Warum treten Metastasen häufig erst dann auf, wenn der ursprüngliche Krebsherd entfernt wurde? Darauf gab es bisher keine Antwort. Wissenschaftler haben jetzt einen Faktor identifiziert, der klare Antworten liefert.
Bei vielen Krebspatienten bilden sich lebensbedrohliche Metastasen erst dann, wenn der ursprüngliche Krebsherd chirurgisch entfernt wurde. Die Ursachen für dieses Phänomen sind bislang wenig verstanden. Experten gehen davon aus, dass sowohl das Immunsystem eine Rolle spielt, als auch angiogene Faktoren, die den Anschluss der Metastasen an das Blutgefäßsystem beeinflussen. Ab einer gewissen Größe sind die Tochtergeschwülste auf die Versorgung durch Blutgefäße angewiesen.
Forscher konnten bereits vor einigen Jahren zeigen, dass Tumoren in Abhängigkeit von der Gewebeumgebung entweder Botenstoffe abgeben, die die Gefäßneubildung fördern oder diese unterdrücken.
Ein Forscherteam hat nun den Botenstoff Angiopoietin-like 4 (ANGPLT4) unter die Lupe genommen. „Wir sind auf ANGPLT4 aufmerksam geworden, weil zu diesem Faktor viele widersprüchliche Veröffentlichungen vorliegen“, so Studienleiter Hellmut Augustin. „Während ANGPLT4 zunächst als fördernd für die Gefäßneubildung beschrieben wurde, konnten andere Untersuchungen das genaue Gegenteil nachweisen und zeigen, dass ANGPLT4 die Entstehung von Metastasen hemmt.“
In einer umfassenden Studie konnten Augustin und sein Team nun einen überraschenden Mechanismus aufklären: Unter 38 verschiedenen Botenstoffen, die auf die Gefäßbildung und möglicherweise auf die begleitende Resistenz einwirken, fand sich ANGPLT4 als eines der am stärksten mit fortschreitendem Tumorwachstum korrelierenden Moleküle. Der Botenstoff wird von Zellen des Primärtumors gebildet und fördert lokal dessen Wachstum. Wird der Botenstoff jedoch in die Blutbahn abgegeben, dann wird er gespalten. Die beiden Spaltprodukte werden als nANGPLT4 und cANGPLT4 bezeichnet. Aus bislang unklaren Gründen findet sich im Serum fast ausschließlich das n-Fragment (nANGPLT4). nANGPLT4 bindet jedoch an einen anderen Rezeptor als das intakte Molekül oder das c-Fragment.
Dieser Rezeptorwechsel führt dazu, dass das Gefäßwachstum und damit das Metastasenwachstum unterdrückt wird. Das belegten die Forscher in zahlreichen Versuchsansätzen. So bildeten auf Mäuse übertragene Tumoren nach Behandlung mit dem n-Fragment weniger Absiedlungen und die Tiere überlebten länger.
„Natürlich bleibt die chirurgische Entfernung der Primärtumoren der Goldstandard“, sagt Studienautor Moritz Fecht. „Aber wir verstehen jetzt, dass damit gleichzeitig die Quelle für das Metastasen-unterdrückende n-Fragment versiegt. Fehlt nANGPLT4, so können einzelne schlafende metastasierte Tumorzellen aktiv werden und zur gefährlichen Makrometastase auswachsen.“ Durch die Spaltung des Proteins können die Forscher nun die widersprüchlichen Ergebnisse vorheriger Studien erklären. Das Forscherteam möchte nun weiter an ANGPLT4 forschen, um weitere Wirkstoffe zu entwickeln, die Metastasen unterdrücken können.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Rowan Freeman, unsplash