Was mich als Landärztin gerade umtreibt: Viel Geld wird an den falschen Stellen benutzt und verschwendet. Außerdem wissen Ärzte oft nicht, was ihre Kollegen tun. Das muss aufhören!
Stellt euch vor, ihr bringt euer Auto zum Ölwechsel in die Werkstatt und die Werkstatt berechnet neben dem Ölwechsel auch noch eine kleine Inspektion. Einige Wochen später braucht ihr Winterreifen – und auch dort wird wieder eine kleine Inspektion durchgeführt. Die zweite Werkstatt wusste natürlich nicht, dass die erste Werkstatt bereits eine Inspektion durchgeführt hatte (das steht auf dem Auto ja nicht drauf). Spätestens an der Stelle würdet ihr beim Anblick der Rechnung wahrscheinlich ziemlich mit den Zähnen knirschen, weil euch unnötige Kosten entstanden sind.
Bekanntermaßen ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, aber diese Analogie macht ein großes Problem unseres Gesundheitssystems deutlich: Niemand hat mehr einen Überblick, wer was gemacht hat und was dadurch an Kosten entstanden ist.
Stattdessen wird den Jung-Ärzten schon im Studium beigebracht, dass wir auf Kosten achten müssen (sinnvoll!), aber eben leider auch, dass es Leistungen gibt, die sich mehr lohnen als andere und an die man immer denken sollte. Und dass dafür die Indikation möglichst großzügig gestellt werden soll, damit die Abteilung ein gewisses finanzielles Polster hat, um unwirtschaftliche Maßnahmen auch durchführen zu können.
Ein befreundeter Anästhesist erzählte mir, dass ihm der Chirurg bei einer Schulter-TEP einer sehr alten und gebrechlichen Patientin ganz klar sagte, dass er die Indikation kritisch sähe. Er brauche aber das Geld, um die sehr komplizierte und kostenintensive Hand-OP bei einem jungen Mann machen zu können, für die das System nicht genug Geld einplane.
Das ist aus Sicht des Krankenhauses absolut verständlich und sinnvoll, damit es nicht pleite geht – und nach allem, was ich höre und lese, schreiben viele Krankenhäuser rote Zahlen. Aber insgesamt wird unser Gesundheitssystem dadurch immer teurer! Denn es wird ja so getan, als könne man Geld generieren. Spätestens seit Krankenhäuser am besten Gewinne machen sollen (die Anleger wollen ja ihre Rendite), darf sich auch niemand wundern, wenn die Kosten noch weiter explodieren. Das ist doch der helle Wahnsinn!
Wohlgemerkt: Ich kenne bislang genau eine Ausnahme von dieser Regel. Eine junge Schwangere, die mit ihrer Gynäkologin total unglücklich war, wollte zu einer anderen Gynäkologin wechseln. Es wurde aber gesagt, dass das erst zum Ende des Trimenons möglich sei: Denn bei den Gynäkologen ist es wohl so (zumindest wurde mir das gesagt), dass derjenige, der die Betreuung übernimmt, etwaige Doppeluntersuchungen einfach nicht gezahlt bekomme. So soll sicher Babyfernsehen bei verschiedenen Gynäkologen vermieden werden. War für diese Patientin echt doof, aber insgesamt kann ich es inzwischen verstehen.
Ein krasses Gegenbeispiel waren die Impfzertifikate: Ich habe mehrfach mitbekommen, dass Patienten nach der Impfung bei uns ein Zertifikat mitbekommen hatten, aber im Verlauf noch ZUSÄTZLICH zum Apotheker gegangen sind – und zwar oft genug nur mit dem Impfausweis und nicht mit unserem Zertifikat. Warum? Weil es dort auch die Scheckkarten-Zertifikate gab, die besser in die Tasche passten. Aber so, wie ich das verstanden habe, wurde da beides ausgestellt, weil ja auch von den Patienten der Ausweis vorgezeigt wurde. Das ist dann kein böser Wille des Apothekers, sondern ergibt sich aus den Umständen. Trotzdem entstehen pro Patient dann wieder Doppelbuchungen, nämlich 2 Euro bei uns in der Praxis und 6 Euro in der Apotheke, weil die das ja nicht mit der Praxisverwaltungssoftware machen. Da kommt bei der Menge an Patienten schon einiges zusammen. Und wenn jemand sein Zertifikat mal verloren hatte, ließ man sich auch mal eben ein neues ausstellen – kostete ja nichts. Zumindest nicht den Patienten.
Dazu kommen noch die, oft nicht als solche deklarierten, ärztlichen Zweitmeinungen, weil Patienten unsicher sind, ob sie z. B. doch eine OP durchführen lassen sollen, wie Gallenblase, TEP, Rücken-OP. Auch die können sicherlich im Einzelfall sinnvoll sein, gerade bei sehr belastenden invasiven Eingriffen – aber es gibt ja niemanden mehr, der da den Überblick behält.
So, genug der Problemdarstellung. Das kann in den Kommentaren gerne noch ergänzt werden. Aber was sind mögliche Lösungsansätze? Ich habe leider kein Gesamtkonzept – dafür habe ich als Landärztin auch nicht den Überblick. Ein paar Überlegungen habe ich aber.
Ganz blöde und banal: Die meisten Patienten haben keine Ahnung, was die verschiedenen Untersuchungen kosten. Und deswegen natürlich auch kein Problembewusstsein, wenn sie „nur mal eben zum MRT“ wollen oder nach Physiotherapie fragen, „weil die doch guttut“. Ich bezweifle nicht, dass die Physiotherapie guttut und bei vielen muskuloskelettalen Schmerzen auch wirklich therapeutisch toll hilft – aber wir werden es als Gesellschaft nicht schaffen, allen Büroarbeitern per Krankenkassenbeiträgen die wohltuende Massage zu finanzieren, die am häufigsten angefragt wird. Hinzu kommt: Der Personalmangel wird durch so was verschärft. Wenn man mit der Massage beschäftigt ist, kann man sich nicht um den Patienten kümmern, der zu mobilisieren ist nach OP. Also verstopfen wir das System und haben die Ressourcen nicht, die an anderer Stelle dringender benötigt werden. Ich glaube, dass es helfen würde, wenn Patienten erstmal sehen würden, was welche Untersuchung oder Therapie kostet.
Womit wir beim Thema Vorkasse wären. Das sehe ich allein aufgrund der abgerufenen Beträge schon sehr kritisch. Ich habe von mehreren Ländern (u. a. USA) gehört, wo Patienten dann abgewiesen wurden, weil klar war, dass sie definitiv nicht in Vorleistung für die Rechnung treten können. Das will ich auf keinen Fall.
Aber wie animiert man jemanden zum Sparen, der nicht merkt, dass es letztlich sein eigenes Beitrags- und Steuergeld ist, was verpulvert wird, wenn wir wirklich alles möglich machen? Denn im jetzigen System wird derjenige belohnt, der a) gut abrechnen kann und b) viel Geld bringende Leistungen erbringt. Das heißt nicht, dass der Patient dabei gut versorgt sein muss. Jeder Eingriff birgt ein Risiko und das muss IMMER durch die medizinische Indikation abgesichert sein und gut abgewogen werden.
Und die 10 Euro Praxisgebühr haben wir ja ausprobiert – das hat es wirklich nicht gebracht. Höhere Beiträge wirken gerade bei den niedrigeren sozialen Schichten, die eine gute und intensive medizinische Versorgung nötig hätten, eher abschreckend. Was wahrscheinlich viel bringen würde: Medizinische Kompetenz in der Bevölkerung stärken – damit die Leute sich selbst helfen können und gar nicht erst zum Arzt gehen. Das wäre in Kombination mit den Rechnungen eine gute Maßnahme.
Insgesamt würde mich auch der internationale Blick interessieren: Wie klappt es in anderen Ländern besser und was kann man sich abschauen? Über Ideen in den Kommentaren würde ich mich sehr freuen – denn so kann es nicht weitergehen.
Zumindest einen Fürsprecher der Rechnungs-Idee habe ich noch gefunden, mit dessen Zitat ich hier enden möchte – Sir Alec Guiness: „Nichts beschleunigt die Genesung so sehr wie regelmäßige Arztrechnungen.“
Hoffen wir es!
Bildquelle: Andre Taissin, Unsplash