Wie wichtig und doch oft unterschätzt die Männergesundheit ist, darüber sprachen Experten auf der aktuellen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie.
In Gießen diskutierten aktuell mehr als 140 Andrologen aus Forschung und Klinik, vor allem aus den Fachgruppen Urologie, Endokrinologie und Dermatologie sowie der Reproduktionsmedizin Aktuelles aus ihrem interdisziplinären Fachgebiet. Aus der Universitätsstadt kommt der Appell, andrologische Erkrankungen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung nicht zu unterschätzen, aber auch die Nachricht über ein erstes Programm des Bundes zur Forschungsförderung für die reproduktive Gesundheit.
„Als Veranstalter freuen wir uns über Teilnehmerzahlen wie vor Corona und sehen erneut bestätigt, dass der persönliche wissenschaftliche Austausch nicht zu ersetzen ist“, sagen DGA-Präsidentin Prof. Sabine Kliesch und Tagungspräsidentin Prof. Daniela Fietz. Als Präsidentin der Fachgesellschaft kritisierte Kliesch in Gießen fehlende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, der Politik und der Forschungsförderung für die Andrologie insgesamt und im Besonderen für das Themengebiet der Reproduktionsmedizin.
„Potenzstörungen, Hormonmangelerkrankungen des Mannes und Fruchtbarkeitsstörungen sind Volkskrankheiten. Sie betreffen Millionen von Menschen, ihre Häufigkeit des Auftretens ist vergleichbar mit z. B. kardiovaskulären Erkrankungen oder dem Steinleiden. Die männliche Fruchtbarkeit wird zunehmend durch sozio-ökonomische Faktoren, aber auch durch Umwelteinflüsse und angeborene Störungen negativ beeinflusst und in der Konsequenz steigen die Fertilitätsbehandlungen. Dennoch fokussiert die Forschungsförderung stark auf Tumorerkrankungen – und lässt die Forschung am Ursprung des Lebens weitgehend außer Acht“, so die DGA-Präsidentin. Bisher förderte nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft übergreifende Forschungsverbünde im Bereich der Reproduktion.
Umso erfreulicher sei die Nachricht, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein erstes Programm zur Förderung von Nachwuchszentren für reproduktive Gesundheit an deutschen Universitäten veröffentlicht hat. Die Wissenschaftler betonen, dass die reproduktive Gesundheit eine wesentliche Basis für die Gesundheit unserer Gesellschaft bildet. Die Reproduktionsforschung, die in besonderem Maße interdisziplinär und translational ist, muss in Deutschland durch die Etablierung von Forschungsverbünden langfristig gestärkt werden. Reproduktion und reproduktive Gesundheit sind demnach zentrale Bedürfnisse und Rechte des Menschen.
Gute Nachrichten gab es auch aus dem Gebiet der Reproduktionsgenetik, die bei der Diagnostik der männlichen Infertilität eine immer größere Rolle spielt. So konnte die Forschung inzwischen rund 120 Gene identifizieren, die für eine Fruchtbarkeitsstörung verantwortlich sind. Bei Patienten mit Azoospermie erlaubt die moderne Gendiagnostik eine Prognose, ob eine Spermiengewinnung aus den Hoden für eine künstliche Befruchtung angezeigt ist, oder ob es keine Aussicht auf einen Behandlungserfolg gibt. In diesen Fällen können unnötige Operationen vermieden werden.
Mit einem neuen Test können zudem Genveränderungen identifiziert werden, die einen Bauplandefekt der Spermien anzeigen. Bei diesen optisch normalen und normal beweglichen Spermien ist ein Ionenkanal gestört, weshalb sie die Eizelle weder auf natürlichem Weg noch mithilfe einfacher Befruchtungsverfahren befruchten können. Paare, bei denen der Mann die zugrundeliegende Genveränderung hat, können ausschließlich mittels einer assistierten Befruchtung durch die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ein Kind bekommen. Diese Entdeckung erspart Betroffenen viele vergebliche Behandlungsversuche.
„Jetzt gilt es, diese modernen genetischen Untersuchungen in der klinischen Routine zu implementieren und für jeden Patienten zugänglich zu machen“, resümiert Tagungspräsidentin Fietz.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie.
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