Blau ist „machtvoll“, gelb „reifend“, rot „aufbauend“. So klingt die Farbenlehre hinter den bunten Tapes, die sich Profi- und Hobbysportler auf alle Stellen des Körpers kleben. Doch was steckt hinter dem Trend – und helfen sie echt bei Brustkrebs?
Ein Pflaster aus Stoff, das die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert – am besten in schwarz, um die Basisenergie der Farbe auf den Träger zu übertragen. Keine Angst, wir sind nicht in die Welt der Glaskugeln und Tarot-Karten abgedriftet. Die Rede ist von Kinesiotapes. Und doch: die Bänder sind wohl nicht nur aus ästhetischen Gründen bei Profi- wie Amateursportlern derzeit viel in Gebrauch – und auch die Farben haben ihre Berechtigung und Wirkung.
Apropos Wirkung: Was sollen die Klebestreifen denn können, dass sie aktuell einen wahren Hype unter Profisportler ausgelöst haben? In erster Linie sollen sie sehr umfassend bei allerlei Sportverletzungen einsetzbar sein. Entsprechend lang ist die Liste an Beschwerden, bei denen sie helfen können. Angefangen bei Zerrungen, Überlastung, Entzündungen, Faserrisse und anderen Muskelverletzungen, über Gelenksschmerzen durch Schwellungen, Instabilität oder Überlastung bis hin zu Bänderverletzungen. Doch auch darüber hinaus werden die Bänder bei Patienten mit Migräne, Ödemen und Brustkrebs aufgeklebt.
„Hauptanwendungsgebiet von Kinesiotapes sind Schmerzen am Bewegungsapparat. Nach neuesten Erkenntnissen leiten die Propriozeptoren in den Faszien nicht gleichzeitig mechanische und Schmerzreize, sondern reagieren nach dem Entweder-oder-Prinzip. Durch die Anlage eines Kinesiotapes wirken mechanisch Druck- und Zugkräfte auf oberflächliche Faszien. Bei Bewegung werden diese Reize verstärkt, und die Propriozeptoren leiten weniger Schmerzsignale zum Gehirn. Aufgrund der Rückkopplung zur Muskulatur werden zuvor schmerzhafte Bewegungen harmonischer. Kinesiotapes können somit die Körperwahrnehmung verbessern und Bewegungsschmerzen lindern“, bestätigt Dr. Jürgen Kosel, Facharzt für Orthopädie und Autor von Orthopädie verstehen! Wissen für Patienten und Therapeuten, im Gespräch mit den DocCheck News die Einsatzgebiete.
Fest steht: Die Schmerzen – oder die Vorstellung davon – nehmen tatsächlich ab, ob durch tatsächliche physische Auswirkungen der Tapes oder durch eine veränderte Wahrnehmung. Damit wären wir dann nun im möglichen Gebiet der Placebos. Und auch hier gibt es mehrere Meinungen: So sagen die einen, dass den Tapes noch nicht einmal der Placebo-Effekt zugeschrieben werden könne. Denn ein echtes Placebo zu nutzen, hieße, etwas anzuwenden, von dem man weiß, dass es keine Wirkung habe. Die andere Seite sieht jedoch bereits durch den Prozess des Klebens und dessen Auswirkungen auf den Gewebedruck sehr wohl einen solchen Mechanismus und konstatiert den Nutzen, den man hieraus gewinnen kann.
„Der Placebo-Effekt mit seiner Wirkung auf die Psyche ist nicht zu unterschätzen. Ein auf die Haut geklebtes Kinesiotape, das immer eine kräftige Farbe hat, wird von Patienten gespürt und sowohl von ihnen als auch von anderen Menschen gesehen. Der Focus wird somit bewusst auf ein bestimmtes Körperareal gelenkt, das entweder schmerzhaft ist, stabilisiert werden soll oder dessen Funktion verbessert werden soll. Es wird mit einem Tape signalisiert, dass mit diesem Körperbereich etwas Besonderes ist. Bereits die eigene als auch die Aufmerksamkeit anderer bereitet Gefallen. Man sticht aus der Menge der Menschen ohne Tape hervor. Wenn zudem suggeriert wird, man sei verletzt, bekommt man Mitleid von Mitmenschen. Das stärkt die Selbstwahrnehmung, vielleicht auch das Selbstwertgefühl“, so Kosel.
Nicht weit entfernt vom Placebo-Effekt scheint auf den ersten Blick die Farbenlehre der Kinesiotapes. Dabei orientiert sich die Farbwahl des Taping an der traditionellen chinesischen Medizin, wonach alle Farben eine bestimmte energetische Wirkung haben. Dass Farben unterbewusst die Psyche stimulieren und bestimmte Gemütszustände intensivieren können, ist mittlerweile nachgewiesen.
Ein Alltagsbeispiel, das als Bestätigung gelten kann, bringt Dr. Kosel aus der eigenen Praxis mit: „Der Haut und den darunter liegenden Gewebeschichten ist es egal, welche Farbe das Kinesiotape hat, nicht aber der Psyche. Die ihnen mit Farben zugesprochenen Effekte sind subjektiver Natur, aber nicht unbedeutsam. Ich habe es selbst bei Patienten ausprobiert. Zunächst gab es keine Auswahl und sie mussten die Farbe nehmen, die ich ihnen anbot und nicht ihre Lieblingsfarbe war. Beim Folgetermin konnten dieselben Patienten ihre Lieblingsfarbe wählen. Bei beiden Behandlungen wurden Kinesiotapes von mir identisch geklebt. Bei allen Patienten war die subjektive Wirkung der Behandlung mit den Tapes in ihrer Lieblingsfarbe besser als mit der ‚aufgezwungenen‘ Farbe (oder war es ein positiver Lerneffekt durch die wiederholte Anwendung?). Interessant ist, dass beim dritten Termin nicht alle Patienten dieselbe Lieblingsfarbe wählten wie zuvor. Sie begründeten es mit ihrer momentanen Stimmung. Dass Farben Stimmungen hervorrufen oder verändern, ist bekannt. Sie verändern aber nicht die physikalischen Eigenschaften des Tapes. Deswegen kann es eine medizinische Evidenz nur für den psychischen Erlebnisbereich geben.“
Ein relativ neues Einsatzgebiet der Tapes ist die Funktion als Begleittherapie bei und nach Brustkrebs. Als Alternative zu konventionellen Bandagen kann es helfen, Gewebestrukturen zu stabilisieren und mobilisieren. Auch kann durch korrektes Aufkleben die Faszienstruktur stimuliert und infolgedessen ein verbesserter Abtransport der Lymphflüssigkeit gewährleistet werden – was letztlich Schmerzlinderung der Patienten bedeutet.
„Lymphgefäße haben in ihren Wänden im Gegensatz zu Venen und Arterien kaum Muskelzellen und können einem erhöhten Gewebedruck z. B. bei Verletzungen mit Schwellungen so gut wie keinen Widerstand entgegensetzen. Deshalb kann es leicht zu Stauungen im Lymphabfluss kommen. Ein Kinesiotape ist elastisch. Es wird mit leichtem Zug auf die Haut geklebt. Durch seine Kontraktion hebt es die oberen Hautschichten an, so dass eine geringe Sogwirkung auf die Lymphgefäße entsteht. Dies führt zu einer Verbesserung des Lymphabflusses und zwar überall im Körper, wo es aufgeklebt wird. Da bei Brustkrebs oft Achsellymphknoten entfernt werden müssen, kommt es häufig zu Lymphabflussstörungen am betroffenen Arm. Auch hier können Kinesiotapes ihre Wirkung entfalten, die als Ergänzung zu einer manuellen Lymphdrainage angesehen werden kann, diese aber nicht ersetzt“, erklärt Kosel.
Und um den Skeptikern in diesem medizinischen Kontext den Wind aus den Segeln zu nehmen: Eben jene Begleittherapiefunktion hat es nach Prüfung auch in die S3-Leitlinie geschafft und gilt somit als evidenzbasierte Empfehlung zur Behandlung nach Entfernung der Lymphknoten und bei anschließender Bestrahlung.
Zuletzt bleibt Skeptikern noch der Verweis auf die Studienlage. Und tatsächlich: Es gibt eine ganze Menge Studien zu Kinesiotapes, fast 1.000. Und ja, die meisten Arbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass keine klinische Signifikanz ausgemacht werden kann. Also doch kein medizinischer Nutzen? So schnell schießen die Preußen nun auch wieder nicht. Immerhin sind eben jene nicht aussagekräftigen Arbeiten immer wieder lediglich Opfer ihrer eigenen Herangehensweise – es fehlte bei den meisten eine repräsentative Menge an Probanden, wurde nicht lange genug begleitet oder man konzentrierte sich zu sehr auf Teilfragestellungen.
Die tagtägliche Praxis von Sportmedizinern, Orthopäden und Hausärzten spricht eine ganz andere Sprache und weist, wie Kosel, auf den Nutzen bzw. Schmerzlinderung der Patienten. Sicher untermauert die Studienlage, dass das Tapen keine eigene und alleinstehende Therapieform darstellt. Ebenso traten durch das Taping aber auch keine Nebenwirkungen oder gar Verschlechterungen auf. Dass die bunten Tapes als Begleittherapie letztlich durchaus ihre Berechtigung haben, zeigen vor allem zahllose Anwendungsbeispiele.
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