Proteine und Peptide aus dem Gift von Skorpionen und anderen giftigen Tieren sind potentiell wirksame Waffen gegen solide Tumoren. Was in der traditionellen Erfahrungsmedizin bereits länger bekannt ist, hält nun auf Nanopartikel-Basis Einzug in moderne Therapien.
Das Gift aus Bienen, Schlangen oder Skorpionen eignet sich grundsätzlich sehr gut, um Krebszellen an ihrem Wachstum zu hindern. Die tierischen Gifte haben eins gemeinsam: Sie enthalten Proteine und Peptide, die sich, wenn sie isoliert vorliegen, an Krebszellen anheften können. Allein dieser Prozess kann offenbar deren Proliferation blockieren und so die Ausbreitung maligner Zellen verhindern, berichteten kürzlich Wissenschaftler der University of Illinois. Doch einfach injizieren lassen sich die tierischen Gifte nicht – dazu sind die Nebenwirkungen zu groß: Herzmuskeln oder Nervenzellen könnten geschädigt werden, Gefäßverschlüsse oder innere Blutungen könnten die Folge sein. Denn in ihrer ursprünglichen Form wirken die tierischen Gifte auf gesunde Zellen genauso effizient wie auf Krebszellen. Wissenschaftler haben daher einen Weg gesucht, um Tumorgifte zielgerichtet verabreichen zu können, wie sie auf dem 248th National Meeting of the American Chemical Society in San Francisco im August 2014 berichteten. Nanopartikel scheinen für diesen Weg gut geeignet zu sein. Sie schirmen die Toxine effektiv vor Reaktionen des Immunsystems ab und transportieren sie direkt zu ihrem Wirkungsort. Zunächst simulierten die Wissenschaftler mit Hilfe von Computermodellen, ob sich die Gifte effektiv in Nanopartikeln verpacken lassen – mit Erfolg. In der Praxis testeten die Wissenschaftler die Wirksamkeit von Bienengift. Eine Substanz namens Mellitin entpuppte sich in Laborversuchen als wirksamer Wirkstoff gegen Krebs. Doch Bienen produzieren derart geringe Mengen des Stoffes, dass es für die Wissenschaftler einfacher war, Mellitin im Labor synthetisch herzustellen, als den Stoff direkt zu gewinnen. https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=GRsUi5UrH7k
Im nächsten Schritt verpackten die Forscher Mellitin in Nanopartikeln. „Die Peptid-Toxine, die wir hergestellt haben, sind in den Nanopartikeln so dicht verpackt, dass sie auf ihrer Wanderung durch den Körper den Blutstrom nicht verlassen und Nebenwirkungen verursachen können“, erklärt Studienleiter Dr. Dipanjan Pan. Die Nanopartikel binden an Rezeptoren, die ausschließlich auf Tumorzellen vorkommen und liefern den Wirkstoff zielgerichtet ab. In Zellkulturversuchen hat das Prinzip bereits bei Brustkrebs- und Melanomzellen funktioniert. Nun muss Pans Plan noch an Ratten und Schweinen getestet werden, bevor der Ansatz sein Potential in klinischen Studien unter Beweis stellen kann.
Auch Skorpione rücken immer mehr in den Fokus der Wissenschaftler. Skorpiongift wird in der traditionellen Erfahrungsmedizin bereits seit vielen hundert Jahren als Heil- und Schmerzmittel eingesetzt. Auf den ersten Blick scheint Skorpiongift kein geeignetes Krebsmedikament zu sein, denn immerhin kann ein Skorpionstich je nach Art für einen Menschen lebensbedrohliche Folgen haben. Doch auch hierzu hat Dr. Pan mit seinem Forscherteam bereits Versuche mit vielversprechenden Resultaten durchgeführt: Die sphärischen Nanopartikel des Forscherteams enthielten TsAP-1, ein toxisches Protein aus dem Gift des gelben brasilianischen Skorpions. In Nanopartikeln verpackt wirkt Skorpiongift etwa 10-fach toxischer als unverpackt. Neben der Fähigkeit, sich ausschließlich an Tumorzellen zu binden, haben die Peptide aus Skorpiongift einen weiteren Vorteil: Sie können im Gegensatz zu vielen anderen Wirkstoffen die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
In Kuba macht der staatliche Pharmakonzern Labiofam seit einigen Jahren Schlagzeilen mit einem Medikament, das aus dem Gift des in Kuba heimischen, blauen Skorpions gewonnen wird und gegen solide Tumore wie das Prostatakarzinom und Hirntumoren wirken soll. Anfang des Jahrtausends produzierte die Firma das Medikament, nachdem einige Krebspatienten erfolgreich mit dem verdünnten Skorpiongift behandelt werden konnten. Berichten zufolge war der Andrang danach so groß, dass das Skorpiongift bald nicht mehr ausreichte. Mittlerweile produziert die Firma allerdings ein homöopathisches Mittel, dass gegen die negativen Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung wie Schmerzen, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit helfen soll. Laut Recherchen von „EuroNews“ wird auf den Zuchtfarmen von Labiofam pro Monat ein Liter Skorpiongift gewonnen. Daraus lassen sich 100.000 Portionen des homöopathischen Medikamentes herstellen. Das Mittel ist momentan in China und mehreren lateinamerikanischen Staaten zugelassen.
Insgesamt erfreut sich Skorpiongift weltweit wachsender Beliebtheit: Wegen der hohen Nachfrage ist der Handel mit den Tieren in Pakistan bereits zu einem lukrativen Geschäft geworden. Nach Angaben von Al Jazeera werden schwarze Skorpione für mehr als 50.000 US-Dollar gehandelt. Bereits im Jahr 2007 berichtete das Wall Street Journal, dass für eine Gallone Skorpiongift etwa 39 Millionen US-Dollar gezahlt werden. Tierschützer befürchten bereits, dass die massive Jagd nach den Tieren viele Arten an den Rand des Aussterbens bringen könnte.
Unabhängig von ökologischen Bedenken ist Professor Harald Sontheimer, Direktor des internationalen Forschungszentrums der Universität von Alabama in Birmingham fest davon überzeugt, dass Skorpiongift eine wirksame Waffe gegen Hirn- und andere Tumoren sein kann. Bereits in den 1990er Jahren hat der deutsche Forscher im Gift des israelischen Riesenskorpions ein Peptidmolekül entdeckt, das ausschließlich an bestimmte Krebszellen bindet. „Das Peptidmolekül Chlorotoxin wird im kommenden Jahr in einer Phase III Studie an Patienten getestet werden“, sagte er gegenüber DocCheck. Auf das Gift aus Tieren ist das Chlorotoxin-Projekt allerdings nicht angewiesen: „Wir synthetisieren das Peptid ausschließlich im Labor. Für unsere Anwendung wäre das Gift der Skorpione nicht rein genug.“