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Spike-Protein im Verdacht: Deutsche Forscher zeigen, dass bei SARS-CoV-2-Impfmyokarditis gehäuft Autoantikörper auftreten. Interessant daran: Sie kommen auch bei schwerem COVID-19 und bei Kindern mit Covid-MIS-C vor.
Die immunologischen Folgen von COVID-19 und der Covid-Impfung sind weiterhin nur begrenzt verstanden. Kürzlich haben Wissenschaftler um die US-Immunologin Akiko Iwasaki von der Universität Yale einige immunologische Auffälligkeiten bei Long-Covid-Patienten beschrieben, die dank Tweets der Twitter-Celebrities Eric Topol und Karl Lauterbach enormen medialen Widerhall fanden. Die Forscher um Iwasaki entdeckten eine überdurchschnittlich große Zahl an aktivierten B-Zellen sowie an antiinflammatorisch wirksamen Subpopulationen von Monozyten, demgegenüber eine reduzierte Zahl an zirkulierenden dendritischen Zellen sowie an CD4+-Gedächtnis-T-Zellen.
Gleichzeitig war die Zahl bestimmter Subgruppen an CD4+- und CD8+-T-Zellen erhöht, die die Wissenschaftler als „exhausted“, also erschöpft, beschrieben. Diese „erschöpften T-Zellen“ schafften es in nahezu jeden Medienbericht über den Preprint, was für sich genommen schon ganz interessant ist. Oft wurde das verknüpft mit der (bisher nicht bewiesenen) Hypothese, dass bei Long-Covid irgendwo im Körper Sars-CoV-2-Viren schlummern könnten, an denen sich das Immunsystem quasi verausgabt, bevor die T-Zellen dann irgendwann die Segel streichen.
Das alles sind extrem spannende Befunde, die viele neue Forschungsansätze liefern. Die (auf Twitter selbst sehr aktiven) Yale-Wissenschaftler um Iwasaki – sie sind u.a. an der Entwicklung nasaler Covid-Impfstoffe beteiligt – sind aber längst nicht die einzigen, die sich um die immunologischen Folgen im Kontext von COVID-19 und Covid-Impfungen kümmern. Vor anderthalb Jahren schon haben Wissenschaftler um Lorenz Thurner und Philipp Lepper von der Universität des Saarlandes, ebenfalls in einem Preprint, bei in diesem Fall schwer erkrankten Patienten mit akuter Covid-Lungenentzündung zeigen können, dass gehäuft neutralisierende Autoantikörper gegen Progranulin (PGRN) und gegen den IL-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1-RA) auftreten.
PGRN und IL-1-RA sind immunologische Mediatoren mit tendenziell entzündungshemmender Wirkung. Autoantikörper gegen diese Botenstoffe könnten demnach eine Entzündungsreaktion anheizen. Der breitere Kontext dieser (und anderer) Mediatoren ist die Interferon-Typ-I-Reaktion, eine antivirale Verteidigungslinie, die bei COVID-19 abgeschwächt zu sein scheint. Das könnte sich möglicherweise durch die beschriebenen Autoantikörper mit erklären lassen. Es kommt in diesem Zusammenhang zu einer „Enthemmung“ des TNF-α-Signalwegs.
Interessant wurde die damalige Arbeit der Saarländer nicht zuletzt durch den Nachweis, dass bei den Patienten mit Autoantikörpern bestimmte Isoformen von PGRN und IL-1-RA hyperphosphoryliert sind – ein Befund, der bei Kontrollprobanden nicht vorkam. Hier deutet sich ein möglicher Pathomechanismus an, wobei die Wissenschaftler in ihrer damaligen Publikation offenlassen mussten, ob SARS-CoV-2 diese Veränderungen triggert oder ob es sich um ein präexistierendes Phänomen handelt, das zu schweren Verläufen prädestiniert.
Das zweite, was die saarländische Arbeit hoch spannend macht: Dieselben Wissenschaftler konnten kürzlich in einer in Lancet Rheumatology publizierten Arbeit zeigen, dass sich die IL-1-RA-Autoantikörper, nicht jedoch die PGRN-Autoantikörper, auch bei Kindern nachweisen lassen, die im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung ein generalisiertes inflammatorisches Syndrom, das so genannte MIS-C, entwickeln. Das MIS-C ist eine sehr seltene, aber typische Komplikation einer akuten Covid-Erkrankung bei Kindern.
Mit einer aktuell im New England Journal of Medicine als kurze „Correspondence“ veröffentlichten Forschungsarbeit spinnt die saarländische Gruppe um Thurner und Lepper den Faden zu den IL-1-RA- und PGRN-Antikörpern jetzt weiter, und zwar nicht beim akuten COVID-19 und auch nicht bei Long-Covid, sondern im Kontext der SARS-CoV-2-Impfmyokarditis. Unter der Überlegung, dass hinter den seltenen Impfmyokarditiden vielleicht ähnliche immunologische Mechanismen stecken könnten, wie hinter schweren Covid-Verläufen, haben die Wissenschaftler sich die Prävalenz der entsprechenden Antikörper bei Patienten mit nachgewiesener Impfmyokarditis angesehen.
Konkret wurden 69 Patienten eingeschlossen, bei denen der klinische Verdacht auf eine impfinduzierte Myokarditis nach Covid-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestand. Bei 61 dieser Patienten wurde der Herzmuskel biopsiert. Die Herzmuskelbiopsie ist der Goldstandard für den Nachweis einer Myokarditis, und eine solche histologisch gesicherte Myokarditis fand sich bei 40 der 61 biopsierten Personen. Von diesen 40 Personen mit Impfmyokarditis waren 12 jünger als 21 Jahre und bei diesen fanden sich in 75 Prozent der Fälle, also bei 9 von 12, Autoantikörper gegen den IL-1-RA. Bei den 28 Patienten, die älter waren als 20 Jahre, war das dagegen nur bei 3 Patienten (11 Prozent) der Fall, während wiederum kein einziger der 21 Patienten, bei denen die Myokarditis histologisch ausgeschlossen wurde, derartige Autoantikörper aufwies.
Klinisch hatten Myokarditis-Patienten mit IL-1-RA-Autoantikörpern im Schnitt einen früheren Symptombeginn und etwas mildere Verläufe als Myokarditis-Patienten ohne diese Antikörper. Das würde zu dem klinischen Befund passen, wonach die bei jungen Menschen, vor allem Männern, gehäuft und oft nach der zweiten Impfung auftretenden Covid-Impfmyokarditiden in der Regel relativ rasch wieder abheilen. Die Saarländer haben sich auch 214 geimpfte Kontrollprobanden angesehen sowie 125 Menschen, die vor der Covid-Pandemie eine Myokarditis gehabt hatten. Hier gab es jeweils kaum IL-1-RA-Autoantikörper, konkret nur in 1 Prozent bzw. 2 Prozent der Fälle.
Die Frage nach dem Mechanismus stellt sich natürlich weiterhin. Naheliegend wäre, dass es sich um eine Autoantikörper-Reaktion handelt, die durch Komponenten des Spike-Proteins getriggert wird. Das würde erklären, warum es Gemeinsamkeiten zwischen akutem schweren COVID-19 und Impfmyokarditis zu geben scheint. Die saarländischen Wissenschaftler haben das im Nachgang zu ihrer ersten Publikation genauer untersucht. Sie fanden keinen Hinweis auf kreuzreaktive Antikörper, die sich sowohl gegen IL-1-RA als auch gegen das Spike-Protein richten.
Eher steht weiterhin die schon in der ersten Arbeit skizzierte Hypothese einer wohl temporären Hyperphosphorylierung von IL-1-RA im Raum. Sie ging bei den Myokarditis-Patienten einher mit deutlich reduzierten Spiegeln von freiem IL-1-RA im Plasma. Das Ganze sieht – Stand im Moment – nach einem Szenario aus, bei dem die periphere Immuntoleranz im Gefolge von zum Beispiel Spike-Protein-Kontakt durch im Einzelnen noch zu klärende, insbesondere bei jüngeren Menschen auftretende metabolische Prozesse zeitweilig zusammenbricht. Und es wäre ein plausibler Erklärungsansatz dafür, warum Impfmyokarditiden bei jungen Menschen deutlich häufiger sind als bei älteren Menschen.
Bildquelle: Benjamin Elliott, unsplash