Wahrnehmungsbasierte Verzerrungsfehler beim Kartenlesen sind nicht völlig unberechenbar, sondern bei den meisten Menschen sehr ähnlich. Durch kartographische Elemente, die auf grundlegende Gedächtnisstrukturen abgestimmt sind, wird die Informationsübertragung erleichtert.
Erste rechts, zweite links, ein Stück geradeaus: Wer sich solche Informationen über einen geplanten Weg aus einer Karte heraussucht, merkt sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht den realistischen Weg. Denn sogenannte kognitive Karten geben die Wirklichkeit nur verzerrt wieder. Allerdings sind die Verzerrungen oft systematisch: Die meisten Menschen machen dabei die gleichen Fehler. Das gibt Kartographen die Chance, Karten an diese menschlichen Eigenheiten anzupassen und sie so lesbarer zu machen. „Ganz typisch ist zum Beispiel, dass Nutzer nach der Planung eines Weges mit einer Karte Strecken unter- oder überschätzen, oder meinen, sie müssten ziemlich rechtwinklig abbiegen, auch wenn das gar nicht stimmt“, erklärt Prof. Dr. Frank Dickmann (Fachbereich Kartographie). Mit Kollegen aus der Psychologie um Juniorprofessor Dr. Lars Kuchinke ging er diesen Verzerrungen auf den Grund und stellte fest: Sie sind nicht völlig unberechenbar und willkürlich, sondern bei den meisten Menschen sehr ähnlich.
Im DFG-Projekt „Wirkung höherer Kognitionsprinzipien in statischen und dynamischen Karten auf die Vermittlung von Rauminformationen“ konnten die Forscher zeigen, dass das Einfügen geeigneter kartographischer Elemente den Nutzern das Kartenlesen erleichtert. Dazu gehören etwa künstliche Gitterlinien oder das Akzentuieren vorhandener Kartenelemente wie Straßen. „Diese Elemente tragen zur visuellen Strukturierung der Karteninhalte bei, selbst wenn sie optisch nur in sehr zurückgenommener Form in den Karten enthalten sind, zum Beispiel als feine Gitterkreuze“, erklärt der Geograph.
Mitunter bemerkten die Versuchspersonen das Vorhandensein der feinen Hilfslinien gar nicht. Offensichtlich wird jedoch die Informationsübertragung durch solche kartographischen Visualisierungen, die auf grundlegende Wahrnehmungs- und Gedächtnisstrukturen abgestimmt sind, erleichtert. Damit lassen sich wahrnehmungsbasierte Verzerrungsfehler entscheidend minimieren. Durch den weniger stark verzerrten Aufbau des mentalen Raummodells stieg auch die Erinnerungsleistung für die Position bestimmter Objekte wie Sehenswürdigkeiten. Das verbessert auch die Fähigkeit zur Raumorientierung (Navigation). „Darüber hinaus konnten wir nachweisen, dass die Versuchspersonen sogar Ortsnamen deutlich besser behalten können, wenn Gitterlinien in Karten eingetragen sind“, erklärt Prof. Dickmann. Mit feinen Gitterkreuzen versehene topographische Karte. Die Gitterkreuze strukturieren das Kartenbild und rufen beim Lernen von Rauminformationen eine verbesserte Gedächtnisleistung hervor. © Geobasis NRW
Ziel eines DFG-Folgeprojektes ist es nun, Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung von Karteninformation und der Ausprägung einer möglichst vollständigen und genauen „mental map“ zu erkennen. Die Forscher versuchen, durch die Blickbewegungsmessung Erkenntnisse über die Prozesse zu gewinnen, die diesen Effekten zugrundeliegen. In einer Reihe von Experimenten wollen sie etwa klären, ob Kartennutzer während des Enkodierens von Karteninhalten auf Gitterlinien selbst fokussieren oder ob diese Elemente eher parafoveal wahrgenommen werden. Solche Erkenntnisse tragen unmittelbar dazu bei, die Entstehungsbedingungen von räumlichen Hierarchisierungen besser verstehen und steuern zu können. „Informationen hierüber sind entscheidend für die praktische Kartenkonstruktion, das heißt die kartographische Ausgestaltung und Anordnung von Gitterlinien, Gitterkreuzen oder sonstigen Strukturelementen im Rahmen der Kartenkommunikation“, erläutert Prof. Dickmann. Originalpublikation: Grids in Topographic Maps Reduce Distortions in the Recall of Learned Object Locations D. Edler et al.; PLOS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0098148; 2014