Nicht nur Liebe geht durch den Magen – offenbar auch unsere Entscheidungen. Kann man sie über die Ernährung beeinflussen oder gar verändern? Dieser Frage sind deutsche Forscher nachgegangen und haben spannende Ergebnisse geliefert.
„Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einer Eisdiele. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie vermutlich niemals Eis im Mund, Sie können sich nur vorstellen, wie es wäre, das Eis jetzt zu essen – und müssen dann auf Basis dessen eine Entscheidung treffen. Ihre Vorstellung vom Eisgeschmack und der Belohnungswert von Eis sollten sich bestenfalls mit dem später erlebten tatsächlichen Eisessen decken“, leitet Prof. Soyoung Q. Park, Leiterin für Neurowissenschaft der Entscheidung & Ernährung an der Charité Berlin, ihren Vortrag beim DGVM-Kongress ein.
„Bei der Vorstellung des Eisgeschmacks allein zeigt das Gehirn interessanterweise ein Aktivitätsmuster, das mit dem tatsächlichen Erleben von Eisessen übereinstimmt. Und je genauer sich das vorgestellte und tatsächliche Erlebnis decken, desto schneller und bestimmter entscheiden wir uns.“ Dieser Vorgang kann durch Wiederholung gelernt und perfektioniert werden.
„Lernen passiert, besonders durch Wiederholung, in den tiefen Hirnstrukturen. Das Gelernte scheint dann aber an die kortikalen kognitiv höheren Regionen des Gehirns weitergegeben zu werden“, erklärt Park. Hier kommt der Neurotransmitter Dopamin ins Spiel. Dopamin ist wichtig für das Belohnungssystem und spielt auch bei Suchtverhalten sowie Adipositas und Diabetes eine entscheidende Rolle. Denn bei diesen Verhaltensweisen und Erkrankungen kommt es zu einer Fehlfunktion in den dopaminergen Systemen. „Durch diese Fehlfunktionen fällt es den Betroffenen schwerer, bestimmte Entscheidungen zu treffen.“
Das dopaminerge System beeinflusst also nicht nur die Entscheidungsfindung, sondern steht bei einer Dysfunktion auch in engem Zusammenhang zu Suchtverhalten und der Entwicklung von Adipositas. Aber wie genau beeinflusst unsere Ernährung nun das dopaminerge System und welche Auswirkungen hat das auf unsere Entscheidungsfindung?
Was und wie wir essen, beeinflusst unsere Gesundheit auf vielen Ebenen – darüber ist man sich mittlerweile einig. „Als wir aber die Frage gestellt haben, ob Essen auch unsere Entscheidungen beeinflusst, waren die Antworten sehr zurückhaltend“, so Park. „Einer prominenten psychologischen Theorie nach zu urteilen, braucht das Gehirn für gute Arbeit viele Ressourcen – und es arbeitet dabei auf Glukosebasis. Wenn wir also gut gegessen und viel Glukose im Gehirn haben, können wir gute Entscheidungen treffen und haben ein hohes Maß an Selbstkontrolle“, fährt Park fort.
Das Forschungsteam hat aufbauend auf dieser Hypothese die Plasmaglukose von Probanden reguliert und beobachtet, wie sich das auf die Entscheidungsfindung auswirkt. Dabei musste es aber feststellen, dass der Blutzuckerspiegel keinerlei Auswirkung auf die Selbstkontrolle bei Entscheidungsfindungen hatte – weder im hypo- noch im hyperglykämischen Kontext. Der Blutzuckerspiegel beeinflusst also nicht, wie wir uns entscheiden. Aber was dann?
Die Aminosäure Tyrosin ist Vorläufer von Dopamin und kann die Blut-Hirn-Schranke passieren. Wenn der Tyrosinspiegel angehoben wird, wird auch der Dopaminspiegel im Gehirn angehoben – und das wiederum wirkt sich auf die Entscheidungsfindung aus. „Aufgrund dieser Erkenntnisse stellte sich die Frage, ob man durch diese Strategie mit Hilfe von Essen eine Art Braindoping betreiben könnte“, erläutert Park ihre Forschungsarbeit.
Die Forscher haben dazu dieselben Personen zweimal einbestellt und ihnen zu beiden Terminen ein unterschiedliches Frühstück angeboten – einmal reich an Proteinen, das zweite Mal reich an Kohlenhydraten. Dabei wurde der Tyrosinspiegel gemessen. Danach sollten die Probanden eine dopaminsensitive soziale Entscheidung treffen, die nichts mit Essen zu tun hatte – anhand des Paradigma-Ultimatum-Spiels. Dabei teilt ein Proband eine vorgegebene Summe auf, der zweite Proband kann dann den Vorschlag entweder annehmen oder ablehnen. Wird der Vorschlag akzeptiert, erhalten beide Probanden den angegebenen Betrag. Wird er aber nicht akzeptiert, erhält kein Proband etwas.
Das Ergebnis: Probanden, die durch eine höhere Proteinaufnahme einen erhöhten Tyrosinspiegel hatten, veränderten auch ihre Entscheidung. Der Grad der Entscheidungsänderung konnte hierbei sehr präzise anhand der Blutwerte vorausgesagt werden. Ein hohes Kohlenhydrat-/Proteinverhältnis erhöhte das soziale Bestrafungsverhalten als Reaktion auf Normverletzungen im Vergleich zu einer Mahlzeit mit niedrigem Kohlenhydrat-/Proteinverhältnis.
Die Entscheidungsfindung hängt vom Kohlenhydrat-/Proteinverhältnis des Frühstücks ab. (A) Die gelben Balken zeigen den Anteil der Probanden an, die sich für eine Ablehnung entschieden. Probanden mit einem Frühstück mit hohem Kohlenhydrat-/Eiweißanteil zeigten signifikant mehr Ablehnungsverhalten (*P < 0,05). (B) Unterschiede (kohlenhydratreiche/proteinhaltige minus kohlenhydratarme/proteinhaltige Bedingung) in den Ablehnungsraten, getrennt nach Fairnesskategorien (fair, mittel, unfair) während des UG im Interventionsexperiment (Studie 2). Die Probanden zeigten einen Anstieg der Ablehnungsraten nach einem Frühstück mit einem hohen Kohlenhydrat-/Eiweißanteil im Vergleich zu einem Frühstück mit einem niedrigen Kohlenhydrat-/Eiweißanteil. Die angegebenen Werte sind mittlere Veränderungen (±SEM, *P < 0,05). Credit: Strang et al.
„Wir zeigen, dass diese Makronährstoff-induzierten Verhaltensänderungen bei der sozialen Entscheidungsfindung in kausalem Zusammenhang mit einer Senkung des Tyrosinspiegels im Plasma stehen“, so die Studienautoren. Die Ergebnisse konnten laut Park auch im Feld verifiziert werden.
Aber Dopamin ist nicht der einzige Makronährstoff, der sich durch essensbedingte Veränderungen auf die Entscheidungsfindung auswirkt. Serotonin spielt eine große Rolle bei Stimmungsschwankungen und affektiven Störungen. Park und ihr Team nahmen sich also ebenfalls der Frage an, ob die Ernährung neben dem dopaminergen auch das serotonerge System beeinflussen könnte. „Die Idee kam daher, dass Serotonin spannenderweise auch im Magen eine sehr große Rolle spielt. Hier befinden sich nämlich mehr serotonelle Rezeptoren als im Gehirn“, erläutert Park. „Es besteht auch eine sehr hohe Komorbidität von Adipositas und Depression. Deswegen wollten wir sehen, ob wir eine ähnliche Studie wie die Dopamin-Studie auch mit Serotonin aufsetzen können.“
Viele Studien zeigen den Effekt von SSRI auf das Selbstbewusstsein der Probanden. „Die Ergebnisse waren nicht eindeutig – es schien aber einen gewichtsabhängigen Effekt zu geben. Was wir uns anhand der vorliegenden Literatur also fragten, war, ob der Effekt von Serotonin durch den Körperfettanteil moduliert wird.“
Park stellte die Studienergebnisse vor: Wie beim Studiendesign zum dopaminergen System zuvor, wurden auch hier dieselben Personen jeweils zweimal ins Labor eingeladen und konsumierten dabei zwei unterschiedlich gewichtete Mahlzeiten. Dabei wurde nun auf einen anderen Makronährstoff geachtet. Durch die kohlenhydratreiche Option veränderte sich die Konzentration der Aminosäure Tryptophan, die Vorstufe des Neurotransmitters Serotonin. Das Ergebnis: „Wir konnten eine Veränderung im Risikoverhalten feststellen, das signifikant durch die Tryptophan-Fluktuation und durch den Körperfettanteil der jeweiligen Person vorhergesagt werden konnte“, erläutert Park.
Aber woher kommt dieser starke Einfluss von Makronährstoffen auf die Entscheidungsfindung und wieso sollte Ernährung etwas mit verändertem Verhalten zu tun haben? Diese Fragen wurden Park auch aus anderen wissenschaftlichen Bereichen gestellt. Kollegen der Evolutionsbiologie und Anthropologie glauben, Antworten auf diese Fragen zu haben – und bieten einen Exkurs in die menschliche Evolution zur Erklärung an.
Als die Menschheit noch vom Jagen und Sammeln lebte, mussten sie essen, wann immer es Essen gab. Die Ernährung war dabei sehr proteinhaltig und musste, zwangsläufig, geteilt werden. Durch die Sesshaftigkeit veränderte sich aber nicht nur die Ernährung – ein starker Ruck in Richtung kohlenhydrat-reicher Kost fand statt –, sondern auch das soziale Gefüge rund ums Thema Essen.
„Das Niederlassen hatte, laut meinen interdisziplinären Kollegen, auch einen großen sozialen Effekt – plötzlich musste das eigene Eigentum verteidigt werden. Man fing an, Vorräte anzulegen, anstatt das Essen direkt zu ernten und aufzuteilen. Diebstahl war ein Thema, auf einmal hatte man ein Problem, wenn jemand anderer was vom Essen nahm. Man musste also Regeln aufstellen und sich einig werden, was passiert, wenn man sich nicht akkurat verhält. Der Wechsel von proteinreicher zu kohlenhydratreicher Ernährung ging also einher mit einem großen Umbruch im sozialen Geflecht“, erklärt Park den interdisziplinären Input ihrer Kollegen, die ihrer Forschung als eine Bestätigung dieser Theorie ansahen.
Ernährung und soziales Verhalten sowie Entscheidungsfindung sind also schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte eng miteinander verknüpft. Dieser Zusammenhang konnte nun anhand der Veränderung der Entscheidungsfindung durch Makronährstoffe veranschaulicht werden.
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