Das Dopamin-Pulver nicht zu schnell verschießen: Diese Auffassung ist bei der Parkinson-Therapie vielfach anzutreffen – bei Laien, aber auch einigen Ärzten. Zurecht?
Die Parkinson-Erkrankung gehört zu den am besten beforschten neurologischen Erkrankungen. Entsprechend oft habe es in den letzten 30 Jahren neue Erkenntnisse gegeben, die die Vorstellung von der Erkrankung neu geprägt hätten, sagt Dr. Tobias Piroth von der Neurologischen Klinik am Kantonsspital Aarau. Im Rahmen der Brainweek 2022 nahm sich Piroth eines noch immer nicht ganz ausgerotteten Mythos an, der auf ältere, mittlerweile überholte Forschungen zur Parkinson-Erkrankung zurückgeht. Er besagt, dass es ein Risiko sei, zu früh mit einer medikamentösen Behandlung zu beginnen, weil einem dann irgendwann nichts mehr bleibe.
Die medizinische Frage, die hinter diesem Mythos steht, lautet: Beeinflussen Dopamin- bzw. L-Dopa-basierte Therapien beim Morbus Parkinson den langfristigen Erkrankungsverlauf negativ? Dass diese Therapien symptomatisch extrem effektiv sind, ist völlig unstrittig und im Alltag der Parkinson-Versorgung tagtäglich zu besichtigen. Aber es könnte doch sein, dass die ohnehin depletierte, körpereigene Dopaminproduktion noch schneller nachlässt, wenn extern Dopamin oder dessen Vorstufen und Analoga permanent nachgeladen werden. So à la: Die Substantia Nigra muss sich dann ja gar nicht mehr selbst anstrengen.
Die neurologische Forschung hat diese Befürchtungen ernst genommen. Und am Anfang gab es gemischte Signale. Eine wichtige Studie war die ELLDOPA-Studie, ein Parkinson-Studienklassiker, bei dem vor bald 20 Jahren drei unterschiedliche Dosierungen von L-Dopa und Placebo über 40 Wochen gegeben wurden. Ausgewertet wurde im Hinblick auf klinisches Abschneiden und auf Abschneiden im DAT-SPECT, das die dopaminproduzierenden Zellen der Substantia Nigra visualisiert. Klinisch ging es den Patienten mit L-Dopa-Therapie klar besser. Im DAT-SPECT dagegen sei der Befund diskret schlechter gewesen, so Piroth. Dem Mythos der längerfristig eher schädlichen L-Dopa-Therapie gab das damals ordentlich Nahrung. Aber es gab von Anfang an auch Zweifel an diesem Mythos – und es wurden weitere Studien gefordert.
Die kamen, unter anderem, in Form der LEAP-Studie, in der Parkinson-Patienten 40 Wochen lang mit 300 mg L-Dopa oder Placebo therapiert wurden, bevor die Placebo-Patienten dann ebenfalls auf L-Dopa umgestellt wurden. Endpunkte waren der Parkinson-spezifische UPDRS-Score und die Lebensqualität. Über die ersten 40 Wochen gab es glasklare Vorteile für die L-Dopa-Patienten in beiden Dimensionen.
Nach dem Switch zu L-Dopa in der Placebo-Gruppe glich sich das an und die Kurven verliefen ab einem gewissen Zeitpunkt bis Woche 80 nahezu deckungsgleich. „Wir können deswegen sagen: Es scheint keinen krankheitsmodifizierenden Effekt zu geben, in keiner Richtung“, so Piroth. Anders formuliert: Wer eine Behandlung mit L-Dopa verzögert, der enthält den Patienten einen symptomatischen Nutzen vor, ohne dass der Patient dafür prognostisch belohnt würde.
Neben der Sorge um negativ krankheitsmodifizierende Effekte von Dopamin-basierten Therapien, gibt es noch eine zweite Sorge im Zusammenhang mit diesen Medikamenten: Praktisch alle Patienten, die entsprechend behandelt werden, erleben früher oder später – in Europa meist nach einigen Jahren – belastende Fluktuationen der Effektivität. Könnte das ein Effekt der Dauerbehandlung sein? Und könnte es deswegen vielleicht Sinn machen, den Behandlungsbeginn anfangs hinauszuzögern?
Auch hier gabs vom Neurologen Piroth ein klares Nein. Erkenntnisreich sind Veröffentlichungen aus einem neurologischen Kooperationsprojekt, bei dem europäische und hier insbesondere italienische Neurologen mit Neurologen in Ghana zusammengearbeitet haben. Eine erste Publikation aus diesem Kooperationsprojekt, bei dem es auf höherer Ebene darum ging, die Parkinson-Versorgung in dem afrikanischen Land zu verbessern, gab es schon 2014. Patienten aus Italien, die typischerweise sehr früh im Erkrankungsverlauf behandelt werden, wurden verglichen mit Patienten aus Ghana, bei denen die Therapie (damals) im Mittel einige Jahre später startete.
Die Auswertung der Therapiewirksamkeit zeigte, dass bei den italienischen Patienten die Fluktuationen, ähnlich wie das in Deutschland gesehen wird, nach einigen Jahren Therapie begannen. In Ghana dagegen war der Zeitraum ohne Fluktuationen viel kürzer, im Mittel nur einige Monate. Dies spricht Piroth zufolge stark dafür, dass es die fortschreitende Erkrankung sei, und nicht die mehrjährige Therapie, die zu den Fluktuationen der Wirksamkeit dopaminbasierter Therapien führe, so Piroth.
Und noch etwas konnte das Italien-Ghana-Projekt in einer erst kürzlich vorgelegten Publikation zeigen: Das prinzipielle Ansprechen auf eine L-Dopa-Therapie ist nach 12 bzw. 48 Monaten Therapie nicht geringer als zu Beginn. Es gibt im Gegenteil sogar Hinweise, dass es besser ist und durch den routinemäßig durchgeführten L-Dopa-Test deutlich unterschätzt wird. Dass trotzdem immer mehr Medikamente im Verlauf nötig werden, liege nicht an medikamentöser Tachyphylaxie, sondern daran, dass die Parkinson-Erkrankung fortschreitet und die endogenen Dopamin-Kapazitäten immer weiter erschöpften. „Parkinson-Medikamente schädigen nicht das Gehirn“, so Piroths Fazit. „Es findet keine Gewöhnung und auch kein allgemeines Nachlassen der Wirkung statt.“
Bildquelle: Laurin Steffens, unsplash.