1.000 neue Gesundheitskioske – so will es der Koalitionsplan, so will es Karl Lauterbach. Aber wer bezahlt das eigentlich alles und wo kommen die ganzen Arbeitskräfte her?
Seine Gesetzesinitiative zum geplanten Ausbau des Kioskangebots gab der Gesundheitsminister in wohlgesonnener Umgebung bekannt: Im Gesundheitskiosk in Hamburg. Dass das Vorhaben des Ministers aber nicht überall auf Gegenliebe stößt, dürfte er danach von verschiedenen Seiten erfahren haben.
Doch eins nach dem anderen: Bereits im Koalitionsvertrag war und ist der Ausbau des Kiosk-Systems vorgesehen. So heißt es darin: „Durch den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren stellen wir eine wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung sicher und fördern diese durch spezifische Vergütungsstrukturen. […] In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen (5 Prozent) errichten wir niedrigschwellige Beratungsangebote (z.B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention. Im ländlichen Raum bauen wir Angebote durch Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen aus.“
So weit so sinnvoll und praktisch das ganze Anliegen – immerhin bedarf es tatsächlich einer Neuerung an einigen Stellen und die Bevölkerung benötigt in vielen Regionen einen vereinfachten Zugang zum Gesundheitswesen. Erreicht werden soll dies nun mit der flächendeckenden Etablierung neuer Einrichtungen mit entsprechenden Zielvorgaben: „In Deutschland [darf] weder der Geldbeutel noch der Wohnort über die Behandlung von Patientinnen und Patienten entscheiden. Gesundheitskioske können dabei einen entscheidenden Unterschied machen. Beratung, Vermittlung und vorbeugende Maßnahmen sind Beispiele für die Lücken im System, die so in benachteiligten Regionen geschlossen werden sollen“, so Lauterbach.
Vom möglichen medizinischen Nutzen (dieser soll jährlich evaluiert werden) einmal abgesehen, wirft das Konzept allerdings jede Menge Fragen struktureller Natur auf – von der Finanzierung, über den Bau, die Inbetriebnahme bis zur personellen Leitung im laufenden Geschäft. Auch dies sei laut Lauterbach aber nun geregelt:
„Initiiert werden sollen die Anlaufstellen von den Kommunen, finanziert mehrheitlich von den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die Kommunen beteiligen sich. Hauptaufgabe der Kioske ist es, den Zugang zur Versorgung der Patientinnen und Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf zu verbessern und die Versorgung zu koordinieren“, so Lauterbach.
Zu deutsch: Die Kommunen entscheiden, ob sie Bedarf haben und bauen wollen. Die Krankenkassen (und privaten Krankenversicherungen) zahlen dann. Da muss man kein Hellseher sein, um zu erahnen von wo nun der Gegenwind kommt. Immerhin müsste aber auch dem Minister klar sein, dass die aktuell in Folge der Corona-Pandemie, wegen versicherungsfremder Leistungenund wegen steigender (Arzneimittel-)Preise ohnehin finanziell knappen Krankenkassen nicht in Jubelstürme ausbrechen, wenn sie nun an einer völlig neuen Stelle den Geldbeutel aufmachen dürfen – ohne Mitbestimmungsrecht.
Dass die Kassen auch noch für 74,5 % der Gesamtkosten aufkommen sollen, gibt den GKV-Entscheidern das letzte Argument für den Stempel „unrealistisches Projekt“ an die Hand. „Das Geld dafür ist derzeit nicht da“, sagt Alexander Krauß, Sprecher der TK Sachsen dem MDR. Der Kassenvertreter hat dabei bereits die Gesamtkosten des Vorhabens im Kopf und macht eine einfache Rechnung auf. So sei man, wenn ein einzelner Kiosk 600.000 – 700.000 Euro kostet, schnell bei einer guten halben Milliarde Euro. „Derzeit können wir leider nicht darauf vertrauen, dass sich der Bund beteiligt. Auf jeden Fall sind eine halbe Milliarde keine Peanuts und das kann zu steigenden Beiträgen für die Versicherten führen“, erklärt Krauß.
Dass dies keine Einzelstimme ist, zeigen ähnliche Urteile wie die von Hannelore Strobel, Sprecherin der AOK Plus Sachsen-Thüringen: „Die Idee der Gesundheitskioske ist nicht gut durchdacht und einfach unausgegoren.“ Die KV Berlin schlägt in die selbe Kerbe: „Die Einrichtung von Gesundheitskiosken [hat] keinen Mehrwert für die ambulante Versorgung. Sinnvoller und kostengünstiger wäre es, bereits bestehende und funktionierende Strukturen in der ambulanten Versorgung zu stärken“, so die Kasse in einer Stellungnahme.
Und die Berliner machen noch einen weiteren Punkt auf, dem sich in der Kritik auch Ärzteverbände anschließen. So habe die Etablierung neuer Einrichtungen mit einem festen Personalstock logischerweise zur Folge, dass jede Person, die dort übernommen würde, an anderer Stelle fehle.
Auch hier ist die Rechnung relativ einfach: 1.000 Gesundheitskioske bedeuten zusätzliches Personal von 5.000 bis 10.000 Personen – aus einem Sektor, der bereits jetzt extrem mit Personalmangel zu kämpfen hat. Nicht nur, dass man also Stellen schaffen möchte, die in vielen Regionen ohnehin vom ambulanten Dienst abgedeckt werden, auch nähme man diesen Kollegen – ebenso wie den Krankenhäusern, den Niedergelassenen und anderen Pflegeeinrichtungen – das dringend benötigte Personal weg.
Noch mehr Kritik gefällig? Auch die Ärztekammern lassen sich nicht lumpen: „Die wohnortnahe Versorgung und Beratung von Patienten ist ein wichtiges Anliegen. Doch mit der flächendeckenden Einrichtung von sogenannten Gesundheitskiosken wird kein einziges der eigentlichen und aktuellen Versorgungsprobleme gelöst“, sagt Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer. „Hier wird eine teure Parallelstruktur aufgebaut, die von den eigentlichen Herausforderungen ablenken soll.“ Bei der KV Berlin klingt es genauso:
„Die Einführung einer weiteren Versorgungsebene ist aus unserer Sicht nicht zielführend. Das Leistungsspektrum wird bereits von vielen etablierten Modellen abgedeckt. Zu nennen sind hier die Nichtärztlichen Praxisassistent:innen (NäPa), ambulante Pflegedienste oder die von der KV Berlin geförderten Kiezschwestern in Praxisnetzen“, so der Vorstand der KV Berlin.
Letztlich bleibt neben den konkreten Fragen und Kritik der einzelnen involvierten Parteien auch offen, weshalb es neuer Einrichtungen bedarf, wo ohnehin mit Integrierten Notfallzentren (INZ), alternativen ambulanten Diensten und anderen Einrichtungen Vorort-Angebote entstehen (sollen) – und das alles vor und während einer Digitalisierungswelle, die durchs Land gehen soll.
Ob die Kritik gehört wird, der Bund stärker in die Finanzierung einsteigt oder man das gesamte Konzept in Frage stellt, bleibt vorerst offen. Sicher ist: Mehr und neues Personal kann nicht herbeigezaubert werden, und die Krankenkassen können kein Geld drucken.
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