Schon jetzt leiden weltweit 17 Millionen Menschen an Long Covid. Wie lässt sich dieses Problem in den Griff kriegen? Aktuelle Ergebnisse zeigen, dass der Wirkstoff Nirmatrelvir eine Lösung sein könnte.
Die Folgen der Corona-Pandemie sind langanhaltend: Mittlerweile sind laut WHO schon mindestens 17 Millionen Menschen nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion von Long Covid betroffen. Erste Hinweise zeigen, dass die Virusvariante hier die Häufigkeit zu beeinflussen scheint. Wichtiger als die Frage nach der Inzidenz ist aber: Wie lässt sich das Long-Covid-Risiko senken? Paxlovid® könnte die Lösung für das Problem sein – zumindest laut eines jüngst veröffentlichten Preprints.
Die US-amerikanischen Forscher untersuchten über die elektronischen Krankendaten von US-Veteranen knapp 56.000 Patienten, die zwischen März und Juni 2022 SARS-CoV-2-positiv waren und nicht hospitalisiert werden mussten. Da Paxlovid® nur verschrieben wird, wenn der Patient mindestens einen Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf aufweist, wurden nur Teilnehmer berücksichtigt, die über 60 Jahre alt waren, einen BMI über 25 kg/m2 aufwiesen, rauchten oder an einer Erkrankung wie etwa Krebs oder Diabetes litten. Etwas mehr als 9.000 Patienten (16,4 %) erhielten innerhalb der 5 Tage nach ihrem positiven Test Nirmatrelvir und etwa 47.000 Probanden (83,6 %) wurden als Kontrollgruppe hinzugezogen, sie erhielten kein antivirales Mittel oder Antikörper als Therapie.
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COVID-19-Patienten, die Nirmatrelvir erhielten, waren klar im Vorteil: Etwa jede 9te von 100 Personen in der Kontrollgruppe litt 90 Tage später an mindestens einem Long-Covid-Symptom (95 % KI: 9,14–9,72). Hingegen war es in der Verum-Gruppe nur jede 7te Person (95 % KI: 6,57–7,64). Die absolute Risiko-Reduktion lag bei 2,32 (95 % KI: 1,73–2,91; HR: 0,72 (95 % KI: 0,69–0,81) womit sich hier die Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) von etwa 1 ergibt.
Dabei wies die Nirmatrelvir-Gruppe ein um 48 % geringeres Risiko auf, einen postakuten Tod zu erleiden sowie ein 30 % geringeres Risiko für eine postakute Hospitalisierung. Der Wirkstoff war auch mit einem um 26 % geringeren Risiko für Long Covid verbunden. Insgesamt waren es 2,32, 0,28 und 1,09 weniger Fälle von langanhaltenden Symptomen, postakutem Tod oder postakutem Krankenhausaufenthalt für jeweils 100 behandelte Personen zwischen 30 und 90 Tagen nach der Infektion.
Die Forscher blickten bei ihrer Auswertung auf insgesamt 12 Long-Covid-Symptome, wobei Paxlovid® das Risiko für 10 postakute Folgeerscheinungen senken konnte – unter anderem Herzrhythmusstörungen, Gerinnungs- und hämatologische Störungen, Fatigue, Lebererkrankung, akute Nierenerkrankung, Muskelschmerzen, neurokognitive Beeinträchtigung und Kurzatmigkeit. Das Besondere an den Ergebnissen: Die Forscher stellten sowohl bei geimpften und geboosterten Patienten als auch bei ungeimpften und reinfizierten Personen ein reduziertes Risiko fest. Sie konnten keine signifikante Assoziation zwischen der Gabe von Nirmatrelvir und neu aufgetretenem Diabetes oder Husten erfassen.
Wie jede Studie hat auch diese Limitationen, unter anderem eine überwiegend einseitige Kohorte, die stark von männlichen Probanden dominiert wird sowie das ungleiche Verhältnis zwischen Verum- und Kontrollgruppe. Außerdem handelt es sich um eine retrospektive Auswertung, daher können auch keine kausalen Zusammenhänge erschlossen werden. Dennoch legen die Ergebnisse nah, dass die Gabe von Paxlovid® während der ersten 5 Infektionstage mit einem reduzierten Risiko für Long Covid verbunden ist – unabhängig von Impfstatus oder Vorgeschichte einer früheren Infektion. „Es ist ein deutlich messbarer Effekt, der jetzt dringend weiter untersucht werden sollte“, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, über die Ergebnisse gegenüber der Zeit.
Die EU-Kommission hatte Paxlovid® Anfang 2022 eine bedingte Zulassung zur Behandlung von COVID-19 erteilt – damit ist es das erste antivirale Arzneimittel zur oralen Anwendung. Bisher haben sich Ärzte allerdings recht zurückhaltend mit der Verschreibung des Mittels verhalten; damit wurde das Präparat zu einem Ladenhüter (wir berichteten). Nun soll ein Tool Abhilfe schaffen: Mehrere Fachgesellschaften und die Fachgruppe COVRIIN am RKI haben eine gemeinsame Checkliste für den Einsatz in der Praxis erarbeitet.
Bildquelle: Marc-Olivier Jodoin, unsplash