Ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma (SHT) wird häufig als relativ harmlos angesehen. Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass bei einem Teil der Kinder und Erwachsenen langfristig kognitive Beeinträchtigungen auftreten können. Ärzte sollten auf mögliche Langzeitfolgen achten.
Leichte Schädel-Hirn-Traumen (SHT) kommen relativ häufig vor: Etwa 15 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen und bis zu 37 Prozent der erwachsenen Männer sind irgendwann davon betroffen – Frauen etwas seltener. Über Kopfverletzungen bei prominenten Sportlern wird oft medienwirksam berichtet. Am häufigsten sind leichte SHTs jedoch nach Stürzen und Unfällen im Straßenverkehr. Bisher ist nicht eindeutig geklärt, ob ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma langfristige Auswirkungen auf kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis hat. Studien mit Erwachsenen haben uneinheitliche Ergebnisse erbracht, Langzeitstudien mit Kindern und Jugendlichen gibt es bisher nur wenige. Schädel-Hirn-Traumen werden mithilfe der Glasgow-Koma-Skala (GCS) in drei Schweregrade unterteilt. Typische Symptome eines leichten SHT – umgangssprachlich oft auch als Gehirnerschütterung bezeichnet – sind kurzzeitige Bewusstlosigkeit (meist kürzer als 15 Minuten), Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und vorübergehende Gedächtnisstörungen. Die überwiegende Zahl der Schädel-Hirn-Traumen – nämlich 90 Prozent – fällt in diese Kategorie. Neuere Studien aus den USA und der Schweiz weisen darauf hin, dass subtile Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionen, insbesondere bei komplexeren Aufmerksamkeitsaufgaben und im Arbeitsgedächtnis, auch noch ein bis zehn Jahre nach dem Unfall vorliegen können.
Auch eine aktuelle Längsschnittstudie mit 1.265 Kindern, die von Audrey McKinlay an der University of Melbourne in Australien durchgeführt wurde, legt Beeinträchtigungen nahe: Kinder, die im Alter bis fünf Jahre wegen eines leichten SHT im Krankenhaus behandelt wurden, zeigten noch bis zum Alter von 16 Jahren vermehrt Aufmerksamkeitsprobleme und Symptome, die einer Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ähneln. Ein internationales Forscherkomitee, die „International Collaboration on Mild Traumatic Brain Injury Prognosis“ (ICoMP), fand dagegen bei Auswertung der – wenigen – methodisch hochwertigen Studien eher geringe Hinweise auf anhaltende kognitive Beeinträchtigungen bei Kindern und Erwachsenen. „Es gibt jedoch Hinweise, dass die Erholung kognitiver Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Lernfähigkeit bei einem Teil der Erwachsenen bis zu einem Jahr dauern kann“, stellt die Forschergruppe um James Donovan von der University of Toronto (Kanada) fest. „Auch bei einem Teil der Kinder scheinen kognitive Beeinträchtigungen über längere Zeit anzuhalten – insbesondere bei denjenigen, die schon vor dem Trauma geringere kognitive Fähigkeiten hatten und bei denen in der Kernspintomographie Auffälligkeiten auftraten.“ Darüber hinaus kommt das Forscherkomitee zu dem Schluss, dass psychosoziale Faktoren – vor allem eine negative Interpretation der Gehirnerschütterung und negative Erwartungen hinsichtlich der Genesung – die Erholung stärker beeinträchtigen als medizinische Faktoren wie etwa die Dauer der Bewusstlosigkeit.
Gründe für die uneinheitliche Forschungslage sind uneinheitliche Definitionen für „leichtes Schädel-Hirn-Trauma“ (bzw. englisch: mild traumatic brain injury, mTBI) und unterschiedliche oder möglicherweise ungeeignete Maße zur Erfassung kognitiver Funktionen. „Um die Langzeitfolgen nach leichtem SHT besser beurteilen zu können, sind mehr hochwertige Langzeitstudien notwendig“, fordern die Forscher des ICoMP. „Bei Kindern und Jugendlichen muss zudem berücksichtigt werden, dass sich verschiedene geistige Fähigkeiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten entwickeln“, sagt McKinlay. „Das bedeutet, dass sich ein leichtes SHT je nach Alter sehr unterschiedlich auswirken kann – aber auch, dass oft nicht klar ist, ob sich eine Fähigkeit noch entwickelt oder tatsächlich ein Defizit besteht.“
Wichtig ist in jedem Fall, Menschen, die nach leichtem SHT längerfristig unter Beschwerden leiden, ernst zu nehmen und sie so gut wie möglich in ihrem Genesungsprozess zu unterstützen. „Dabei sollten in Zukunft auch psychische und psychosoziale Faktoren mehr beachtet werden“, betonen Donovan und sein Team. Für Ärzte und anderes medizinisches Fachpersonal gilt es zu berücksichtigen, dass auch ein leichtes SHT Langzeitfolgen haben könnte. „Bei Kindern sollte sichergestellt werden, dass sie auch über längere Zeiträume beobachtet werden – und wenn notwendig Unterstützung erhalten“, sagt McKinlay. „Das ist besonders in Übergangsphasen, zum Beispiel bei Schulbeginn oder beim Wechsel auf eine höhere Schule, von Bedeutung.“ Weiterhin sei es wichtig, dass Ärzte die Eltern besser über eventuelle Langzeitfolgen informieren – und darüber, wie sie bei anhaltenden kognitiven Schwierigkeiten reagieren können. Beispielsweise können sich Eltern an den Kinderarzt wenden und dafür sorgen, dass ihr Kind in der Schule gezielte Unterstützung erhält. Leitlinien für Gesundheitsexperten, Eltern und Schulen hält die Ontario Neurotrauma Foundation bereit. „Gleichzeitig sollte noch mehr darauf geachtet werden, dass Kopfverletzungen gar nicht erst auftreten – insbesondere im Sport und im Straßenverkehr“, sagt McKinlay. „Kinder und Jugendliche sollten in solchen Situationen einen geeigneten Kopfschutz tragen.“ Allerdings: Man könne junge Menschen auch nicht von allen Aktivitäten abhalten – Unfälle mit Kopfverletzungen ließen sich nie gänzlich vermeiden.