Ich höre immer öfter, dass meine PTA- und Apothekerkollegen Medikamente einfach so rausgeben – auch, wenn ein Arztbesuch unbedingt nötig wäre. Ich finde das erbärmlich.
Als ich meine Berufsausbildung begonnen habe, schien es allgemein irgendwie wichtiger zu sein, dass man etwas Sinnvolles empfiehlt. Wenn ein Patient besser beim Arzt aufgehoben ist als bei uns, dann wurde uns eingebläut, ihn ohne etwas wegzuschicken, damit er eine schwerwiegende Erkrankung nicht verschleppt.
Das habe ich bis heute beherzigt, und meine Kollegen tun das ebenso. Gerade in den vergangenen Tagen hatten wir so einen Fall, in dem Sandra eine Kundin wieder weg schickte, die – vermutlich ausgelöst durch übermäßige sportliche Aktivitäten und Stress – einen Tinnitus erlitten hat. Die Kundin hatte sich selbst im Internet belesen und wollte ein Ginkgo-Präparat kaufen. Es wäre wohl das einfachste der Welt gewesen, sie einfach mit irgendeiner Pille glücklich zu machen. Die Kasse hätte geklingelt, es hätte vermutlich nicht geholfen, aber hey – sie hat es doch gewollt, oder?
Über einen ähnlich gelagerten Fall hat aktuell ein Apotheker aus dem Notdienst bei Facebook berichtet, und dafür sehr viel Häme aus den eigenen Reihen erhalten:
Eine junge Kundin mit HWI und schweren Symptomen möchte einen Harntee, obwohl nebenan ein Arzt seinen Dienst tut. Der Apotheker hat ihr erklärt, warum das keine gute Idee ist, und sie ohne Harntee weggeschickt, obwohl sie nicht zum Arzt gehen wollte. Später hat ihr Ehemann angerufen und den Apotheker beschimpft, er hätte „einen an der Waffel“ und müsste (!) seiner Frau das abgeben, auch wenn es gegen sein Wissen und Gewissen gehe.
Im Netz wurde der Apotheker dann auch noch von seinen Kollegen in der Facebook-Gruppe belehrt, er hätte ihr doch etwas abgeben sollen, die Dame sei schließlich aufgeklärt worden und mündig. Er hat den Thread dann letztlich gelöscht, vermutlich weil er sich über das Unverständnis geärgert hat. Ich kann das sogar nachvollziehen.
So unterschiedlich wird der Sachverhalt also inzwischen bewertet. Wer etwas haben will, bekommt das auch – trotz besseren Wissens. Ich finde das erbärmlich. Damit sind wir keinen Deut besser als die Shops im Internet, über die sich so viele aufregen. Da kann man auch 20 Nasensprays vergünstigt einkaufen, wenn man den „Achtung, nicht länger als 1 Woche am Stück anwenden“-Button wegklickt. Es wurde doch informiert, oder? Was juckt mich mein schlechtes Gewissen? Das füllt mir abends nicht den Magen.
Eine heuchlerische Bande ist das. Zum Glück arbeite ich mit Chef und Kollegen zusammen, die sich noch im Spiegel ansehen können!
Bildquelle: Alexandra Mirgheș, Unsplash