Lange galt die Hormonersatztherapie in den Wechseljahren als „Herz-Kreislauf-Killer“ – Zeit, mit diesem Mythos aufzuräumen. Zwei Expertinnen erklären, wieso.
Eine der bekanntesten Studien der neueren Medizingeschichte feiert 20-jähriges Jubiläum. Die Erstveröffentlichung der randomisierten, kontrollierten Women’s Health Initiative (WHI) Studie – hier eine gute Zusammenfassung – erfolgte im Jahr 2002 im Journal of the American Medical Association. Die WHI-Studie hatte Placebo gegen eine Hormonersatztherapie (HRT) getestet, konkret konjugierte equine Östrogene plus Medroxyprogesteron-Acetat (MPA), und zwar im Hinblick auf diverse klinische Endpunkte von Krebs- bis Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Sie fand erhöhte Risiken u.a. bei Brustkrebs, Schlaganfall, KHK-assoziierten Ereignissen und Thrombose. Das führte dazu, dass sich das Verschreibungsverhalten in Sachen HRT radikal änderte. Gemäß dem aktuellen Gesundheitsreport 2022 der Techniker Krankenkasse entscheiden sich aktuell etwa 6 Prozent der Frauen in Deutschland peri- oder postmenopausal für eine HRT. Vor der WHI waren es 37 Prozent.
Ist doch wunderbar so, könnte man sagen. Doch wurde das Kind vielleicht mit dem Bade ausgeschüttet? Dr. Katrin Schaudig, Gynäkologin in Hamburg und aktuell Präsidentin der 1996 gegründeten Deutschen Menopause Gesellschaft, sieht das so: „Es ist richtig, dass es vor der WHI Studie eine Phase gab, in der Hormone relativ unkritisch verschrieben wurden, in der Annahme, sie hätten nur Nutzen und keine Risiken. Es gab damals Experten, die sagten, eigentlich sollte jede Frau Hormone bekommen. Da wurde definitiv übertrieben. Doch dann ist das Pendel ins andere Extrem ausgeschlagen: Manche verhalten sich seit der WHI so, als stehe auf jeder Hormonpackung ein Totenkopf.“
Schaudig ist nicht allein. Viele andere sehen das ähnlich: „Die WHI Studie hat Ärzten und Patienten Angst vor der Hormontherapie gemacht. Dabei waren die teilnehmenden Frauen zu alt, hatten ein zu hohes kardiovaskuläres Risiko, und die eingesetzten Hormone waren aus heutiger Sicht nicht optimal“, sagt Prof. Angela Maas, als Research Director Women’s Cardiac Health an der Radboud University in Nijmegen, seit dreißig Jahren ausgewiesene Expertin zur kardiovaskulären Gesundheit von Frauen. Tatsächlich haben sich vor einigen Jahren sogar zwei Autoren der WHI Studie selbst zu Wort gemeldet und unter dem Titel Getting Clinical Care Back on Track ihr Bedauern darüber ausgedrückt, welche Konsequenzen ihre Studie auf das Verschreibungsverhalten hatte. Andere WHI-Autoren sprechen bis heute davon, dass die Ergebnisse schon auf Ebene der Originalpublikation unzulässig dramatisiert worden seien.
Im Gespräch mit DocCheck gab Schaudig einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand und die aktuellen Empfehlungen zur HRT, die auch in der 2020 aktualisierten S3-Leitlinie Peri- und Postmenopause niedergelegt sind. Der Mythos der HET als pauschalem Herz-Kreislauf-Killer könne nach einer Re-Analyse der WHI aus dem Jahr 2013 und mehreren Metaanalysen, die noch andere Studien berücksichtigen, ad acta gelegt werden, so Schaudig: „In den Subgruppenanalysen der WHI sehen wir ganz klar, dass das Herzinfarktrisiko bei den jüngeren, also jenen zwischen 50 und 60 Jahren, nicht erhöht ist. Es gibt sogar eine Cochrane-Analyse, die besagt, dass eine Hormontherapie, die innerhalb von zehn Jahren nach der Menopause begonnen wird, schützende kardiovaskuläre Effekte hat. Das ist nicht Teil der Leitlinie, aber ich persönlich finde die Datenlage sehr überzeugend.“
Pathophysiologisch sei eine solche Altersabhängigkeit der kardiovaskulären Effekte weiblicher Geschlechtshormone sehr plausibel, betont auch Angela Maas, Lead-Autorin eines kürzlich publizierten, europäischen Konsensus-Dokuments zur kardiovaskulären Gesundheit nach der Menopause. „Die Biologie der Gefäßwände ist eine andere, wenn die Frauen älter werden.“ Ähnliches sehe man auch bei der Folsäure, so Maas. Dort sei die Supplementierung in jungen Jahren kardiovaskulär günstig, nicht dagegen bei Frauen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen.
Die beiden Expertinnen plädieren deswegen für ein stark individualisiertes Vorgehen, bei dem die Menopause für ein umfassendes kardiovaskuläres Risiko-Assessment genutzt wird und Frauen mit peri- oder postmenopausalen, vasomotorischen Beschwerden in Abhängigkeit von der kardiovaskulären Gesamtsituation differenziert versorgt werden. Bei hohem oder intermediärem Risiko sollten Risikofaktoren wie Hypertonie und Hyperlipoproteinämie adressiert werden. Bei vasomotorischen, menopausalen Beschwerden kämen dann in erster Linie transdermale Östrogen-Applikationen in Betracht, so Schaudig, also Pflaster, Sprays oder Gele. Gleiches gilt generell für alle Frauen mit basal erhöhtem Thromboserisiko: „Wenn Östrogen transdermal in nicht zu hoher Dosis appliziert wird, entfällt – im Gegensatz zur oralen Gabe – die Aktivierung des Gerinnungssystems in der Leber, der so genannte First-Pass-Effekt, sodass eine gerinnungsfördernde Wirkung ausbleibt.“
Bei Frauen mit niedrigem Risiko wiederum könne bei entsprechenden menopausalen Symptomen der Applikationsweg nach Vorliebe der jeweiligen Frau ausgewählt werden, so Maas. Und – so die Expertin – man sollte es dann auch wirklich tun: „Etwa 25 Prozent der Frauen haben zehn Jahre oder länger vasomotorische Symptome, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen können. Die Hormontherapie ist in dieser Situation extrem effektiv.” Die kardiovaskuläre Prävention alleine sei, trotz möglicherweise positiver Effekte bei jüngeren Frauen, keine Indikation für eine HET: „Da haben wir bessere Therapien“, so Maas.
Jenseits von vasomotorischen Symptomen und der kardiovaskulären Gesamtsituation sind bei der Verordnung einer HRT andere Faktoren zu berücksichtigen. Da ist zum einen eine gewisse Erhöhung des Brustkrebsrisikos. Sie geht im Wesentlichen auf die Gestagen-Komponente der HRT zurück, die nötig ist, weil eine alleinige Östrogen-Therapie bei Frauen mit Uterus das Risiko von Endometriumkarzinomen deutlich erhöhen würde: „Das Brustkrebsrisiko können wir nicht wegdiskutieren, aber es ist zum einen klein, zum anderen ist es wahrscheinlich nicht bei allen Gestagenen gleich“, so Schaudig.
Neben dem in der WHI genutzten MPA seien noch andere synthetische Gestagene mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko vergesellschaftet, darunter Levonorgestrel (LNG) und Norethisteronacetat (NETA). Bei neueren Gestagenen dagegen, etwa mikronisiertes Progesteron und Dydrogesteron, das dem körpereigenen Progesteron nahesteht, sei das Brustkrebsrisiko dagegen deutlich weniger erhöht: „Wenn wir heute eine Langzeittherapie beginnen, dann nehmen wir deswegen eines der moderneren Gestagene.“
Ohnehin müsse das vergleichsweise überschaubar erhöhte Brustkrebsrisiko abgewogen werden gegen die medizinischen Benefits, die eine Hormontherapie auch jenseits der Linderung von peri- und postmenopausalen Symptomen bringe, betonte Schaudig. So reduziere eine HRT die Zahl der Diabetesneudiagnosen um 30 bis 50 Prozent. Es gebe den evidenten Osteoporose-Schutz, und es gebe auch einen gewissen Schutz vor Darmkrebs. Den hatte damals, vor zwanzig Jahren, übrigens schon die WHI gezeigt: Sechs Erkrankungen weniger pro 10.000 Frauen pro ein Jahr, denen acht Brustkrebserkrankungen mehr pro 10.000 Frauen pro Jahr gegenüberstanden.
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