Ärzte und Apotheker klagen über Lieferengpässe bei Impfstoffen. Das Problem hat sich 2014 weiter zugespitzt. Dahinter stecken nicht nur falsche Anreize des Gesetzgebers. Vielmehr kommt es zu einer starken Markt-Monopolisierung. Ohne politisches Eingreifen sieht es düster aus.
Ein altes Lied: Anfang 2014 wurden Vakzine zur Vierfachimpfung gegen Mumps, Masern, Röteln und Windpocken sowie Einzelimpfstoffe gegen Windpocken rar. Ein Gelbfieber-Impfstoff ließ sich ebenfalls nicht beschaffen. Im Oktober kamen Lieferengpässe bei Meningokokken-C-Impfstoffen mit hinzu. Einen Monat später warnte sogar Dr. Sang-Jin Pak, Deutschland-Geschäftsführer von GlaxoSmithKline (GSK), vor Engpässen bei Grippeimpfstoffen.
Laut Pak führe die Ausschreibungspraxis der Krankenkassen zu einer Monopolisierung des Impfstoffmarktes. Auf einzelne Firmen entfallen bis zu 70 Prozent der Lose. Für kleine Hersteller ist es kaum mehr möglich, gegen Giganten der Branche mitzubieten – sie konzentrieren sich eher auf patentgeschützte Originalpräparate. „Preis- und Erstattungsregelungen für Arzneimittel tragen sowohl im ambulanten wie im Klinikbereich dazu bei, dass Arzneimittelhersteller bestimmte Arzneimittel oder Darreichungsformen nicht mehr anbieten können“, schreibt der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Entsprechende Argumente überzeugen nur teilweise – an einer europäischen Richtschnur gemessen liegen die Preise im oberen Bereich. Zu diesem Fazit kommt der Sachverständigenrat zur Begutachtung von Entwicklungen im Gesundheitswesen. Und Schwarz-Rot verhält sich momentan eher passiv. „Die Bundesregierung hat aktuell keine Kenntnisse, dass Rabattverträge nach § 130a Absatz 8 SGB V zu gravierenden Veränderungen der Marktstruktur bei den pharmazeutischen Herstellern geführt haben“, heißt es als Antwort auf eine Anfrage.
Bleibt noch, die Lagerhaltung kritisch in Augenschein zu nehmen. Viele Hersteller folgen dem unternehmerischen Gedanken, „just in time“ zu produzieren. Alternativ schätzen sie den Bedarf anhand von Vorjahreswerten. Lagerbestände sind gebundenes Kapital – und das gilt es zu vermeiden. Nur lassen sich zusätzliche Chargen bei Impfstoffen nicht von heute auf morgen herstellen. Hier fehlen staatliche Regulationen. Während beispielsweise Apotheken nach Paragraph 52b Arzneimittelgesetz (AMG) „mindestens den durchschnittlichen Bedarf für zwei Wochen“ zu decken haben, gibt es für Hersteller keine adäquaten Vorgaben. Werden Chargen eines Impfstoffs nicht freigegeben oder vergrößert sich die Nachfrage, merken das die Patienten sofort.
Entsprechende Hintergründe sind jedoch komplexer. In kaum einer anderen Branche sind Konzerne so oft damit beschäftigt, ihr Portfolio zu bereinigen, neue Sparten zu erwerben oder mit anderen Firmen zu fusionieren. Zuletzt übernahm GlaxoSmithKline (GSK) die Impfsparte von Novartis, ausgenommen Influenza-Vakzine. Im Gegenzug erhielt der Schweizer Konzern den Sektor Krebsmedikamente. Eli Lilly wiederum erwarb von Novartis den Bereich Tierarzneimittel. Und last, not least, schnappt sich CSL das Segment Grippeimpfstoffe von Novartis. In entsprechenden Entwicklungen stecken John LaMattina zu Folge große Gefahren. LaMattina hat früher selbst bei Pfizer gearbeitet, heute kommentiert er das Geschehen für verschiedene Medien. Er warnt vor weniger Wettbewerb, weniger Innovation und letztlich auch vor Versorgungsengpässen. Ein Ende dieser Tendenz ist laut Ernst & Young nicht absehbar. Gerade für große Pharmaunternehmen werde es immer schwieriger, mit dem Wachstum des Gesamtmarkts Schritt zu halten, so die Unternehmensberatung. Zu ähnlichen Resultaten kommen Analysten von Pharmabiz. Um den Anschluss nicht zu verlieren, müssten die weltweit 16 umsatzstärksten Konzerne bis zum Jahr 2015 ein Umsatzplus von insgesamt 100 Milliarden US-Dollar erwirtschaften. Ihnen bleibt nur, Wachstumslücken durch Akquisitionen zu schließen oder Innovationen einzukaufen. So paraphierte MSD kürzlich Lizenzvereinbarungen, um einen möglichen Ebola-Impfstoff exklusiv zu vermarkten. Das viel versprechende Konstrukt rVSV-EBOV kommt von NewLink Genetics und von der Public Health Agency of Canada (PHAC). Kein Einzelfall: „Weltweit suchen Konzerne nach aussichtsreichen Technologien unter anderem von Start-Ups, um die Medikamenten-Pipeline mit Hinblick auf auslaufende Patente zu füllen und die Medikamentenentwicklungszeit zu verkürzen“, heißt es vom High-Tech Gründerfonds Bonn. Innovationen aus dem eigenen Labor sind selten geworden.
Von der Forschung zurück in die Praxis: „Auf dem deutschen Markt werden Impfstoffe für die Standardimpfungen im Kindes- und Jugendalter nur noch von vier Pharmafirmen angeboten“, kritisiert die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin. Ärzte und Apotheker überlegen schon lange, was sich gegen Lieferengpässe unternehmen lässt – speziell bei Impfstoffen. Von zentralen Registern hält Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), wenig. Er fordert ein Ende der Ausschreibungen, bislang ohne Erfolg. Beim „Berliner Dialog am Mittag“ schlugen Industrie und Kassen vor, gemeinsam Alternativen zu Rabattverträgen zu entwickeln. Apotheker haben ebenfalls Lösungen parat: „Es ist zu prüfen, ob neben der Schaffung einer nationalen Reserve nicht gegebenenfalls sogar das Paul-Ehrlich-Institut oder andere Institutionen Impfstoffe herstellen können.“ Dieser Leitantrag wurde beim letzten Apothekertag mit breiter Mehrheit angenommen. Jetzt muss die Politik Farbe bekennen.