Die Wissenschaftsakademie Leopoldina stellte am 4.12. ihre Stellungnahme zur individualisierten Medizin vor. Darin spricht sie sich auch für mehr Bioinformatik im Medizinstudium aus. Doch wo soll diese Forderung im stark ausgefüllten Studium Platz finden? Wir waren vor Ort.
Berlin. Die Leopoldina lädt zum parlamentarischen Frühstück, um ihre Stellungnahme zum Thema individualiserte Medizin zu präsentieren. Gemeinsam mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech erarbeitete eine 23-köpfige Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Friedrich, Vizepräsident der Leopoldina, Prof. Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages und dem Züricher Pathologen Prof. Heitz das gut 100-seitige Papier. Unter individualisierter Medizin verstehen die Autoren „gezielte Prävention, systematische Diagnostik und maßgeschneiderte, auf die Bedürfnisse einzelner Patienten oder Patientengruppen ausgerichtete Therapieverfahren“. Ziel von individualisierter Medizin ist es, unerwünschte Nebenwirkungen zu reduzieren und die Kosteneffektivität im Gesundheitswesen zu steigern. Technische Basis für individualisierte Medizin sind vor allem bioanalytische Hochdurchsatzverfahren, die eine immer schnellere Erfassung des gesamten Genoms, Epigenoms und Transkriptoms.
Um die Individualisierung der Medizin voranzutreiben, identifiziert die Arbeitsgruppe folgende Forderungen:
Besonders spannend für Studierende ist natürlich die Anpassung der Aus- und Weiterbildung: Hier führt das Papier neue Lehrkonzepte an, die Grundlagenwissen in der Molekularbiologie und Bioinformatik vermitteln. Leider bleiben sowohl die Stellungnahme selbst als auch die Sprecher der Arbeitsgruppe bei der Vorstellung vage, wie nun genau diese Lehrkonzepte aussehen sollen. Zunächst muss eine Abklärung der notwendigen Kompetenzen stattfinden. Diese Kompetenzen sollen sich dann in einer Novelle der Approbationsordnung finden, in der die individualisierte Medizin bisher formal nicht berücksichtigt ist. Hierbei ist Deutschland kein Einzelfall: In keinem europäischen Land gibt es eine explizite Einbettung von Individualisierter Medizin in das Curriculum des Medizinstudiums. Fakt ist, dass durch das immer schnellere Entschlüsseln von ganzen Genomen riesige Datenmengen anfallen. Den Umgang hiermit müssen auch Mediziner intensiver erlernen als bisher. Die konkrete Programmierung wird aber auch weiterhin technisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen vorbehalten bleiben. Aber auch diesen Studierenden wird künftig Zusatzwissen abverlangt – allerdings im medizinischen Bereich. So soll die Teamarbeit zwischen Technikern, Statistikern und Ärzten in Zukunft noch besser zum Wohle der Patienten gelingen.
Aktuell findet die Ausbildung der Medizinstudierenden in individualisierter Medizin tatsächlich nur am Rande statt: In Biochemie, Labormedizin und Mikrobiologie lernt man sicherlich Grundlagen der Molekularbiologie kennen. Der 1. Querschnittsbereich vermittelt wiederum basale Kompetenzen zur Bioinformatik. Zwar werden statistische Grundtechniken vermittelt, der Umgang mit großen Datenmengen gehört bisher aber nicht zum Curriculum. Aus Sicht der Leopoldina soll sich das nun ändern.
Doch wo sollen die Stunden für ein weiteres Fach oder einen weiteren Querschnittsbereich herkommen? Einig sind sich glücklicherweise sowohl die Bundesvertretung der Medizinstudierenden e.V. als auch die Sprecher der Arbeitsgruppe, dass es keine Erhöhung der Präsenszeit im Studium geben darf: „Hier bedarf es einer Verschiebung von Stunden aus bestehenden Fächern. Eine Erhöhung der präsenzpflichtigen Veranstaltungen ist sicher nicht praktikabel“, so Prof. Heyo Kroemer bei der Vorstellung der Stellungnahme. Eine Möglichkeit, in Zukunft die individualisierte Medizin ins Studium zu etablieren, könnte der nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog der Medizin (NKLM) sein: So könnten in der Rolle des Arztes als Medizinischer Experte aber auch als Kommunikator und Gesundheitsberater Lernziele formuliert werden, die eine Anwendung von individualisierter Medizin befördern.
Neben der Leopoldina hat sich vor allem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter der Leitung von Ministerin Wanka mit individualisierter Medizin beschäftigt. Sie legte im Februar dieses Jahres einen Aktionsplan vor. Dieser macht allerdings keine Äußerungen zu Änderungen im Studium, sondern hat vor allem die Forschungsförderung im Blick.