Lokal fortgeschrittene Kopf- und Halstumoren zählen zu den tödlichsten Krebsformen überhaupt. Forscher haben fünf Gene gefunden, deren Aktivität vorhersagen könnte, welcher Patient gute oder weniger gute Überlebensaussichten hat.
Meist sterben Krebspatienten nicht wegen ihres ursprünglichen Erst-Tumors in einem bestimmten Organ. Zur tödlichen Bedrohung wird dieser häufig erst, wenn einzelne Zellen wandern, andere Gewebe besiedeln und lebensbedrohliche Metastasen bilden. Wie das bei Tumoren im Hals-Nasen-Ohren-Bereich passiert, untersucht ein Team um Prof. Olivier Gires von der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des LMU Klinikums.
Die Forscher haben fünf Gene gefunden, deren Aktivität möglicherweise vorhersagen kann, welche Patienten mit diesen Tumoren eine gute oder weniger gute Prognose haben – und wer womöglich schon in früheren Krankheitsstadien das Medikament Cetuximab bekommen sollte.
Lokal fortgeschrittene Kopf- und Halstumore zählen zu den tödlichsten Krebsformen überhaupt: Fünf Jahre nach der Diagnose leben weniger als 35 Prozent der Patienten. Nach der ersten Therapie erleiden sie meist Rückfälle – entweder an der gleichen Stelle des Ersttumors oder in den benachbarten Lymphknoten. Chemo- und Strahlentherapie können dann kaum noch helfen. In diesem späten Stadium der Erkrankung bekommen die Patienten zusätzlich Cetuximab.
Es bremst die Aktivität des sogenannten EGF-Rezeptors (EGFR) – ein Molekül, das auf der Oberfläche der Krebszellen sitzt und molekulare Signalwege in den Tumorzellen anstößt, die Tumorzellen wanderlustig werden lassen. Sprich: Sie lösen sich vom ursprünglichen Gewebe und siedeln sich andernorts an. Aber auch Cetuximab hat bei den Patienten im Spätstadium nur noch einen limitierten Effekt. „Wir wollten deshalb wissen, was der EGFR und die mit ihm verbundenen Signalwege im Zuge der Therapie machen“, sagt Gires.
Zunächst hatten die Forscher gezeigt, dass der Rezeptor sowohl die Vermehrung der Krebszellen anschieben kann als auch einen Prozess, in dem die Zellen gewissermaßen ihre Natur ändern. Dieser Prozess heißt epitheliale-mesenchymale Transition (EMT). Tumorzellen in EMT brechen ihre Zell-zu-Zell-Kontakte auf und lösen sich aus einem Verbund, um neues Gewebe zu besiedeln.
Dann fanden die Wissenschaftler in Zellkultur-Versuchen mit EMT-Zellen um die 170 Gene, die nach der Aktivierung des EGFRs reguliert werden. Mit diesem Wissen fahndeten sie in großen Datenbanken, in denen alle möglichen wissenschaftlichen und klinischen Informationen über Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren verzeichnet sind. Durch den Vergleich ihrer Zellkultur-Daten mit den Patientendaten zeigte sich: 5 der 170 Gene gaben Aufschluss darüber, ob ein Patient lange überlebt oder nicht. „Mit dem Aktivitätsmuster dieser fünf Gene kann man das Überleben der Patienten am besten ablesen“, sagt Gires.
Eines dieser Gene trägt die Bauanleitung für ein Integrin, ein Oberflächenmolekül, das für das Wanderverhalten der Krebszellen wichtig ist. In einem dreidimensionalen Labormodell haben die Forscher das lokale Invasionsverhalten der Tumorzellen simuliert. „Da haben wir gezeigt, dass die EMT dazu führt, dass die Zellen invasiv wachsen und auch Kontakt zueinander haben. Wenn wir dann das Integrin beta 4 blockieren, wird auch die Invasion der Zellen gehemmt.“ Das Integrin könnte also ein Ansatzpunkt für ein neues Medikament sein, das das Wanderverhalten der Tumorzellen bremst.
Das Team um Gires hat anschließend mit Hilfe von Datenbanken überprüft, welche Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren von Cetuximab profitieren. Ergebnis: Patienten mit hoher Aktivität des Integrins hat das Medikament am meisten geholfen.
Alle Resultate müssen in größeren Patientenstudien auf ihren Wert getestet werden. Die zu klärenden Fragen lauten: Taugt die Aktivität von EGFR bzw. der fünf „Prädiktor-Gene“ wirklich zur Vorhersage? Welche Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren wann und wie am besten von Cetuximab profitieren – und welche nicht? Letzteren ließe sich dadurch eine Behandlung mit etlichen Nebenwirkungen ersparen.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des LMU Klinikum München. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Ani Kolleshi, unsplash