Erst Elotrans®, jetzt Ozempic® – dank TikTok und Co. werden immer wieder Medikamente Off-Label eingesetzt. Laien missbrauchen den Diabeteswirkstoff Semaglutid derzeit als Abnehmmittel. Warum das ein dickes Problem ist, lest ihr hier.
In der Apotheke ist es für uns nichts Neues, dass bestimmte Medikamente nicht lieferbar sind, weil sie gerade in den sozialen Medien gehypt werden. So geschehen beispielsweise im Jahr 2008 mit Regividerm®, einer Vitamin-B12-haltigen Creme, die als Wundermittel gegen Psoriasis Berühmtheit erlangte, um dann wieder in die quasi-Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Etwas aktueller: das Nasenspray Algovir®, das in den vergangenen Corona-Wintern regelmäßig ausverkauft war. Auch im Off-Label-Einsatz kommt so etwas vor – gerade ist es schwierig, Elektrolytpulver wie Elotrans® oder Oralpädon® zu bekommen, weil sie bei TikTok als Wundermittel gegen den Kater nach durchzechten Nächten gefeiert werden.
Bei OTC-Arzneimitteln ist das Prinzip also durchaus bekannt – bei RX-Arzneimitteln ist es seltener, dafür umso gefährlicher. Ozempic® mit dem Wirkstoff Semaglutid ist aktuell von einem solchen TikTok-Trend betroffen. Es geht ums Abnehmen, daher wird sich dieser Trend vermutlich nicht ganz so schnell wieder verabschieden, wie es bei anderen Medikamenten meistens passiert. Auf der Strecke bleibt aber dabei der Patient, der auf das Arzneimittel für den Erhalt seiner Gesundheit angewiesen ist.
Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid wird neben seiner Eigenschaft als Therapeutikum erwachsener Patienten mit Typ-2-Diabetes auch zur Gewichtsregulierung bei bestehendem Übergewicht oder Adipositas mit zusätzlich mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung eingesetzt. Der Wirkstoff bindet selektiv an den GLP-1-Rezeptor, was glukoseabhängig die Sekretion von Insulin aus den Beta-Zellen des Pankreas fördert. Zusätzlich hemmt Semaglutid die Glukagonsekretion aus den Alpha-Zellen und steigert die Insulinsensitivität. Der gewichtsreduzierende Faktor ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Magenentleerung verlangsamt und das Sättigungsgefühl erhöht wird. Für die Therapie von Typ-2-Diabetes wird eine Anfangsdosis von 0,25 mg einmal wöchentlich gewählt, die nach 4 Wochen auf 0,5 mg angehoben, nach mindestens weiteren 4 Wochen auf 1 mg und dann nach mindestens 4 Wochen auf 2 mg einmal wöchentlich erhöht wird. Das Medikament muss subkutan in das Abdomen, den Oberschenkel oder den Oberarm injiziert werden.
Eine aktuelle Studie zeigte signifikante Effekte auf die Gewichtsreduktion, wenn Personen mit Übergewicht oder Adipositas mit oder ohne gewichtsbedingten Komplikationen einmal wöchentlich eine Dosis von 2,4 mg injiziert wurde. Hier verloren 70 % der Teilnehmer mindestens 10 % und ca. 50 % mindestens 15 % Gewicht, ein Drittel der mit Semaglutid behandelten Teilnehmer verlor sogar mindestens 20 % ihres Ausgangsgewichtes. Kein Wunder also, dass bei solchen Versprechungen die Menschen aufmerksam werden und dieses Medikament gerne einmal ausprobieren möchten. Das Problem: Semaglutid als Medikament zur Gewichtsreduktion wird EU-weit nur von einem einzigen Hersteller in Verkehr gebracht (Wegovy® von Novo Nordisk). Es ist in Deutschland zugelassen, allerdings noch nicht auf dem Markt verfügbar.
In den USA wird es von bekannten Persönlichkeiten wie Elon Musk und Kim Kardashian beworben, was dort einen Run auf das Medikament auslöste. Man muss auch im Internet nicht lange suchen, um auf den Tipp zu stoßen, es dann doch mit Ozempic® von zu Novo Nordisk versuchen, denn der Wirkstoff ist derselbe. Das Problem: Patienten mit Typ-2-Diabetes haben nun das Nachsehen, denn der Injektionspen ist nur noch schwer erhältlich.
Die Firma klärt in einem Informationsschreiben zu den „kurzzeitigen Lieferungsverzögerungen“ darüber auf, dass diese in den meisten Fällen wahrscheinlich weniger als vier Wochen betragen werden. Sollte dadurch eine Injektion verpasst werden, könne diese innerhalb von 5 Tagen nach dem verpassten Injektionszeitpunkt nachgeholt werden. Sind mehr als 5 Tage vergangen, solle die Dosis übersprungen und keinesfalls die doppelte Menge verwendet werden, um die verpasste Dosis zu ersetzen. Ärzte sollten berücksichtigen, dass bei Dosisanpassungen und Neueinstellungen die Versorgungssituation für alle Dosierungen schwierig bleiben wird. Man geht also offensichtlich nicht davon aus, dass sich die Lage schnell wieder entspannt. Das liegt unter anderem daran, dass Semaglutid langfristig eingesetzt werden muss, um eine dauerhafte Gewichtsabnahme zu gewährleisten.
Es gibt aber Menschen, die zum Erhalt ihrer Gesundheit auf Ozempic® angewiesen sind und es nicht erhalten, so lange es Off-Label zur Gewichtsreduktion eingesetzt wird. Die Inkretin-Mimetika schützen zusätzlich noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zum Teil auch vor Nierenschäden. Es ist eine ähnliche Situation wie für Patienten, die auf eine Omeprazol-Rezeptur angewiesen sind, die derzeit nicht hergestellt werden kann, weil die Grundlagen nicht lieferbar sind – denn sie werden momentan mehr oder weniger sinnfrei für die Herstellung von Fiebersäften in den Apotheken genutzt.
Ganz zu schweigen von den teilweise schwerwiegenden Nebenwirkungen, die hier auftreten können. Übelkeit und Erbrechen, Erkrankungen der Gallenblase und der Bauchspeicheldrüse sowie ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten sind mögliche Folgen, vor denen die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) bei einer von den Zulassungsbehörden nicht freigegebenen, unkontrollierten Anwendung hinweist. Zudem wisse man nichts über die Langzeitwirkungen.
Einen Off-Label-Use aufgrund von TikTok-Empfehlungen empfinde ich außerdem auch persönlich als unglaublich egoistisch. Wer ein entsprechendes Präparat zur Gewichtsabnahme sucht, dem sei Saxenda® mit dem Wirkstoff Liraglutid – ebenfalls ein GLP-1-Agonist – ans Herz gelegt. So werden wenigstens keine schwer erkrankten Menschen gefährdet und die Anwendung entspricht der Zulassung.
Ich frage mich nur, wie die Menschen eigentlich an dieses verschreibungspflichtige Medikament gelangen. Dass Hausärzte es einfach in einem solchen Ausmaß verordnen, dass ein Lieferengpass entsteht, nur weil der Patient es aufgrund der Informationen aus dem Internet wünscht, kann ich mir nicht vorstellen. Ich ahne da eher, dass hier viel über Online-Ärzte und Medikamentenversender läuft, kann das aber natürlich nur vermuten und nicht beweisen. Trotzdem ein weiterer Grund, diesem Modell, bei dem Verordnung und Abgabe von Medikamenten aus einer Hand kommen, zu misstrauen. In der Apotheke hielt ich jedenfalls bislang noch kein einziges entsprechendes Rezept in den Händen.
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