Kopfschmerzen sind zwar unangenehm, aber meistens harmlos. Das ist allerdings nicht immer so. Wie ihr einen akuten Notfall ausschließen könnt und wann doch eine MRT angebracht ist, lest ihr hier.
Es gibt wohl kaum einen Arzt, der noch keinen Patienten mit Kopfschmerzen vor sich sitzen hatte. Daten des RKI legen nahe, dass grob die Hälfte aller Deutschen binnen eines Jahres mindestens einmal von Kopfschmerzen betroffen ist (57,5 % der Frauen, 44,4 % der Männer). In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um primäre Kopfschmerzerkrankungen; am häufigsten kommen Spannungskopfschmerzen, Migräne und Kopfschmerzen induziert durch Medikamentenübergebrauch vor. So leiden beispielsweise bis zu 28 % der Frauen und 18 % der Männer in Deutschland unter einer wahrscheinlichen Migräne. Für die Schmerz-Betroffenen mag das zwar nur ein geringer Trost sein, aber insgesamt verbirgt sich in diesen Zahlen eine gute Nachricht. Denn in den allermeisten Fällen steckt dementsprechend auch keine bösartigere Ursache wie ein Hirntumor dahinter.
Sekundäre Kopfschmerzen machen nur grob 10 % aller Kopfschmerzfälle aus. Die Kunst besteht nun darin, eben diese selteneren Fälle nicht zu übersehen, da hier eine ernstzunehmende Erkrankung ausgeschlossen werden muss. Wie also das Zebra inmitten all der Pferde entdecken? Als Mitbegründer des Kopfschmerz-Zentrums Frankfurt kennt sich Dr. Charly Gaul mit dem Thema Kopfschmerzdiagnostik bestens aus. In der DocCheck CME-Veranstaltung rund um den Kopfschmerz lieferte der Neurologe und Schmerztherapeut hilfreiche Tipps.
Zunächst einmal ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, um welche Patienten man sich üblicherweise kümmert – je nach Behandlungssetting begegnet man einer anderen Verteilung von Fällen. So sieht sich ein Arzt in der Notaufnahme logischerweise häufiger mit sekundären Kopfschmerzen aufgrund von Unfalltraumata konfrontiert als der niedergelassene Allgemeinmediziner. Auch Ärzte mit einem deutlich älteren Patientenkollektiv haben es häufiger mit sekundären Kopfschmerzen zu tun, da diese im Alter schlicht häufiger auftreten (beispielsweise durch eine Riesenzellarteriitis), während sich primäre Kopfschmerzerkrankungen – wie Spannungskopfschmerzen, Migräne und Cluster-Kopfschmerz – typischerweise im jungen Erwachsenenalter erstmanifestieren.
Weiterhin ist zu bedenken: Auch wenn der Kopfschmerz vom Spannungstyp der verbreitetste ist, ist er nicht notwendigerweise auch der häufigste in der Praxis. Die Patienten werden nicht so oft vorstellig, da sie üblicherweise nicht so sehr eingeschränkt sind. In der Regel behandeln sich diese Patienten mit freiverkäuflichen Analgetika selbst – heißt, solange der Schmerz nicht chronisch wird, werden sie eher direkt in der Apotheke vorstellig als beim Hausarzt.
Ein Patient mit Migräne hingegen fällt durch seine Krankheit für ganze Tage aus und hat eine viel höhere Krankheitsbelastung – ergo sucht er sich wahrscheinlicher ärztliche Hilfe. Genauso wie der Spannungskopfschmerz fliegt auch der medikamenteninduzierte Kopfschmerz gerne unter dem Radar, da die Patienten den Übergebrauch zumeist mit freiverkäuflichen Analgetika betreiben. Hier muss der Arzt oft gezielt und mehrfach nachbohren, bis manche Patienten mit allen Medikamenten rausrücken, die sie tatsächlich einnehmen.
Glücklicherweise sind primäre und sekundäre Kopfschmerzen in der Regel gut zu unterscheiden. Primäre Kopfschmerzen präsentieren sich in Bezug auf Alter, Häufigkeit und Art der Attacken zumeist typisch und die klinisch-neurologische Untersuchung liefert unauffällige Befunde. Dementsprechend ist in den meisten Fällen auch keine weitere Bildgebung und Diagnostik indiziert.
Zentral für die Diagnosestellung ist und bleibt also die gründliche Anamnese. Hier lohnt es sich, Zeit zu investieren, auch wenn das im Alltag manchmal schwierig sein kann – erspart die richtige Diagnose doch im Nachhinein eine Menge Zeit und Ärger. Dabei gilt es, einige Kernfragen abzuarbeiten, anhand derer zwischen einem akuten oder chronischen Krankheitsbild unterschieden werden kann und die offenlegen, ob es sich nun um eine Migräne, Spannungskopfschmerzen oder womöglich doch einen Hirntumor handelt.
1. Wie viele Kopfschmerzarten liegen vor?
Handelt es sich nur um eine schon bestehende Migräne oder ist ein weiterer, für den Patienten bisher unüblicher, Schmerz aufgetreten? Eine KS-Erkrankung macht schließlich nicht immun gegen eine andere.
2. Zeitfragen – seit wann, wie oft, wie lang?
Warum stellt sich der Patient zu diesem Zeitpunkt vor? Besteht der Kopfschmerz schon seit Jahren oder erst seit einer Woche? Entwickelt sich der Schmerz plötzlich oder schleichend?
3. Charakterfragen – wie fühlt es sich an?
Welcher Art sind die Kopfschmerzen? Wo im Kopf sind sie lokalisiert? Wie stark sind sie und was für Begleitsymptome gibt es?
4. Fragen nach den Ursachen – gibt’s Trigger und Begleiterkrankungen?
Häufige Kopfschmerztrigger sind Wetterumschwünge, Alkoholkonsum und die Regelblutung. Schlafrhythmusstörungen und psychische Stressoren können Kopfschmerzen verstärken und unterhalten.
5. Wie verhält sich der Patient in der Attacke?
Wie sehr schränken die Kopfschmerzen bestimmte Tätigkeiten ein? Welche Akutmedikation wird angewendet und hilft?
6. Wie geht es dem Patienten zwischen den Attacken?
Nach dem Kopfschmerz ist vor dem Kopfschmerz. Gibt es residuale Symptome und hat der Patient bestimmte Bedenken oder Ängste?
Durch die oben aufgeführten Fragen ergibt sich dann in den meisten Fällen schnell ein zusammenhängendes und für eine spezifische Kopfschmerzerkrankung typisches Bild. Eine gründliche klinisch-neurologische Untersuchung sollte nun folgen, um andere Diagnosen ausschließen zu können. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei den Hirnnerven und eventuellen Sensibilitätsstörungen gelten; bei akuten Kopfschmerzen sollte auf Meningismus geachtet werden. Muskuläre Anspannungen und Druckschmerzhaftigkeit in der perikraniellen Muskulatur sind häufig festzustellen. Auch die Blutdruckmessung sollte nicht vergessen werden: Zwar ist eine Hypertonie wohl kaum der alleinige Auslöser für chronische Kopfschmerzen, allerdings spielt diese Hintergrunderkrankung eine bedeutende Rolle in der weiteren Therapie.
Sind Anamnese und Untersuchung unauffällig und die Diagnosekriterien für beispielsweise eine Migräne erfüllt, so ist das Risiko, eine ernsthaftere Krankheit zu übersehen, sehr klein. Bei einigen Faktoren sollte der Arzt aber hellhörig werden und weitere bildgebende Diagnostik anordnen – hier gibt es Hinweise auf das Vorliegen einer sekundären Kopfschmerzerkrankung. Ein paar Beispiele:
Weiterhin ist bei bestimmten Risikokonstellationen die Wahrscheinlichkeit für eine ernstzunehmende Erkrankung höher, was eine genauere Diagnostik rechtfertigt. So haben Schwangere beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Sinusvenenthrombosen, immunsupprimierte Patienten haben ein höheres Risiko für cerebrale Infektionen. Auch bei der Diagnose einer trigemino-autonomen Kopfschmerzerkrankung empfiehlt sich grundsätzlich eine Bilddiagnostik. Relativ häufig entdeckt man bei diesen Patienten weitere Probleme, wie beispielsweise eine Carotis-Dissektion.
Und zuletzt bleibt da natürlich auch das gute, alte Bauchgefühl: Auf das darf – und sollte – sich jeder Arzt verlassen. Schrillen die Alarmglocken, ist das Grund genug, den Patienten in einer MRT durchchecken zu lassen und auf Nummer sicher zu gehen.
Bildquelle: Vinicius "amnx" Amano, Unsplash