Eine neuentwickelte Reaktion ermöglicht es, die wichtige Stoffklasse der Indole auf einfache Art und Weise in andere Verbindungen umzuwandeln. Das könnte künftig die Suche nach neuen pharmazeutischen Wirkstoffen vereinfachen.
Arzneimittel wirken immer präziser. Um Wirkstoffe zu finden, die so zielgenau im Organismus funktionieren, werden heute in der Regel möglichst umfassende Bibliotheken von chemischen Verbindungen ausgetestet. Die Vergrößerung der bestehenden Wirk- und Naturstoff-Bibliotheken ist darum eine entscheidende Voraussetzung, um in Zukunft noch wirksamere Medikamente entwickeln zu können.
Wissenschaftler vom Laboratorium für organische Chemie der ETH Zürich haben jetzt eine einfache und robuste Methode entwickelt, mit der sich die in der Natur sehr häufig vorkommende Indol-Gruppe gezielt in andere Strukturelemente umwandeln lässt. Die entstehenden Verbindungen haben ein ebenso großes biologisches Wirkungspotenzial wie ihre Indol-Ausgangsstoffe – bisher sind sie aber in den Bibliotheken noch viel seltener vorhanden. Durch das neue Verfahren der ETH-Chemiker werden sich die Bibliotheken deshalb mit wenig Aufwand um sehr viele zusätzliche potenzielle Wirkstoffe vergrößern lassen.
Die Indol-Gruppe bildet das Grundgerüst hunderter von Naturstoffen und Medikamenten, wie etwa der in unseren Proteinen vorkommende Aminosäure Tryptophan, dem Schlafhormon Melatonin, dem Hirnbotenstoff Serotonin oder dem Rheumamittel Indometacin. Wie viele andere Wirkstoffe in unserem Körper handelt es sich bei den Indolen um heterozyklische Verbindungen. Das Grundgerüst besteht aus zwei verknüpften Ringen, die zusammen ein aromatisches System bilden – ein Sechsring und ein Fünfring, welcher ein Stickstoffatom enthält.
Die Wissenschaftler aus der Gruppe von Bill Morandi, Professor am Department für Chemie und angewandte Biowissenschaften, haben nun einen Weg gefunden, den Fünfring gezielt mit einem zusätzlichen Stickstoffatom zu einem Sechsring zu erweitern. Eine derartige spezifische Erweiterung eines Ringgerüsts sieht auf dem Papier einfach aus. In der Laborrealität war sie bisher eine große Herausforderung. „Schon länger gibt es Verfahren, mit denen sich ein derartiges Ringsystem um ein Kohlenstoffatom erweitern lässt. Das gezielte Einsetzen eines biologisch viel wertvolleren Stickstoffatoms ist aber wesentlich schwieriger“, erklärt Morandi.
Die neuartige Methode hat Julia Reisenbauer, Doktorandin in Morandis Gruppe, erarbeitet. Dabei ließ sie sich von einer Reaktion aus dem 19. Jahrhundert inspirieren: Mit der nach deren Erfindern benannten Ciamician-Dennstedt-Umlagerung lassen sich einzelne Kohlenstoffatome in aromatische Ringsysteme einführen. Um den Stickstoff dazu zu bringen, sich entgegen seiner eigentlichen chemischen Eigenschaften genauso mit dem Ring zu verbinden, war aber ein Trick nötig. Eine Verbindung mit einem hypervalenten Iod-Atom sorgte dafür, dass sich die natürliche Reaktivität des Stickstoffs umkehrte.
Schließlich stellte sich dann heraus, dass dieser Trick nicht nur in einzelnen Fällen erfolgreich ist, sondern mit fast allen getesteten Indol-Verbindungen funktioniert. „Ein großer zusätzlicher Vorteil unserer Reaktion liegt in ihrer außerordentlich großen Robustheit“, unterstreicht Reisenbauer. „Im Gegensatz zu vielen anderen Labormethoden funktioniert sie fast unabhängig davon, welche anderen Atomgruppen auch noch an das Indol-Gerüst gebunden sind.“ Dazu kommt, dass das Stickstoffatom sogar an zwei verschiedenen Stellen im neuen Sechserring spezifisch platziert werden kann. Die vielen bekannten Indol-Verbindungen lassen sich dadurch in jeweils zwei unterschiedliche neue Abkömmlinge umwandeln.
Das Potenzial der Methode ist vielleicht noch wesentlich größer. Erste weitergehende Experimente lassen vermuten, dass sich mit ihr nicht nur Indol-Gruppen um einzelne Stickstoffatome erweitern lassen. Auch mit anderen Ringsystemen scheint das Verfahren zu funktionieren. „Durch das Einführen von Stickstoffatomen in unterschiedliche aromatische Ringe könnten viele zusätzliche potenzielle Wirkstoffe hergestellt werden“, erklären Morandi und Reisenbauer.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Eidgenössischen Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: GuerrillaBuzz Crypto PR, unsplash.