Ein indisches Auftragsunternehmen, das auch für deutsche Firmen arbeitet, hat Studien im großen Stil gefälscht. Die Behörden mussten etliche Zulassungen widerrufen. Es bleibt die Erkenntnis, dass es an der Zeit ist, den Standort Deutschland zu stärken und Kontrollen zu verbessern.
Traue keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast: Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung soll GVK Biosciences aus dem indischen Hyderabad klinische Studien in ungeahntem Ausmaß gefälscht haben – vor allem Bioäquivalenzstudien für Generika. GVK ist mit 2.400 Angestellten einer der größten Dienstleister im asiatischen Bereich. Die Firma bearbeitet als Auftragsforschungsinstitut (Contract Research Organisation) Projekte europäischer und nordamerikanischer Konzerne.
Die Bombe platzte, nachdem Mitarbeiter der französischen Überwachungsbehörde ANSM bei stichprobenartigen Kontrollen auf Ungereimtheiten stießen. In neun untersuchten Studien hatte GVK von 2008 bis 2014 Untersuchungen zu Gunsten eines Herstellers frisiert, ältere Daten ließen sich nicht auswerten. Vor Ort entdeckten Delegationsmitglieder systematisch geschönte EKG-Kurven. Sowohl die Europäische Arzneimittelagentur EMA als auch die Europäische Kommission vermuten jetzt Manipulationen in großem Stil. GVK weist alle Anschuldigungen zurück. Eine Sprecherin erklärte, man habe den französischen Inspektoren entlastende Dokumente zur Verfügung gestellt. Auch für die EKG-Kurven gibt es nach ihren Worten plausible Erklärungen. Hier handele es sich um die Abschlussuntersuchungen gesunder Probanden – ohne wissenschaftliche Relevanz. EMA-Vertreter begannen, bei europäischen Firmen zu ermitteln, die GVK beauftragt hatten. Ein Mammutprojekt, schließlich müssen Unterlagen zu 1.250 Medikamenten gesichtet werden. Abschließende Resultate gibt es wahrscheinlich im Januar. Dann muss der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) beschließen, was zu tun ist.
So lange wollen Pharmazeuten bei uns nicht warten. Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK): „Wir fordern die schnellstmögliche Aufklärung. Die Gewährleistung der Qualität und Arzneimittelsicherheit ist unverzichtbar.“ Im gleichen Atemzug verlangte Schulz die Suspendierung von Zulassungen. Experten am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) prüften 176 Pharmaka von 28 Unternehmen – mit verheerenden Resultaten. Anfangs standen 80 Präparate unter Verdacht, etwa Thrombozytenaggregationshemmer, Therapeutika bei Migräne, Antidepressiva oder Antihypertonika. Zu den 16 betroffenen Herstellern gehören Betapharm, Heumann, Hormosan, Mylan dura, Stadapharm und viele andere. Bis zur Aufklärung ordnete das BfArM an, alle Zulassungen ruhen zu lassen.
Unternehmen legten Widerspruch gegen 18 Bescheide ein – allen voran Heumann und Betapharm. Mit Erfolg: Rechtsmittel haben gemäß Paragraph 80 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine aufschiebende Wirkung; zum sofortigen Vollzug des ursprünglichen BfArM-Bescheids kam es nicht. Schließlich umfasste die BfArM-Liste nur noch 39 nicht verkehrsfähige Pharmaka. „Verordnet der Arzt ein vom Ruhen der Zulassung betroffenes Arzneimittel, darf dieses nicht mehr abgegeben werden“, warnt Fritz Becker, Präsident des Deutschen Apothekerverbands. „Es ist stattdessen nach 'aut idem' eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel abzugeben, sofern nicht ein Rabattarzneimittel vorrangig abzugeben ist. Kann 'aut idem' nicht eingehalten werden, muss der Arzt kontaktiert werden, damit dieser eine Änderung der Verordnung vornimmt, oder ein neues Rezept ausstellt.“ Der Hessische Apothekerverband (HAV) riet Mitgliedern, betroffene Kassenrezepte mit dem Sonderkennzeichen (PZN) 02567024 und dem Faktor „2“ („nicht verfügbarer Rabattartikel“) zu bedrucken. Um Kollegen ihre Arbeit zu erleichtern, erarbeitete das Deutsche Apotheken Portal eine PZN-Liste auf Basis aller vom BfArM veröffentlichten Zulassungsnummern mit entsprechenden Rabattverträgen. Nicht verkehrsfähige Arzneimittel sind laut Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), Paragraph 21, zu separieren oder sogar zu vernichten. Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, verwies auf den „außerordentlichen Einsatz“ von Kollegen. Trotz des zusätzlichen Beratungsaufwands käme man dieser Aufgabe ohne zusätzliches Honorar nach.
Weitere Fragen gehen an das politische Berlin: War GVK ein schwarzes Schaf oder die Spitze des berühmt-berüchtigten Eisbergs? Warum haben Firmen aus Deutschland Resultaten blind vertraut, bevor französische Gutachter auf Ungereimtheiten stießen? Einsparpotenziale durch Labors in Schwellenländern gelten seit Jahren als attraktiv, gerade bei der Auftragsforschung oder bei der Herstellung von Arzneistoffen. Jetzt ist zu Lieferengpässen durch Produktionsausfälle ein weiterer Skandal hinzugekommen. Politiker sollten die Preisgestaltung von Generika überdenken und zeitgleich unabhängige Kontrollen einführen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat durch den Skandal jedenfalls Wasser auf seine Mühlen bekommen. Im nächsten Jahr will er den Pharmadialog intensivieren und Deutschland als Standort stärken.