Für die seltene neurometabolische Störung AADCD gibt es nur wenige Behandlungsmöglichkeiten. Jetzt ist ein neues Gentherapeutikum auf dem Markt, das direkt ins Gehirn appliziert wird.
Bei Patienten mit einem Mangel an aromatischer L-Aminosäure-Decarboxylase (engl.: Aromatic L-amino acid decarboxylase deficiency, AADCD) führt die Abnahme der Katecholamin- und Serotoninspiegel im Gehirn zu Entwicklungsverzögerungen und Bewegungsstörungen. Ein AADC-Mangel ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte neurometabolische Störung mit einer geschätzten Prävalenz von 1:116.000 in Europa. Weltweit sind nur wenige Gentherapien zugelassen. Seit dem 15. August diesen Jahres ist ein neues Gentherapetikum auf dem Markt, das direkt in das Gehirn appliziert wird.
Aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase ist das letzte Enzym in der Biosynthese der Monoamin-Neurotransmitter Serotonin und Dopamin. Dopamin ist die Vorstufe für Noradrenalin und Adrenalin. Die Erkrankung wird durch Defekte im Dopa-Decarboxylase-Gen (DDC) verursacht, das für AADC kodiert.
Der Symptombeginn erfolgt typischerweise in den ersten Lebensmonaten. Er ist mit einer Entwicklungsverzögerung verbunden, zusätzlich zu einer Vielzahl anderer Symptome und funktioneller Probleme, einschließlich:
Augenkrisen sind ein vorhandenes Symptom bei der Mehrheit der Patienten in allen Altersgruppen. Schwere Augenkrisen können Ganzkörperdystonie verursachen. Die Mehrheit der Patienten haben eine schwere motorische Beeinträchtigung, die durch fehlende Kopfkontrolle und minimale willkürliche Bewegung gekennzeichnet ist. Andere häufige Symptome sind Krampfanfälle, übermäßiges Schwitzen, vermehrter Speichelfluss, hängende Augenlider und eine verstopfte oder laufende Nase.
Problematisch ist, dass eine Reihe von anderen Erkrankungen wie beispielsweise Epilepsie, Zerebralparese oder eine neuromuskuläre Schwäche ähnliche Symptome aufweisen.
Aufgrund des breiten Spektrums an Symptomen und funktionellen Problemen im Zusammenhang mit AADC-Mangel benötigen die meisten Menschen eine lebenslange Betreuung.
Steckbrief
Name der Erkrankung
AADC-Mangel
Weitere Namen
AADCD
Häufigkeit
1 : 116.000 - 1: 1000.000
Genetik
Dopa-Decarboxylase-Gen
Gestörte Funktion
Therapie
Symptomorientierte Therapie mit Dopaminagonisten und neuerdings Gentherapie
Die meisten Patienten mit AADCD profitieren nur begrenzt von den derzeit verfügbaren medizinischen Therapien, so das Resümee einer Studie von Brun et al. Die Behandlungsstrategie basiert auf einem Regime, das den Mangel an AADC-Aktivität durch Monoaminoxidase(MAO)-Hemmer, dopaminerge Agonisten und Pyridoxin oder die aktive Form Pyridoxal-5′-Phosphat (PLP) kompensiert.
Es ist erstaunlich und nachahmenswert, dass es für eine so seltene Erkrankung eine Leitlinie gibt. Es werden nicht aus Mutterkorn stammende Dopaminagonisten wie Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin (transdermale Pflaster) und Apomorphin (subkutan) eingesetzt.
Das Risiko fibrotischer Komplikationen mit Dopaminagonisten, die nicht aus Mutterkorn stammen, ist wahrscheinlich sehr gering. Für Bromocriptin, Pramipexol, Rotigotin-Pflaster und Pergolid wurden positive Reaktionen (z.B. Verbesserung der Kopfkontrolle, Hypotonie, Augenkrisen, willkürliche Bewegungen und autonome Symptome) berichtet.
Zu den berichteten Nebenwirkungen gehörten Reizbarkeit, Gewichtsverlust, Verschlechterung der Gedeihstörung, Erbrechen sowie leichte bis schwere Dyskinesien
MAO-Hemmer verhindern den Abbau von Dopamin und Serotonin und erhöhen dadurch die Monoaminverfügbarkeit. Die Wirkung von MAO-Hemmern bei AADCD wurde für 31 Fälle in 17 Studien beschrieben. Die verwendeten MAO-Hemmer waren Tranylcypromin, Selegilin und Phenelzin.
Pyridoxalphosphat (PLP), die aktive Form von Pyridoxin, ist ein Cofaktor von AADC. Daher könnte die Behandlung mit einer von mehreren verfügbaren Formen von Vitamin B6 die Restaktivität des AADC-Enzyms erhöhen. Pyridoxin ist leichter verfügbar und preiswerter als PLP, daher ist es die am häufigsten bei AADCD verwendete Form.
Anticholinergika (z. B. Trihexyphenidyl, Benztropin, Biperiden) werden häufig zur Behandlung bestimmter Bewegungsstörungen, insbesondere Parkinsonismus und Dystonie eingesetzt. Obwohl ihr genauer Wirkungsmechanismus nicht bekannt ist, wird angenommen, dass sie das relative Ungleichgewicht zwischen dopaminergen und cholinergen Signalwegen beeinflussen. Bei AADCD können sie zur Behandlung von autonomen Symptomen, Dystonie und Augenkrisen eingesetzt werden. In Studien wurde von Nebenwirkungen berichtet, darunter erhebliche Sedierung und aggressives Verhalten.
Eladocagene exuparvovec ist eine Gentherapie auf der Grundlage eines rekombinanten AAV2-Vektors, der die humanen cDNA für das DDC-Gen enthält. Adeno-assoziierte Virus (AAV)-Vektoren sind die führende Plattform für die Genübertragung für die Behandlung einer Vielzahl menschlicher Krankheiten.
AAV gehört zur Gattung Dependoparvovirus innerhalb der Familie Parvoviridae. Nach der Endozytose wird das AAV in den Zellkern transportiert, wo es seine Hülle verliert und das Vektorgenom freigesetzt wird. Im Zellkern der Wirtszelle bildet das AAV-Vektorgenom ein dauerhaftes Episom, was eine dauerhafte Transgenexpression in der Wirtszelle ermöglicht. Der Mangel an der Pathogenese beteiligter Neurotransmitter wird ausgeglichen.
Nach Infusion in das Putamen führt das Produkt zu einer Expression des AADC-Enzyms und einer nachfolgenden Dopamin-Produktion. Das Putamen ist Teil der Basalganglien die an der Koordination motorischer Bewegungen beteiligt sind. Somit kommt es zu einer Entwicklung der motorischen Funktion bei behandelten Patienten mit AADC-Mangel.
Die Zulassung durch die EMEA erfolgte auf der Grundlage von zwei Studien. In China wird aufgrund einer Gründermutation eines von 32.000 Kindern mit einem AADC-Mangel geboren. Deshalb kommen die meisten Studien von dort. In einer Studie von Tai et al. erhielten 26 Patienten eine Infusionen Eladocogen Exuparvovec und haben die 1-Jahres-Bewertungen abgeschlossen. Rasche Verbesserungen der motorischen und kognitiven Funktion traten innerhalb von 12 Monaten nach der Gentherapie auf und hielten während der Nachbeobachtungszeit von > 5 Jahren an. Die Erfolge waren:
Mittels Positronen-Emissions-Tomographie und Neurotransmitter-Analyse wurde eine Steigerung der Dopaminproduktion nachgewiesen. Patientensymptome (Stimmung, Schwitzen, Temperatur und Augenkrisen), Patientenwachstum und Lebensqualität der Patientenbetreuer verbesserten sich. Obwohl bei allen behandelten Teilnehmern Verbesserungen beobachtet wurden, war ein jüngeres Alter mit einer größeren Verbesserung verbunden. Bei den meisten Patienten kam es zu einer leichten bis mittelschweren Dyskinesie, die innerhalb weniger Monate abklang.
Eine Studie von Chien et al. kam zu dem Schluss: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die intraputaminale Injektion von AAV2-hAADC gut vertragen wird und die motorische Entwicklung bei Kindern mit AADC-Mangel verbessern könnte“. Inzwischen haben die Mediziner in einer offenen Phase-1/2-Studie 10 weitere Kinder behandelt und dabei offenbar gute Ergebnisse erzielt. Alle Kinder zeigten teilweise deutliche Verbesserungen in ihrer Entwicklung, so die Studie von Chien et al.
Eine Analyse von Behnke et al. kam zu dem Schluss, dass die Kosten-Nutzen-Analyse einer einmaligen Gentherapie im Vergleich zu einer konventionellen Therapie positiv ausfällt.
Eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP), der Arbeitsgemeinschaft pädiatrischer Stoffwechselstörungen (APS), der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) begleitet die Therapie. Die vorliegende Stellungnahme ist die Empfehlungen für diese Voraussetzungen zum Stand heute und nach Vorlage bei den beteiligen Fachgesellschaften noch vor der Zulassung von Eladocagene exuparvovec. Nach der Zulassung des Präparats sollte diese Stellungnahme in regelmäßigen Abständen überprüft und aktualisiert werden.
Das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in Heidelberg verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung und Diagnose der angeborenen Neurotransmitterstörungen. Unter der Leitung von Prof. Opladen wurde für diese seltenen Erkrankungen ein internationales Netzwerk gegründet und ein Patientenregister aufgebaut.
Sicherlich ist die Gentherapie auch für die Parkinsonforschung interessant, da auch bei dieser Erkrankung ein cerebraler Dopaminmangel vorliegt.
Bildquelle: Wenniel Lun, unsplash