsten Problem kommen: Auszubildende sind keine vollwertigen Pflegepersonen. Sie sind Menschen, die auf dem Weg sind, sich dieses Wissen anzueignen. Und dazu muss man sie mitnehmen, anleiten, betreuen – vor allem am Anfang der Reise. Es ist okay, Auszubildende auch einmal selbstständig Aufgaben zuzuteilen, insbesondere ab dem zweiten Lehrjahr. Bewohner/Patienten selbstständig zu versorgen, die Arbeit selbst einzuteilen, damit sie etwas über Selbstorganisation und Zeitmanagement lernen. Allerdings ist das kein Freifahrtschein, sich selbst dafür aus dem Rennen zu nehmen. Solche Aufgaben bedürfen einer Reflexion, um auch die Prozesse beim Auszubildenden zu vertiefen und Fehler anzusprechen. Leider fehlt dieser Teil sehr oft und so entsteht auch beim Azubi das Bild, ausgenutzt zu werden. Ihr habt es mit (jungen) Erwachsenen, zukünftigen Kollegen, zu tun; behandelt sie auch so.
Ein entscheidender Schlüssel beim Umgang mit Auszubildenden ist die Motivation. Sie sollen natürlich lernen, auch die Arbeiten durchzuführen, die weniger spaßig oder interessant sind, aber niemals ausschließlich. Gebt ihnen das Gefühl, Teil des Teams zu sein, indem ihr Aufgaben verteilt, die selbstständig vom Auszubildenden durchgeführt werden sollen und fördert sie regelmäßig mit spannenden Herausforderungen, wenn die zuvor genannten Tätigkeiten routiniert erledigt werden.
Ich habe in unserem Haus für unseren Auszubildenden eine Art Vertiefungszeit durchgesetzt: Er soll vor einer neuen Tätigkeit je nach Komplexität 4–10 Stunden Zeit zum Selbststudium erhalten. Sprich: Er geht entweder früher nach Hause oder darf sich in das Büro zurückziehen, um eine kleine theoretische Aufarbeitung vor der anzuleitenden Tätigkeit vorzubereiten. Wenn er es geschickt anstellt, kann er sich damit sogar etwas Freizeit erarbeiten. Durch das anschließende Checken seiner theoretischen Arbeit kann ich mir sicher sein, dass er das nötige Vorwissen mitbringt, z. B. bei der Port-Versorgung richtig zu handeln und die Reihenfolge sowie Hygienerichtlinien richtig anzuwenden. Dadurch kann ich direkt mit der praktischen Übung starten. Voraussetzung dafür ist aber, dass er die Tätigkeiten, die er fest zugeschrieben hat, selbstständig und richtig durchführt – u. a. richtige Vor- und Nachbereitung von Zimmern in der Pflege, Pflegewagen auffüllen, usw. – und die theoretischen Übungen keine 1:1-Kopien aus dem Internet sind. Er soll es mit eigenen Worten beschreiben können. Und siehe da: Der Azubi ist voll motiviert, bringt das nötige Wissen zu den Anleitungen mit und freut sich im Anschluss, wieder etwas gelernt zu haben.
Noch ein Beispiel: Es ist März 2022. Die COVID-19-Pandemie hat auch unser Haus erreicht und reihenweise Mitarbeiter in die Isolation gedrängt. Der Pflegel und sein Azubi machen gemeinsam einen Frühdienst, der eigentlich mit vier Personen abgedeckt werden sollte. Der für mich schlimmste Tag in meiner beruflichen Karriere. Noch nie habe ich so viel Arbeiten schnell und effektiv anstatt gut und ordentlich erledigt, wie an jenem Tag. Mein Kopf war leer, der Körper erschöpft und mein Gewissen konnte sich nur damit beruhigen, dass alle Bewohner gegessen, Mobilisierung und eine Teilwäsche erhalten hatten – das absolute Minimum also. Ich habe meinen Azubi ebenfalls nicht schonen können, er musste funktionieren. Und das tat er. Ich – komplett fertig – habe ihn am Ende des Dienstes gefragt, wie er den Tag fand, weil ich ihn seine Arbeit reflektieren lassen wollte. Seine Antwort: „Es war der bisher geilste Tag, seitdem ich hier bin!“
Er hat sich an jenem Tag richtig gefordert und wertgeschätzt gefühlt, weil er Verantwortung hatte, die ihm vorher in diesem Ausmaß niemals zukam. Seine Arbeit hatte Gewicht – er war wichtig. Und das hat sein Ego gepusht. Versteht mich nicht falsch; das ist kein Aufruf dazu, eure Azubis die Arbeit komplett übernehmen zu lassen und auszunutzen. Aber es zeigt: Verantwortung zu übernehmen, ist der Schlüssel zur Motivation. Je komplexer, desto besser.
Es kostet Zeit, die ihr in die Ausbildung stecken müsst, aber gesteht euch ein: Eine gut ausgebildete Person kann euch weit mehr im Alltag unterstützen als jemand, dem ihr hinterherrennen und alles kontrollieren müsst. Wenn ihr nicht selbst die Initiative ergreift, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wird eurer Auszubildender auch nach 3 Jahren immer noch genau das sein – ein Auszubildender. Denn die Theorie wird sicherlich bestanden werden. Die Praxis wahrscheinlich auch. Allerdings ist die praktische Prüfung nur ein Ausschnitt von dem, was im Alltag tatsächlich passiert und repräsentiert niemals Selbstständigkeit im Berufsleben. Und genau dabei verzweifeln viele direkt nach dem Start.
Fragt euch selbst: Wie waren eure ersten Tage nach der Ausbildung? Höchst wahrscheinlich ähnlich wie meine. Eine Lawine an Tätigkeiten, man selbst dazwischen. Man wusste nicht, wo man anfangen und enden sollte. Selbstorganisation? Wo denkst du hin! Sauberer Arbeitsablauf? Als ob man das so nennen könnte! Ganz einfach – man ist am ersten Tag immer noch der Azubi, der man vorher war. Nur mit dem Unterschied, dass man jetzt für alles belangt werden kann.
Genau hier waren meine Erfahrungen auf der Sozialstation und den eigenen Schülern anders: Durch die 1:1-Betreuung haben sie viel mehr gelernt, durften im dritten Lehrjahr sogar alleine einfache Touren fahren, nachdem sie in Begleitung selbstständig Touren organisiert und Tätigkeiten vollständig selbst durchgeführt hatten. So waren sie oftmals schon vor Erreichen der Prüfung so selbstständig, dass der Umstieg von Auszubildenden zur Pflegefachperson fließend war, ohne die kalte Dusche danach.
Und genau darum muss es gehen: Bringt eure Auszubildenden an den Punkt, an dem ihr reinen Gewissens sagen könnt, dass diese Person in der Lage ist, jede Tätigkeit, jede Situation und jedes Problem selbstständig zu meistern. Erst dann habt ihr euren Lehrauftrag erfolgreich durchgeführt. Denkt immer wieder an eure Lehrzeit zurück und, selbst wenn sie wie im Beispiel der Azubis bei mir auf der Sozialstation sehr erfolgreich war, macht es eurem zukünftigen Kollegen etwas besser als ihr es früher hattet. Nur so können wir auch gewährleisten, dass Pflege vom Start weg ein schöner und interessanter Beruf bleibt.
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