Es klingt wie Science Fiction: Wissenschaftler haben Neuronen im Labor gezüchtet und ihnen beigebracht, eine Version des Videospiel-Klassikers Pong zu spielen. Wie haben sie das geschafft – und wozu überhaupt?
Das Videospiel Pong gilt als revolutionärer Klassiker. Es gehört zu den ersten Konsolenspielen überhaupt und war trotz – oder gerade wegen – seines simplen Spielprinzips äußerst beliebt: Mit der Vorform eines Joysticks wurden die zwei leuchtenden Striche, die Schläger, auf dem Bildschirm auf- und ab bewegt. Damit spielte man sich im Schneckentempo einen virtuellen Ball wie beim Tischtennis zu. Verfehlte man den Ball, ging der Punkt an den Gegner. Und das war’s.
Das einfache Spielprinzip wirkt aus heutiger Sicht ziemlich langweilig, aber Wissenschaftler lieben die Einfachheit von Pong. Immerhin lassen sich damit zum Beispiel die kognitiven Fähigkeiten von anderen Spezies, oder künstlicher Intelligenz (KI), untersuchen. Dabei haben Forscher schon den ein oder anderen ungewöhnlichen Pong-Spieler hervorgebracht.
Schweinen etwa konnte man beibringen, den Joystick mit ihrer Schnauze zu bewegen und so den Schläger auf dem Bildschirm zu kontrollieren. Und Experimente von Elon Musks Neurotech-Unternehmen Neuralink sollen zeigen, dass ein Affe mithilfe von Elektroden im Gehirn das Spiel allein durch die Kraft der Gedanken spielt (s. Video). Auch Googles KI-Algorithmus DeepMind hat schon erfolgreich den virtuellen Schläger geschwungen.
Jetzt haben Wissenschaftler um Brett Kagan, wissenschaftlicher Leiter des Tech-Start-Ups Cortical Labs aus Melbourne, einen neuen Pong-Spieler vorgestellt: ein neuronales Netzwerk in der Petri-Schale – von den Forschern Dish-Brain genannt. Dabei handelt es sich um in Zellkultur gezüchtete menschliche Neuronen, die mit tausenden von Elektroden ausgestattet sind. Die Neuronen spielen Pong aber nicht auf einem Bildschirm, sondern auf der Ebene von elektrischen Signalen.
Die Forscher brachten mit ihrem System den Neuronen bei, auf ein elektrisches Signal zu reagieren, das einen Ersatz für den Ball in Pong darstellt. Den Weg des Balls auf dem Spielfeld stellten die Forscher dar, indem sie Neuronen entlang des Weges des Balls relativ zum Schläger stimulierten. Antworten von Neuronen in einer anderen Region des Netzwerks wurden verwendet, um den Schläger nach oben oder unten zu bewegen. Die Neuronen sollten nun den Schläger bewegen, um den Ball zu treffen.
Um ihnen das beizubringen, machte sich das Team die Theorie zunutze, dass Neuronen dazu neigen, Aktivitäten zu wiederholen, die eine vorhersehbare Umgebung schaffen. Wenn die Neuronen auf eine Art und Weise reagierten, die dem Schlagen des Balls entsprach, wurden sie an einer Stelle und mit einer Frequenz stimuliert, die jedes Mal gleich war. Wenn sie den Ball nicht trafen, wurde das Netzwerk durch die Elektroden an zufälligen Stellen und mit unterschiedlichen Frequenzen stimuliert. Mit der Zeit lernten die Neuronen, den Ball zu treffen, um die vorhersehbare Antwort zu erhalten und nicht die zufällige.
Die Experimente von Cortical Labs sind nicht nur Spielerei. Die Arbeit sei ein prinzipieller Beweis dafür, dass Neuronen in einer Petri-Schale lernen und grundlegende Anzeichen von Intelligenz zeigen können, sagt Hauptautor Kagan. „In den gängigen Lehrbüchern werden Neuronen vor allem im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Biologie von Mensch und Tier betrachtet“, sagt er. „Aber ein Neuron ist ein erstaunliches System, das Informationen in Echtzeit und mit sehr geringem Stromverbrauch verarbeiten kann.“
Das große Ziel von Cortical Labs ist die Schaffung von „biologischen Prozessoren“ für den Einsatz in der Informatik. In Anlehnung an Soft- und Hardware von Computern wird die Interaktion von biologischen Zellen und technologischen Geräten manchmal auch als „Wetware“ bezeichnet. In der Medizin gäbe es zahlreiche Anwendungsgebiete dafür: von kabelloser Hirnaktivitätsmessung bis hin zur Steuerung von Prothesen oder Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Bei der Entwicklung von Medikamenten könnte man mit solchen Dish-Brains auch die Wirkung auf die neurologische Funktion untersuchen. Noch ist diese Technik zwar sehr weit weg von der Anwendung im echten Leben. Spannend sind Pong-spielende Neuronen aber allemal.
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