Die Wundversorgung am diabetischen Fuß ist eine Kunst, bei der selbst Ärzte Fehler machen. Lernt hier, warum herkömmliche Kompressen oder Salben die Wundsituation verschlimmern können und wie es stattdessen richtig geht.
Ein Gastbeitrag von Anna Edel, Ärztin, Diabeteszentrum & DDG-zertifizierte Fußambulanz Iserlohn.
Es gibt nicht die Pauschalantwort, welcher Verband bei welchem Wundheilungsstadium beim Diabetischen Fuß angewendet wird. Die drei Basisregeln, die man sich merken kann, sind: Wunde feucht halten, sauber halten und die Druckbelastung minimieren. Wenn man diese drei Dinge in einem Satz erwähnt, fängt der erfahrene „Fußologe“ erstmal herzlich an, zu lachen. Denn in der Regel sind Wunden, die unter polyneuropathischen und angiopathischen Bedingungen entstehen, fibrinbelegt, siffig, ggf. nekrotisch oder teilweise auch madenbedeckt. Maden sind nicht schlecht, denn sie halten die Wunde sauber, aber gerade die Made vom „Wildtyp“ ist nicht jedermanns Sache.
Zunächst sollte die Ursache für das Ulcus identifiziert und dann vermieden werden. Viele Patienten nennen hier den Namen ihres Podologen. Dass diese aber häufig diejenigen sind, die ein Ulcus früh entdecken und die Patienten zum Arzt schicken, wird dabei nicht erkannt. Und dass die Schuhe zwei Nummern zu klein sind, man barfuß am Strand von Ägypten gelaufen ist oder noch eine verrostete Schraube im Fuß steckt, ist nebensächlich.
Um saubere, feuchte Wundverhältnisse zu schaffen, eignen sich Polyurethan-Schäume (PUR). (Wir selber nutzen wir in unserer Fußambulanz seit vielen Jahren Ligasano® weiß* und machen, was Reinigung der Wunde und Abfluss von Exsudat angeht, damit sehr gute Erfahrungen.) PUR-Schaum ist luft- und wasserdurchlässig, dadurch bilden sich weder Sekretstau noch Mazeration der Wundränder. Da der Schaum nur das überschüssige Sekret aufnimmt, trocknet die Wunde nicht aus. Er fördert durch seine (grobe) Struktur die Granulation und reinigt die Wunde im Sinne eines oberflächlichen Debridements.
Diese ständige mechanische Reinigung kann manchmal bei Patienten trotz Polyneuropathie (PNP) Schmerzen verursachen. Daher ist dann eine adäquate Schmerztherapie – lokal mit anästhesierenden Gels oder systemisch – erforderlich.
Verbandsmaterial mit PUR-Schaum gibt es in unterschiedlichen Stärken und kann, wenn richtig ausgewählt, auch den Druck auf das Ulcus reduzieren. Außerdem passt es sich dem Druck von außen an. Wenn also Ihr Patient zum ersten Mal in der Praxis erscheint – extra schick gemacht, es geht schließlich zum Doktor – hat er in der Regel keinen Verbandsschuh dabei. Aber dieser Verband passt in jeden Schuh – auch in Peeptoes und Ballerinas.
Des Weiteren kann man einen PUR-Schaum bei großen Sekretmengen gut mit einem Superabsorber oder mit Saugkompressen kombinieren, um die Flüssigkeit aufzufangen. Dabei wird ein passendes Stück Schaumverband direkt auf das Ulcus aufgebracht, der Superabsorber kommt darauf und beides wird mit Klebevlies befestigt. Bei sehr hohen Sekretmengen, die mehrmals tägliche Verbandswechsel erfordern, empfehlen wir für den Hausgebrauch große Damenbinden vom örtlichen Discounter. Diese können von außen auf den Primärverband aufgebracht und regelmäßig von den Patienten selbst gewechselt werden, ohne, dass die Wundauflage entfernt werden muss.
Um die Wundumgebung nicht zu gefährden und ein sauberes Milieu zu erhalten, ist es wichtig, dass das Sekret abfließen kann. Um die Wäsche der Patienten zu schützen, kann man sich wie oben beschrieben helfen. Allerdings sollte man auf abdichtende Verbände mit Schutzfolien, Silikon oder dem Wort „Border“ im Namen verzichten.
Wenn das Ulcus gut granuliert, trockener und kleiner wird, sollten Sie bei nur noch geringen Mengen Exsudat auf ein weicheres Produkt wechseln. Auch hier ist die Empfehlung, eher auf Produkte mit selbstklebendem Silikonrand zu verzichten, damit mögliches Restsekret abfließen kann.
Je nach Wunde und Patientensituation, ist das Therapieziel häufig Lebensqualität und Schadensbegrenzung statt Heilung. Wir sehen nicht selten Patienten, deren Gefäße eher an das Abwassersystem eines Mehrfamilienhauses erinnern. Ein Stent reiht sich an den nächsten. Die gefäßchirurgischen und angiologischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Entsteht ein Ulcus/eine Nekrose unter solchen Bedingungen, verwenden wir z. B. silberhaltiges Hydroalginat oder Aktivkohleprodukte mit Silberanteil. Dadurch wird die Nekrose abgetrocknet, die bakterielle Besiedelung minimiert und, was für die Patienten häufig am wichtigsten ist, Gerüche werden neutralisiert.
Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom sind eine besondere Gruppe von Menschen. Häufig ist dieses Krankheitsbild die Folge von jahrelang schlecht eingestelltem Diabetes, gepaart mit 100–200 py Nikotinabusus, und oft sind diese Patienten sozial nicht gut integriert. In der Zusammenarbeit mit ihnen ist mehr Empathie gefragt denn je und die Versorgung eines Ulcus, egal in welchem Wagnerstadium, ist nichts, was man mal nebenbei machen kann, z. B. mit den Wundauflagen, die der letzte Pharmavertreter dagelassen hat.
Gerade in ländlichen Regionen ist die Arbeitsbelastung der Allgemeinmediziner und ambulanten Pflegekräfte besonders hoch und kaum einer ist in Sachen „Behandlung des DFS“ geschult. Dadurch passieren Fehler, die eine Verschlimmerung der Wundsituation zur Folge haben können. Häufig werden herkömmliche sterile Kompressen auf den Wundgrund aufgelegt. Diese sind weder saugfähig noch druckentlastend. Im Gegenteil, sie sind unnachgiebig und scharfkantig und haben, außer zur Wundreinigung, nichts in der Wunde zu suchen.
Des Weiteren kommt es vor, dass das Pflaster, mit dem der Verband fixiert wird unter Zug aufgeklebt wird. Dadurch entstehen rund um die Wunde Spannungsblasen. Besser ist es, das Klebevlies locker, ohne Falten aufzulegen und anzudrücken. Auch die Benutzung von elastischen Wickeln hat bei Patienten mit pAVK oft zur Folge, dass die Restdurchblutung auch noch abgeschnürt wird. Wie bereits oben beschrieben, führt auch die Benutzung von Sekret-undurchlässigen Wundauflagen mit Folien, Silikonbeschichtungen oder -rand häufig zur Verschlechterung eines Ulcus. Hier eignen sich eher Verbände, die das Wundsekret abfließen lassen und mechanisch reinigen.
Ein weiterer Verkaufsschlager sind Salben. Vor allem jodhaltige Salben oder solche mit Ethacridin-Anteil erschweren die Beurteilung des Ulcus erheblich, da sie den Wundgrund verfärben. Auch andere Salben sorgen für einen Sekretstau und Mazeration. Wir raten dazu, gar keine Salben aufzutragen, auch wenn hierdurch das Risiko auf eine Diskussion mit den Patienten ansteigt. Fast jeder Patient besteht auf einer Wund- und Heilsalbe.
Neben Salben sind auch Fußbäder ein großes Problem. Es kann bei nicht überprüfter Temperatur und PNP zu starken Verbrühungen kommen. Außerdem können durch den hydrostatischen Druck pathogene Keime ins Gewebe gepresst werden. Dies führt häufig zu Wundinfektionen oder Erysipel. Auch hier ist weniger bzw. gar nichts mehr.
Aber einer der größten Fehler besteht häufig in der stationären Einweisung der Patienten. Wenn Sie nicht zufällig ein von der Deutschen Diabetes Gesellschaft zertifiziertes Krankenhaus in der Nähe haben, wo Menschen sind, die sich mit diabetischen Füßen auskennen, ist der Fuß schneller ab, als man Diabetes sagen kann. Leider ist die landläufige (chirurgische) Meinung weiterhin, ein infiziertes oder nekrotisches Ulcus muss im Gesunden entfernt werden, da der Patient sonst septisch wird. Das wird unterstützt durch das jeweilige Controlling, um lange Liegezeiten zu verhindern. Der rechtliche Anspruch auf eine Zweitmeinung wird entweder sehr stiefmütterlich behandelt oder die Patienten werden so aufgeklärt, dass sie hinterher aus Angst um ihr Leben freiwillig ihren Unterschenkel hergeben. Daher die eindringliche Empfehlung, wenn man sich unsicher ist, entweder in eine zertifizierte Fußambulanz in der Nähe zu überweisen, oder in ein zertifiziertes Krankenhaus einweisen.
Jeder, der schon Patienten mit DFS betreut hat, weiß, es ist eine Never-Ending-Story. Daher ist es ratsam, die Patienten und Angehörigen in die Therapie mit einzubinden. Sie können tägliche Verbandswechsel durchführen, sehen kleinste Veränderungen sofort und fühlen sich dadurch nicht hilflos und ausgeliefert.
Der häufigste „Fehler“, den die Patienten machen, ist die Mobilisation. Frei nach dem Motto, „belasten, was belastet werden kann“ (Dr. Gerald Engels), laufen die meisten Patienten weiter auf ihrem Ulcus herum. Da viele Patienten alleinstehend sind oder ebenfalls kranke Angehörige haben und häufig am Existenzminimum leben, sind sie auf zwei funktionierende Beine und Füße angewiesen. Dazu kommt, dass die ausgeprägte PNP dazu führt, dass sie häufig keine Schmerzen in den betroffenen Bereichen spüren und diese ausblenden (Leibesinselschwund, Dr. Alexander Risse).
Natürlich muss eine Entlastung her, aber hier sind wir als Behandler gefragt. Es gibt Filztechniken, die eine Wunde komplett entlasten, dafür benötigt man Erfahrung, Material, Zeit und häufige Patientenkontakte. Dies ist in der ambulanten Therapie in ländlichen Gegenden äußerst schwierig umsetzbar. Unterarmgehstützen sind bei der Patientenklientel – multimorbide, betagt, gang- und standunsicher mit Sehstörungen – häufig eher lebensgefährlich. Sie sollten herausfinden, welche Möglichkeiten im häuslichen Umfeld der Patienten zu finden sind und diese ausschöpfen (Nachbarn, Pflegedienst, Essen auf Rädern etc.), entsprechende Hilfsmittel verordnen (Toilettenstuhl, Rollstuhl, Urinflasche) und wenn dies nicht ausreicht, das Therapieziel überdenken.
Eine weitere Herausforderung stellt die Eigenversorgung von Wunden mit allen möglichen im Haushalt vorhandenen Utensilien dar. Wundverbände mit Panzerband, Nägel schneiden mit dem Seitenschneider, Abszesse aufstechen mit dem Taschenmesser und noch viel Kreatives mehr. Daher ist es wichtig, die Patienten und Angehörige von vornherein in die Behandlung mit einzubeziehen, ihnen die nötigen Materialien zur Verfügung zu stellen und sie in ihrem Lernprozess zu begleiten, bis sie die wichtigsten Grundsätze verinnerlicht haben. Das Ziel sollte sein, dass Patienten und Angehörige ein Verständnis für ihre Erkrankung entwickeln und die Kompetenz damit umzugehen. Danach ist der Rest nur noch Formsache.
*Anmerkung der Autorin: Die Produktnennung erfolgt ohne Gegenleistung seitens der Firma und lediglich aufgrund der guten Erfahrung, die wir in der Fußambulanz mit diesem Produkt gemacht haben.
Bildquelle: Lucrezia Carnelos, unsplash