Ein Herzinfarkt wird bei Frauen deutlich seltener erkannt, als bei Männern. Ein KI-basierter Risiko-Score könnte Ärzten in Zukunft dabei helfen, diese Unterversorgung weiblicher Patienten zu vermeiden.
Herzinfarkte sind weltweit eine der häufigsten Todesursachen, und Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden, haben eine höhere Sterblichkeitsrate als Männer. Dies bereitet Kardiologen seit Jahrzehnten Sorgen und hat in der Medizin zu Kontroversen über die Ursachen und Auswirkungen möglicher Behandlungslücken geführt. Das Problem beginnt schon bei den Symptomen: Anders als bei Männern, die in der Regel Schmerzen in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm verspüren, äußert sich ein Herzinfarkt bei Frauen häufig als in den Rücken ausstrahlende Bauchschmerzen oder als Übelkeit und Erbrechen. Diese Symptome werden von den Patienten und dem medizinischen Personal leider oft falsch gedeutet – mit fatalen Folgen.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Thomas F. Lüscher, Professor am Zentrum für Molekulare Kardiologie der Universität Zürich (UZH), hat nun die Rolle des biologischen Geschlechts beim Herzinfarkt genauer untersucht. „In der Tat gibt es bemerkenswerte Unterschiede im Krankheitsphänotyp von Frauen und Männern. Unsere Studie zeigt, dass sich Frauen und Männer in ihrem Risikofaktorprofil bei Spitaleintritt deutlich unterscheiden“, sagt Lüscher.
Lässt man Altersunterschiede bei der Aufnahme und bestehende Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Diabetes außer Acht, haben weibliche Herzinfarktpatienten eine höhere Sterblichkeit als männliche Patienten. „Werden diese Unterschiede jedoch statistisch berücksichtigt, haben Frauen und Männer eine ähnliche Sterblichkeit“, ergänzt der Kardiologe.
In ihrer Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, analysierten Forscher aus der Schweiz und dem Vereinigten Königreich die Daten von 420.781 Patienten aus ganz Europa, die die häufigste Art von Herzinfarkt erlitten hatten. „Die Studie zeigt, dass etablierte Risikomodelle, die das derzeitige Patientenmanagement leiten, bei Frauen weniger genau sind und die Unterbehandlung von Patientinnen begünstigen“, sagt Erstautor Florian A. Wenzl vom Zentrum für Molekulare Medizin der UZH.
„Mit Hilfe eines Algorithmus für maschinelles Lernen und den größten Datensätzen in Europa konnten wir einen neuartigen, auf künstlicher Intelligenz basierenden Risikoscore entwickeln, der geschlechtsspezifische Unterschiede im Ausgangsrisikoprofil berücksichtigt und die Vorhersage der Sterblichkeit bei beiden Geschlechtern verbessert“, sagt Wenzl.
Viele Forscher und Biotech-Unternehmen sind sich einig, dass künstliche Intelligenz und Big-Data-Analysen der nächste Schritt auf dem Weg zu einer personalisierten Patientenversorgung sind. „Unsere Studie läutet die Ära der künstlichen Intelligenz bei der Behandlung von Herzinfarkten ein“, sagt Wenzl. Moderne Computeralgorithmen können aus großen Datensätzen lernen, um genaue Vorhersagen über die Prognose einzelner Patienten zu treffen – der Schlüssel zu individualisierten Behandlungen.
Thomas F. Lüscher und sein Team sehen in der Anwendung von künstlicher Intelligenz für das Management von Herzerkrankungen sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Patienten großes Potenzial. „Ich hoffe, dass die Implementierung dieses neuartigen Scores in Behandlungsalgorithmen die derzeitigen Behandlungsstrategien verfeinern, geschlechtsspezifische Ungleichheiten verringern und letztendlich das Überleben von Herzinfarktpatienten – sowohl von Männern als auch von Frauen – verbessern wird“, sagt Lüscher.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Zürich. Die Studie findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Towfiqu barbhuiya, unsplash