Es ist zu wenig Geld im Topf und wieder einmal sollen Apotheken den Kopf dafür hinhalten. Eine Mehrwertsteuersenkung auf Arzneimittel steht im Raum – aber warum spart man nicht einfach mal an den Kassen?
Die Kassen fordern es alle paar Monate aufs Neue: eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, um die Kosten zu dämpfen. Was erst wie eine gute Idee klingt, muss genau überdacht werden – damit die Apotheken am Schluss nicht finanziell den Kürzeren ziehen. Der Abschlag, den die Apotheken den Krankenkassen gewähren, ist nämlich ein Bruttowert! Zudem stellt sich die Frage, ob man nicht auch seitens der Krankenkassen etwas einsparen könnte, wenn man vom BMG schon die Apotheken als vermeintlichen Preistreiber ausgemacht hat – die greifen mit ihren Verwaltungskosten nämlich deutlich tiefer in die Taschen des Gesundheitssystems.
Etwa 170 Millionen Euro möchte Karl Lauterbach mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf dem Apothekensektor einsparen. Er versucht dies über einen erhöhten Kassenabschlag von derzeit 1,77 € auf 2,- € zu erreichen. Dass das die Apotheker eher weniger freut, ist klar. Die ABDA kritisiert die auf zwei Jahre befristete Kürzung der Honorare für die Apotheken mit scharfen Worten. Präsidentin Gabriele Overwiening nannte sie gar „einen Schlag ins Gesicht des Berufsstandes”. Auch alle weiteren durch die Kürzungen betroffenen Gruppen äußerten sich sehr unzufrieden: Industrie, Verbände und Kassen fühlen sich offenbar allesamt über den Tisch gezogen.
Ein Sparvorschlag der Krankenkassen zur Entlastung der eigenen Finanzen wird nun besonders stark diskutiert, ist aber nicht neu und wird seit Jahren immer wieder aufgebracht: die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von derzeit 19 auf 7 Prozent. Diese Forderung, welche die Kassen um etwa 5 Milliarden Euro entlasten könnte, wird vom GKV Spitzenverband aktuell in einer Presseerklärung nochmals bekräftigt: „Es ist nicht nachzuvollziehen, warum (lebens-)notwendige Humanarzneimittel höher besteuert werden als z. B. Süßigkeiten, Katzenfutter oder Tierarzneimittel.“
Auch die Apothekerkammern sehen die hohe Mehrwertsteuer durchaus kritisch. Allen voran die Apothekerkammer Brandenburg, die schon vor 15 Jahren gefordert hatte, die Mehrwertsteuer zu senken und dafür die Abgaben auf Nahrungsmittel anzuheben, die Übergewicht fördern und ungesund sind. Hier fordert Brandenburgs Kammerpräsident Jens Dobbert aber zurecht, dass gleichzeitig mit der Absenkung der Mehrwertsteuer auch die Regelungen zum Kassenabschlag – seit dem Jahr 2015 ist dieser auf 1,77 € festgesetzt – geändert werden müssten. Denn auf diesen müssen die Apotheken aktuell ebenfalls 19 Prozent MwSt. entrichten.
Dieser Abschlag ist quasi eine Art Zwangsrabatt, den die Apotheken den Krankenkassen als Großkunden gewähren müssen. Er ist im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) in § 130 unter dem Stichwort „Rabatt“ geregelt. Wörtlich heißt es: „Die Gewährung des Abschlags setzt voraus, dass die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird.“ Und hier steckt auch die Krux, die diese Forderung derzeit für weite Teile der Apothekerschaft indiskutabel macht. Wenn die Voraussetzung nicht gegeben wäre, und der Kassenabschlag weiterhin mit 19 % besteuert würde, dann bringt ein Abschlag der Mehrwertsteuer den Apotheken in der Folge nur wieder einen Honorarverlust durch die Hintertüre, der kaum besser verkraftbar ist, als der durch den Bundesgesundheitsminister gewollte höhere Kassenabschlag. Der Verlust der Apotheken betrug aufgrund dessen nämlich 15 Millionen Euro, als im ersten Halbjahr 2020 coronabedingt die Mehrwertsteuer abgesenkt wurde, der Kassenabschlag jedoch nicht. Auch damals wurde davor eindringlich gewarnt, die Politik hörte indes nicht zu.
Wie stehen eigentlich unsere Nachbarn in der EU zur Mehrwertsteuer auf Arzneimittel? Nur Bulgarien und Dänemark erheben, wie wir, den vollen Satz auf verschreibungspflichtige und erstattungsfähige Arzneimittel. Malta dagegen erhebt weder auf verschreibungspflichtige noch auf rezeptfreie Arzneimittel Mehrwertsteuer. Luxemburg möchte 3 %, Spanien 4 %, Schweden und das Vereinigte Königreich erheben überhaupt keine Mehrwertsteuer auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, allerdings 25 % bzw. 20 % auf rezeptfreie Arzneimittel, Frankreich ist mit 2,1 % auf RX-pflichtiges zufrieden. Es wäre eigentlich an der Zeit, dass Deutschland darüber nachdenkt, diesen Forderungen nach Steuersenkungen mehr Raum zu geben.
Vergleich der Mehrwertsteuersätze für Arzneimittel in Europa. Credit: VDEK_Basisdaten2022_210x280_RZ.indd
Mehrwertsteuersätze für Arzneimittel in der EU, 2021 Credit: EU-27 - Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel im Vergleich 2021 | Statista
Noch etwas anderes treibt allerdings viele Apothekerkammern in diesem Zusammenhang um, nämlich die hohen Verwaltungskosten der Krankenkassen. Im Jahr 2020 betrugen diese 4,5 Prozent der Gesamtausgaben – und somit das Doppelte des Honorars der Apotheken, deren Anteil 2,1 Prozent betrug. Ein Anteil übrigens, der trotz der Zusatzleistungen während der Pandemie seit Jahren rückläufig ist und so gar nicht zum Bild der raffgierigen Pharmazeuten passen mag, das der ein- oder andere hier im Kopf zu haben scheint.
Man fragt sich, ob diese Verwaltungsausgaben nicht drastisch gekürzt werden könnten, wenn man sich nicht so exorbitant viele Krankenkassen in Deutschland gönnen würde. Derzeit leisten wir uns 97 Krankenkassen, und jede von ihnen hat Verwaltungsausgaben und eine ganze Menge an Werbe- und Marketingkosten, die in dieser Höhe sicherlich nicht benötigt würden, hätte man nur 10 oder 20 Krankenkassen zu unterhalten. Und das ganz ohne an den Gesundheitsleistungen zu sparen! Statt bei den Apotheken jedes noch so kleine Prozentpünktchen auszupressen und Effizienzreserven mit der Lupe zu suchen, könnte man hier einmal so richtig sparen – und das dann aber bitte ohne die Versorgung der Bevölkerung zu gefährden.
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