Bei einigen Antibabypillen besteht ein deutlich höheres Thrombose-Risiko als bei anderen. Trotzdem werden diese Kontrazeptiva immer noch häufig verschrieben. Lassen sich Gynäkologen zu sehr von Pharmafirmen beeinflussen?
Die am weitesten verbreitete Verhütungsmethode in Deutschland sind nach wie vor kombinierte hormonelle Kontrazeptiva (KHK), also Antibabypillen, die eine Kombination aus Östrogen und einem Gestagen enthalten. Diese erhöhen das Risiko, eine Thrombose zu erleiden. Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Pillen. Eine aktuelle Studie zeigt jetzt: Das Thrombose-Risiko ist bei einigen neuen Präparaten deutlich höher als bei Pillen, die schon länger auf dem Markt sind. Dennoch werden solche Pillen relativ häufig verschrieben.
Die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen verglichen in einer aktuellen Studie das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) für neun kombinierte orale Kontrazeptiva. Darunter waren auch Pillen, die ein Gestagen mit bisher unbekanntem Thrombose-Risiko enthalten, wie Chlormadinon und Nomegestrol. Für ihre Auswertung griffen sie auf Daten aus der Forschungsdatenbank German Pharmacoepidemiological Research Database (GePaRD) zurück, die Abrechnungsdaten von vier gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland enthält und 20 Prozent der Bevölkerung abdeckt.
Da die Antibabypille in Deutschland im Studienzeitraum bis zum vollendeten 20. Lebensjahr erstattungsfähig war, konnten die Forscher auf diese Weise Daten zur Pilleneinnahme von Mädchen und jungen Frauen im Alter von 10 bis 19 Jahren einbeziehen. (Mittlerweile ist die Pille bis zum vollendeten 22. Lebensjahr erstattungsfähig.)
Insgesamt gingen die Daten von 677.331 Frauen und Mädchen in die Studie ein, denen zwischen 2005 und 2017 eine Antibabypille neu verordnet wurde. Ihr Durchschnittsalter lag bei 16 Jahren. Ausgeschlossen wurden Mädchen und Frauen, die schon früher eine Thrombose hatten. Die Wissenschaftler werteten aus, wie viele venöse Thromboembolien im Untersuchungszeitraum auftraten und wie viele davon tiefe Venenthrombosen oder Lungenembolien waren. Bei der Auswertung wurden mögliche Einflussfaktoren auf die Ergebnisse wie Alter, Komorbiditäten oder die Einnahme weiterer Medikamente statistisch berücksichtigt.
Insgesamt traten Im Studienzeitraum 1.166 Thrombosen auf: 969 tiefe Venenthrombosen und 213 Lungenembolien, wobei in 16 Fällen eine tiefe Venenthrombose und eine Lungenembolie am gleichen Tag auftraten. „Unsere Analyse bestätigte zunächst ein Ergebnis aus früheren Studien: Pillen mit dem Gestagen Levonorgestrel und niedrigem Östrogengehalt haben das geringste Thrombose-Risiko“, erläutert Dr. Tanja Schink, Wissenschaftlerin an der Abteilung Klinische Epidemiologie des BIPS und Erstautorin der Studie. Als niedrig wird ein Ethinylestradiol-Gehalt von weniger als 50 μg angesehen.
Weiterhin ergab die Auswertung, dass das Thrombose-Risiko bei vielen neueren Pillen doppelt so hoch oder sogar höher ist, als bei älteren Präparaten mit Levonorgestrel: Dies betraf die Antibabypillen mit den Gestagenen Dienogest , Chlormadinon, Desogestrel, Drospirenon, Cyproteron und Gestoden. Für die Gestagene Norgestimat und Nomegestrol deuten die Ergebnisse ebenfalls auf ein doppelt so hohes Thrombose-Risiko hin. Da auch der Östrogengehalt der Pillen das Thrombose-Risiko beeinflusst, wurde auch dieser Faktor bei der Auswertung berücksichtigt. Dabei zeigte sich, dass das Thrombose-Risiko bei Pillen mit Levonorgestrel bei mehr als 30 μg Ethinylestradiol doppelt so hoch ist, wie bei 30 μg oder weniger Ethinylestradiol.
Als Einschränkungen der Studie geben die Autoren an, dass einige mögliche Einflussfaktoren auf das Thrombose-Risiko in den Krankenkassen-Daten nicht erfasst waren und damit bei der Auswertung nicht berücksichtigt werden konnten. Dazu gehörten Rauchen, der Body Mass Index (BMI) sowie Thrombosefälle in der Familie.
„Unsere Studie macht deutlich, dass auch für Präparate mit Dienogest und Chlormadinon, deren Thrombose-Risiko bisher noch wenig untersucht war, ein doppelt so hohes Thrombose-Risiko wie für Pillen mit dem niedrigsten Risiko besteht“, hebt Prof. Ulrike Haug hervor. Sie ist Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie am BIPS und Letztautorin der Studie. „Thrombosen sind bei Mädchen und jungen Frauen zwar sehr seltene Ereignisse, die Verläufe können aber schwerwiegend sein“, betont die Forscherin. „Ein doppelt so hohes oder höheres Thrombose-Risiko ist nicht verantwortbar. Solche Pillen sollten daher nicht mehr verschrieben werden.“ Nach Schätzungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ist davon auszugehen, dass es durch die Verschreibung von Pillen mit hohem anstelle von Pillen mit niedrigem Thrombose-Risiko jedes Jahr zu zwei bis sieben zusätzlichen Thrombose-Fällen pro 10.000 Frauen kommt.
Bereits in den Jahren 2014 und 2018 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anhand von Rote-Hand-Briefen auf die unterschiedlich hohen Thrombose-Risiken verschiedener Antibabypillen hingewiesen und zur Verordnung von Pillen mit dem niedrigsten Risiko geraten. Tatsächlich ist der Anteil der Neuverordnungen von Pillen mit dem niedrigstem Thrombose-Risiko (Risikoklasse 1) in den letzten Jahren gestiegen und der Anteil von Pillen mit dem höchsten Thrombose-Risiko (Risikoklasse 3) zurückgegangen, zeigt die Auswertung der Bremer Wissenschaftler. Der Anteil der Neuverordnungen von Pillen mit dem niedrigsten Thrombose-Risiko stieg von 32 Prozent im Zeitraum 2005 bis 2007 auf 54 Prozent im Zeitraum 2015 bis 2017. Dagegen ging der Anteil der Pillen mit dem höchsten Risiko von 46 Prozent in den Jahren 2005 bis 2007 auf 33 Prozent in den Jahren 2015 bis 2017 zurück.
„Allerdings ist der Anteil der Neuverordnungen von Pillen mit dem niedrigsten Risiko immer noch zu gering“, kritisiert Haug. Immer noch entfielen allein 14 Prozent der Neuverordnungen auf Pillen mit Chlormadinon. Bei den Pillen der Risikoklasse 3 wurden Präparate mit Dienogest (22 % der Neuverschreibungen in den Jahren 2005 bis 2017), Desogestrel (11 %) und Drospirenon (9 %) am häufigsten verordnet.
Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Ergebnisse auch für Frauen über 20 Jahre gelten würden. „Diese Altersgruppe wurde in unserer Studie zwar nicht untersucht“, sagt Haug. „Aber internationale Studien deuten darauf hin, dass die gleichen Zusammenhänge auch für Frauen in anderen Altersgruppen gelten. Das relative Thrombose-Risiko der verschiedenen Pillen bleibt vermutlich mit zunehmenden Alter gleich – aber das absolute Thrombose-Risiko steigt deutlich an.“
Neue Antibabypillen seien also nicht automatisch besser, betont die Epidemiologin. „Problematisch ist, dass neue Präparate oft als ‚Pillen der 4. Generation‘ oder ähnlich bezeichnet werden. Das suggeriert, dass neu gleich besser ist“, so Haug. „Auch pauschale Aussagen wie ‚wenig Nebenwirkungen‘ könnten Gynäkologen dazu verleiten, solche Pillen zu verschreiben – trotz hohem oder unbekanntem Thrombose-Risiko.“ Möglicherweise werden Antibabypillen mit Chlormadinon oder Drospirenon oft wegen ihrer antiandrogenen Effekts bevorzugt verschrieben, der sich positiv auf die Haut – insbesondere auf Akne – und die Haare auswirken kann. „Vielleicht kommen Frauen und junge Mädchen häufig schon mit solchen Erwartungen in die Praxis“, sagt Haug. „Auf der anderen Seite lassen sich möglicherweise auch Frauenärztinnen und -ärzte durch Aussagen von Pharmavertretern dazu verleiten, vermehrt solche Pillen zu verschreiben.“
Wie könnte dem entgegengewirkt und die Verschreibungspraxis effektiv verändert werden? „Ich denke, die Rote-Hand-Briefe aus den Jahren 2014 und 2018 haben bereits dazu beigetragen, das Verschreibungsverhalten zumindest teilweise zu verändern“, sagt Haug. „Das ist der systematischste Weg, verschreibende Ärzte auf das Thema aufmerksam zu machen und sie dazu zu bringen, Pillen mit dem geringsten Thrombose-Risiko zu verschreiben.“
Neben Pillen mit Levonorgestrel haben auch einige Minipillen, die nur ein Gestagen, aber kein Östrogen enthalten, ein geringes Thrombose-Risiko. Bei anderen Minipillen ist dagegen noch wenig über das Thrombose-Risiko bekannt. Ein Nachteil bei diesen Präparaten ist, dass sie sehr regelmäßig und streng nach der Uhr eingenommen werden müssen, um eine zuverlässige Verhütung zu gewährleisten.
Bildquelle: Reproductive Health Supplies Coalition, Unsplash