Elektrische Hirnstimulation kann das Gedächtnis stärken und bei Erkrankungen helfen. Aber was an einer Stelle hilft, richtet an anderer vielleicht Schäden an. Probleme wie dieses müssen erst noch geklärt werden.
Wenn in unserem Gehirn etwas nicht so läuft, wie es sollte, kann die elektrische Übertragung zwischen den Nervenzellen gestört sein. Das lässt sich möglicherweise von außen beheben. Tatsächlich gibt es mehrere Verfahren der Hirnstimulation, die bei Erkrankungen wie Demenz oder psychischen Störungen helfen können. Eines davon ist die transkranielle Wechselstromstimulation (Transcranial Alternating Current Ctimulation, tACS), bei der schwacher Strom in bestimmte Gehirnregionen geleitet wird. Wie der Name vermuten lässt, wechselt dabei die Polarität des Stroms ständig, was die natürlich auftretenden Schwingungen im Gehirn beeinflusst.
Eine US-amerikanische Forschungsgruppe hat nun versucht, mithilfe von tACS das Arbeits- und Langzeitgedächtnis älterer Menschen zwischen 65 und 88 Jahren zu verbessern. Sie stimulierten vier Tage hintereinander jeweils zweimal täglich für 20 Minuten. Um verschiedene Hypothesen zu testen, verwendeten sie unterschiedliche Frequenzen und unterschiedliche Gehirnregionen. Das Ergebnis: Stimulation des unteren Parietallappens mit Theta-Wellen verbesserte das Arbeitsgedächtnis, während Gamma-Wellen im präfrontalen Kortex gut für das Langzeitgedächtnis waren. Die Effekte waren auch einen Monat später noch messbar, vor allem bei Teilnehmern, deren jeweilige Gedächtnisleistungen besonders schnell gestiegen waren.
„Wir wissen schon länger, dass solche Stimulationsverfahren gezielte Funktionen im Gehirn stärken können“, sagt Prof. Christoph Herrmann von der Universität Oldenburg. In seinem Labor hat er etwa nachgewiesen, dass Menschen sich durch Alpha-Modulation hinterer Gehirnareale besser vorstellen können, wie Objekte im Raum gedreht werden. Andere Studien haben Vorteile der tACS für die Aufmerksamkeit und verschiedene Gedächtnisfunktionen gezeigt. Dabei sind die Frequenz und die stimulierten Gehirnregionen entscheidend: „Wir können nicht einfach ‚allgemein das Gehirn‘ verbessern, sondern müssen ganz genau wissen, was das Ziel ist“, so Herrmann.
Tatsächlich kann eine Stimulation am falschen Ort mit der falschen Frequenz negative Konsequenzen haben und das Gehirn sogar beeinträchtigen. Das müsse jetzt weiter untersucht werden, sagt Herrmann. „Wenn ich versuche, eine Funktion zu verbessern, muss ich gleichzeitig schauen, ob ich andere dadurch verschlechtere. Dann müssen Ärzte und Patienten entscheiden, was vertretbar ist.“
Ähnliche Methoden werden ebenfalls getestet und teils sogar schon klinisch angewandt. So bietet das Unternehmen Neurocare für Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sogenanntes Neurofeedback an, bei dem die Betroffenen mit technischer Hilfe selbst ihre Hirnwellen verändern sollen. Depression kann so in den Therapiezentren von Neurocare mit transkranieller Magnetstimulation oder – ebenso wie chronische Schmerzen – mit transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) behandelt werden.
Während durch Gleichstrom ganze Kortex-Bereiche aktiviert oder inhibiert werden, kann tACS gezielter die Schwingungen in einer Gehirnregion verändern, weshalb auch Herrmann diese Methode vorzieht.
In der Praxis bleiben jedoch noch einige offene Fragen. Wie lange und wie oft muss beispielsweise stimuliert werden, damit die Patienten dauerhaft davon profitieren? Das kommt auf die Erkrankung und das genaue Ziel an, sagt Herrmann. In seinen bisherigen Untersuchungen dauerten die Effekte nach 20-minütiger Stimulation etwa 90 Minuten an. Genauso denkbar ist es aber, dass manche Funktionen nur verbessert werden, solange der Strom über die Elektroden ins Gehirn fließt. In solchen Fällen bräuchten die Betroffenen einen mobilen Stimulator – auch so etwas wird schon bei Patienten eingesetzt.
Wann eine Hirnstimulation helfen kann, ist ebenfalls noch nicht abschließend geklärt. Zur Verbesserung der Gedächtnisfunktionen sollte man beispielsweise nicht warten, bis die betroffene Person eine Demenz entwickelt hat, sondern bereits bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen eingreifen.
Eine Übersichtsstudie, welche 2021 die Erkenntnisse zu tACS bei psychischen Erkrankungen zusammenfasste, ist vorsichtig optimistisch. Zwar sind die Ergebnisse einzelner Untersuchungen durchwachsen – was durchaus an den unterschiedlichen Arten der Stimulation und den jeweiligen Gehirnregionen liegen kann –, aber die Methode gilt als sehr sicher und in einigen Bereichen als vielversprechend. Die Autoren wünschen sich vor allem gute, doppelt verblindete Studien mit mehr Teilnehmern und längerem Follow-Up, um die Vorteile der tACS genauer herauszuarbeiten.
Herrmann betont auch die Wichtigkeit individualisierter Stimulationen: „Bei allen Menschen sind die Gehirne leicht unterschiedlich – auch die Frequenzen, mit denen Signale zwischen den Nervenzellen übertragen werden.“ Einen Durchbruch erhofft er sich von physiologischen Tests, die bei jedem Patienten und jeder Patientin genau bestimmen, welche Gehirnaktivitäten verändert sind.
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