Dass viele ältere Menschen an Vitamin-B12-Mangel leiden, ist bekannt. Doch auch bei Jüngeren sollte dieser Vitaminmangel in Betracht gezogen werden. Besonders gefährdet sind Veganer und Vegetarier. Zudem liefert jeder dritte bis vierte Bluttest ein falsch-normales Ergebnis.
Bei Patienten mit unklaren neurologischen Störungen sollte auch ein Vitamin-B12-Mangel ursächlich in Betracht gezogen werden. Denn die typischen neurologischen Symptome – wie Parästhesien, Blässe, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisschwäche und Depression – werden nicht immer von der für den Vitamin-B12-Mangel klassischen megaloblastären Anämie begleitet. Und erst im Spätstadium des Vitamin-B12-Mangels zeigt sich das klinische Vollbild der Funikulären Myelose. Vitamin B12 (Cobalamin) ist für die Blutbildung, Zellteilung und Funktion des Nervensystems unerlässlich. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Aufnahme von 3 µg pro Tag, andere Länder liegen in ihren Empfehlungen allerdings deutlich darunter. Ältere Menschen und Schwangere haben jedoch einen höheren Vitamin-B12-Bedarf. Den höchsten Vitamin-B12-Gehalt weisen tierische Produkte auf, darunter vor allem Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier.
Die körpereigenen Speicher für Vitamin B12 – bis zu 2 mg in der Leber und weitere 2 mg in anderen Organen – reichen bei absoluter Abstinenz für etwa drei Jahre. Trotzdem leiden deutlich mehr Menschen an einem Vitamin-B12-Mangel als bislang angenommen. In einer im November 2014 veröffentlichten Studie untersuchten Flavia Fayet-Moore und Kollegen die Vitamin-B12-Versorgung von 308 gesunden australischen Studentinnen im Alter von 18 bis 35 Jahren. Die Studie zeigt, dass 11,3 % der untersuchten Frauen eine abnorm geringe Vitamin-B12-Konzentration von weniger als 120 pmol/l im Blut aufwiesen. Legt man stattdessen einen Grenzwert von 185 pmol/l fest, steigt die Zahl der betroffenen Frauen auf 42,1 %. Außerdem zeigten 4,7 % der Frauen einen erhöhten Wert von größer als 0,34 µmol/l für Methylmalonsäure, einem funktionellen Indikator für die Vitamin-B12-Versorgung. Grund hierfür sind wahrscheinlich die veränderten Ernährungsgewohnheiten: Immer mehr Menschen halten Diät oder verzichten ganz auf Fleisch oder sämtliche tierische Produkte. „Die tägliche Aufnahme von Vitamin B12 liegt in Deutschland im Durchschnitt über 5 Mikrogramm“, erklärt Prof. Claus Leitzmann, emeritierter Ernährungswissenschaftler der Universität Gießen. Trotzdem sind zahlreiche Personengruppen von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen. Besonders Veganer seien gefährdet: „Wir haben in einer Untersuchung bei 70 Prozent der Vegetarier und 90 Prozent der Veganer einen Vitamin-B12-Mangel festgestellt“, berichtet Prof. Rima Obeid von der Uniklinik Saarbrücken. Pflanzenprodukte enthalten nur in Ausnahmefällen Vitamin B12; die meisten veganen Produkte sind daher nicht geeignet, um eine ausreichende Zufuhr an Vitamin B12 zu gewährleisten. Dementsprechend sind Ovo-Lakto-Vegetarier weniger gefährdet, einen Vitamin-B12-Mangel zu erleiden, wenn sie regelmäßig Eier und Milchprodukte verzehren.
Ein Vitamin-B12-Mangel ist auch durch bestimmte Krankheiten möglich. Ein Defizit an Intrinsic Factor, der für die Aufnahme von Vitamin B12 entscheidend ist, kann beispielsweise durch eine chronische Gastritis (ausgelöst durch die Bildung von Autoantikörpern gegen Parietalzellen oder den Intrinsic Factor) oder eine Magenresektion verursacht werden. Auch das terminale Ileum kann in seiner Funktion beeinträchtigt sein, zum Beispiel durch eine Resektion oder entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn. Doch auch Medikamente können einen negativen Effekt auf die Vitamin-B12-Versorgung haben: Gleich zwei im Juni unabhängig voneinander veröffentlichte Studien belegen, dass Metformin bei Patienten, die an Diabetes mellitus Typ 2 oder polyzystischem Ovarialsyndrom leiden, zu einer statistisch signifikanten Reduktion des Vitamin-B12-Spiegels im Blut führt, und dass das Ausmaß der Reduktion von der verabreichten Metformin-Dosis abhängt. Zudem können Medikamente zur Hemmung der Magensäure-Sekretion, beispielsweise Protonenpumpenhemmer und H2-Blocker, einen Vitamin-B12-Mangel auslösen, wie Lam und Kollegen in einer Studie aus dem Jahr 2013 zeigen.
Vitamin B12 liegt im Blut in zwei Formen vor: Gebunden an Transcobalamin (TC) oder gebunden an Haptocorrin (Holohaptocorrin). Bei der an TC gebundenen Form (Holotranscobalamin, Holo-TC) handelt es sich um die metabolisch aktive Form von Vitamin B12. Diese Form macht jedoch nur ca. 20 % der Vitamin-B12-Menge aus, die restlichen 80 % liegen als Holohaptocorrin vor. Zwar existieren Assays, die zwischen diesen beiden Formen unterscheiden können, aus Kostengründen wird jedoch häufig nur der Gesamt-Vitamin-B12-Spiegel bestimmt – als normal gilt ein Wert von 150-800 pmol/l. Doch die Genauigkeit dieser Tests ist umstritten: Bereits in einer 2012 veröffentlichten Studie stellten die Autoren Carmel und Agrawal fest, dass die getesteten Immunoassays (competitive-binding luminescence-based assays, CBLAs) in 22 bis 35 % der Fälle ein falsch-negatives Ergebnis lieferten. Hierbei scheint das Hauptproblem das Vorhandensein von Intrinsic-Factor-Autoantikörpern im Serum zu sein, die mit den Assay-Antikörpern interferieren. Eine von Roche Diagnostics finanzierte Studie konnte dagegen keine Hinweise darauf finden, dass das CBLA-System von Roche (Elecsys®) zu falsch-negativen Ergebnissen führt. In Anbetracht dieser Ergebnisse sind die Experten sich darüber einig, dass ausschließlich eine Bestimmung des Holo-TC-Werts wirklich aussagekräftig ist: „Nur der Holo-TC lässt erkennen, wie viel verwertbares Vitamin B12 für die Körperzellen verfügbar ist“, betont Prof. Obeid. Sie erklärt: „Im Vergleich zu den entstehenden Folgekosten fallen die knapp 50 Euro für die Bestimmung des Holo-TC nicht ins Gewicht.“