Wie entsteht eigentlich eine Arthrose – und wie helfen uns Astronauten, die Krankheit besser zu verstehen? Findet es hier heraus!
Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland sind von Arthrose betroffen. Bei dieser Erkrankung hat sich die schützende Knorpelschicht in den Gelenken so weit zurückgebildet, dass Bewegungen schmerzen und die Beweglichkeit deutlich eingeschränkt sein kann. Bei fortgeschrittener Arthrose ist oft ein künstliches Gelenk notwendig. Besonders arthrosegefährdet sind ältere Menschen und Menschen mit Übergewicht. So leiden ab dem 60. Lebensjahr etwa die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer an Arthrose.
Untersuchungen legen nahe, dass Bewegung dazu beitragen kann, den Abbauprozessen im Gelenk entgegenzuwirken und den Knorpel zu erhalten. Es wird angenommen, dass sie die Produktion knorpelerhaltender Substanzen anregt und dazu beiträgt, Nährstoffe in und Abfallprodukte aus dem Knorpel zu transportieren. Jedoch sind dabei Art und Charakteristik der Belastung von entscheidender Bedeutung. Eine vorübergehende zu geringe mechanische Belastung, zum Beispiel durch wenig Bewegung oder Immobilisierung, aber auch eine unphysiologische, zu hohe Belastung, zum Beispiel durch Gelenkfehlstellungen und Verletzungen, etwa des Meniskus, sind Risikofaktoren für Arthrose. Sie setzen Abbauprozesse in Gang, die mit der Zeit zu Schädigungen des Gelenks führen.
Eine Forschergruppe an der Deutschen Sporthochschule Köln untersucht seit mehreren Jahren, wie sich mechanische Belastung durch Bewegung sowie Entlastung durch Immobilisation und Mikrogravitation auf den Gelenkknorpel auswirken. Dabei interessiert sie insbesondere die Rolle bestimmter biochemischer Marker des Knorpelstoffwechsels, so genannte Knorpel-Biomarker. Das sind zum Beispiel Bestandteile des Knorpelgewebes und ihre Abbauprodukte, wie Zytokine, die aus dem Knorpel austreten.
„Die Zusammenhänge von mechanischer Belastung und den Prozessen, die im Gelenkknorpel stattfinden, sind bisher nicht vollständig verstanden und es gibt dazu nur wenige Langzeitstudien“, sagt Prof. Anja Niehoff. Sie ist Leiterin der Abteilung für Gewebemechanik und Mechanobiologie am Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln. „Biomarker für den Stoffwechsel des Knorpels und für Arthrose zu finden, ist derzeit ein großes Forschungsfeld. Das könnte es ermöglichen, Stoffwechselprozesse im Gelenkknorpel bei mechanischer Belastung und Abbauprozesse bei Arthrose zu bestimmen und besser zu verstehen.“ So ließe sich die Wirkweise von Medikamenten auf den Knorpel genauer untersuchen und es könnten Methoden entwickelt werden, um Abbauprozessen im Gelenk entgegenzuwirken.
„Ein Vorteil von Biomarker-Analysen im Blut oder Urin ist, dass sie weniger aufwändig und günstiger sind als bildgebende Verfahren wie die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) oder invasive Verfahren zur Untersuchung des Gelenkknorpels“, sagt die Forscherin. So werden die Biomarker auch in Zusammenhang mit Abbauprozessen bei Arthrose untersucht, etwa in einem Biomarker-Projekt der Osteoarthritis Research Society International (OARSI).
In einer Studie untersuchten die Wissenschaftler um Niehoff und die Doktorandin Maren Dreiner nun, wie sich verschiedene Charakteristiken von körperlicher Belastung auf den Stoffwechsel im Knorpel auswirken. Dabei erfassten sie erstmals sieben verschiedene Knorpel-Biomarker gleichzeitig. Zu ihnen gehören das Protein COMP (Cartilage Oligomeric Matrix Protein), das Hormon Resistin und das Enzym MMP-3 (Matrix-Metalloprotease-3).
„Bisher ist bekannt, dass Resistin bei Entzündungen und COMP bei Arthrose im Serum stark erhöht ist“, berichtet Niehoff. „Auf der anderen Seite sind die Konzentrationen von COMP und MMP-3 im Serum auch direkt und bis zu mehreren Stunden nach körperlicher Aktivität erhöht und gehen dann wieder auf ihr Ausgangslevel zurück. Deshalb geht man davon aus, dass diese akute Zunahme der Biomarkerkonzentration im Blut auf einen erhöhten Stoffwechsel und kurzfristige Umbauprozesse im Gelenkknorpel hindeutet – und nicht unbedingt auf Schädigungen.“ Langfristig ist das Ziel ihrer Studien, anhand der Biomarker zu erkennen, ob ein gesunder Stoffwechsel stattfindet, oder ob bereits Abbauprozesse im Gelenkknorpel eingesetzt haben.
An der Untersuchung nahmen 15 junge, gesunde männliche Probanden (Durchschnittsalter: 26 Jahre) teil, die an zwei Tagen im Abstand von etwa einer Woche 30 Minuten lang zwei unterschiedliche sportliche Aktivitäten ausführten – nämlich Laufen und Springen. Beim Laufen sollten sie bei moderatem Tempo 30 Minuten auf einem Laufband laufen, beim Springen innerhalb dieser Zeit 15 Mal 15 Sprünge mit möglichst kurzer Bodenkontaktzeit ausführen. „Während das Laufen eine kontinuierliche und moderate mechanische Belastung darstellt, ist beim Springen die Belastung auf das Gelenk und den Knorpel kurzfristig bei jedem Sprung sehr hoch“, erläutert Dreiner. Um die Konzentration der Knorpel-Biomarker im Blutserum im Zeitverlauf zu erfassen, wurde den Probanden vor der körperlichen Aktivität sowie direkt nach der Bewegung und 30 und 60 Minuten später Blut abgenommen. Die Hypothese der Forscher lautete: Je höher die Werte der Biomarker nach dem Sport sind, desto stärker wurde der Knorpelstoffwechsel angeregt und Umbauprozesse in Gang gesetzt.
Die Auswertung der Daten ergab: Bei allen sieben Biomarker zeigte sich eine Reaktion auf die mechanische Belastung. COMP und MMP-3 stiegen dabei beim Laufen signifikant stärker an als beim Springen – und zwar direkt nach der Belastung und auch im weiteren Verlauf. Weiterhin wurden signifikante Korrelationen zwischen den verschiedenen Biomarkern beobachtet. Anzumerken ist dabei, dass die Zahl der Versuchsteilnehmer gering war und dass nur junge, männliche Probanden untersucht wurden.
„Die Ergebnisse waren für uns zunächst überraschend. Denn beim Springen wirken höhere Kräfte auf den Knorpel, so dass wir vermutet haben, dass Springen zu höheren Werten bei den Biomarkern führt“, berichtet Dreiner. „Wir interpretieren die Ergebnisse so, dass es durch Laufen zu umfangreicheren Umbauprozessen im Knorpel kommt. Sie sind nach der kurzen, moderaten Belastung eher als positive Anpassung einzuschätzen.“ Allerdings ist dies bisher spekulativ. Ob Laufen tatsächlich förderlicher für die Knorpelgesundheit ist als Springen, müsse in weiteren Studien noch untersucht werden, betonen die Wissenschaftler.
„Der Vorteil unserer Studie ist, dass wir mehrere Biomarker gleichzeitig erfasst haben und so die Zusammenhänge zwischen ihnen untersuchen konnten“, sagt Niehoff. „Ob beziehungsweise wann die Knorpel-Biomarker auf positive oder negative Prozesse im Gelenkknorpel hindeuten, muss jedoch in weiteren Studien untersucht werden. Wichtig sind vor allem Langzeitstudien, in denen der Zusammenhang der Biomarker mit Prozessen der Gelenkdegeneration über mehrere Jahre erfasst wird – oder auch ihre Veränderungen bei Belastungen unterschiedlicher Art, Dauer und Stärke.“ Dies könnte auch dazu beitragen, geeignete Trainingsprotokolle für Arthrose-Patienten oder zur Vorbeugung von Arthrose zu entwickeln.
In weiteren Studien untersuchen die Kölner Wissenschaftler unter anderem die Auswirkungen von reduzierter mechanischer Belastung auf die Knorpel-Biomarker – etwa in einer Studie, in der die Probanden 21 Tage ununterbrochen im Bett in einer 6-Grad-Kopftieflage verbringen.
In Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der NASA werden Knorpel-Biomarker und morphologische Veränderungen der Gelenkknorpel bei Astronauten während der Schwerelosigkeit und nach ihrer Rückkehr auf die Erde untersucht. „Dabei hat sich gezeigt, dass die Schwerelosigkeit an sich nicht zu kritischen Veränderungen führt. Aber bei der Rückkehr auf die Erde schießen die Knorpel-Biomarker in die Höhe“, berichtet Niehoff. „Deshalb ist es für die Betroffenen wichtig, die Gelenke nicht gleich wieder voll zu belasten, sondern die Belastung langsam zu steigern.“
In einer Hinsicht können die Ergebnisse bereits jetzt für Menschen mit Arthrose hilfreich sein. „Um ihren Gelenkknorpel möglichst gut zu erhalten und dem Fortschreiten der Erkrankung vorzubeugen, sollten sie so lange wie möglich körperlich aktiv sein“, betont Niehoff. „Dabei sollten sie eine moderate Form der Belastung wählen.“ Denn auch eine hohe, stoßartige Belastung der Gelenke ist ein Risikofaktor für Arthrose. Zudem kann Bewegung zum Aufbau von Muskulatur beitragen, was die Gelenke entlastet. Die Deutsche Arthrose-Hilfe empfiehlt Sportarten wie Schwimmen oder Fahrradfahren in niedrigen Gängen. Ebenfalls sinnvoll sein können Krankengymnastik und physikalische Therapie.
Bildquelle: Towfiqu barbhuiya, unsplash