Immer öfter werden KI-Systeme in der Medizin eingesetzt. Richtig trainiert, kann KI Tumorzellen in Gewebeproben identifizieren und so helfen, die richtige Diagnose zu treffen. Unklar war, wie genau das funktioniert – bis jetzt.
Künstliche Intelligenz (KI) kann so trainiert werden, dass sie erkennt, ob ein Gewebebild Tumorzellen enthält. Wie sie ihre Entscheidung trifft, bleibt bislang jedoch verborgen. Ein Team des Forschungszentrums für Protein-Diagnostik, kurz PRODI, der Ruhr-Universität Bochum entwickelt einen neuen Ansatz: Mit ihm wird die Entscheidung einer KI erklärbar und somit vertrauenswürdig. Den Ansatz beschreiben die Forscher um Prof. Axel Mosig in der Zeitschrift Medical Image Analysis.
Die Gruppe entwickelte ein neuronales Netz, also eine Künstliche Intelligenz (KI), die einordnen kann, ob eine Probe Tumorgewebe enthält oder nicht. Dazu fütterten sie die KI mit vielen mikroskopischen Gewebebildern, von denen einige tumorhaltig, andere tumorfrei waren. „Neuronale Netze sind zunächst eine Black Box: Es ist unklar, welche Unterscheidungsmerkmale ein Netzwerk aus den Trainingsdaten lernt“, erläutert Axel Mosig. Im Vergleich zu menschlichen Experten fehlt ihnen die Fähigkeit, Entscheidungen zu erklären. „Gerade bei medizinischen Anwendungen ist es aber wichtig, dass die KI erklärbar und somit vertrauenswürdig ist“, ergänzt der an der Studie beteiligte Bioinformatiker David Schuhmacher.
Die erklärbare KI des Bochumer Teams basiert daher auf der einzigen Art von sinnvollen Aussagen, die die Wissenschaft kennt: auf falsifizierbaren Hypothesen. Ist eine Hypothese falsch, so muss das durch ein Experiment nachweisbar sein. Künstliche Intelligenz folgt normalerweise dem Prinzip des induktiven Schließens: Aus konkreten Beobachtungen, den Trainingsdaten, erstellt die KI ein allgemeines Modell, auf dem basierend sie alle weiteren Beobachtungen bewertet.
Aus dem mikroskopischen Bild einer Gewebeprobe (links) leitet das neuronale Netz eine Aktivierungskarte (rechts) ab. Credit: PRODI
Das Problem dahinter hat der Philosoph David Hume bereits vor 250 Jahren beschrieben – es lässt sich leicht veranschaulichen: Wenn man noch so viele weiße Schwäne beobachten würde, könnte man aus diesen Daten trotzdem niemals schließen, dass alle Schwäne weiß sind und dass es keine schwarzen Schwäne gibt. Die Wissenschaft bedient sich daher der sogenannten deduktiven Logik. Bei diesem Vorgehen ist eine allgemeine Hypothese der Ausgangspunkt. Zum Beispiel wird die Hypothese, dass alle Schwäne weiß sind, durch die Beobachtung eines schwarzen Schwans falsifiziert.
„Auf den ersten Blick erscheinen die induktiv arbeitende KI und die deduktive wissenschaftliche Methode fast unvereinbar“, sagt die ebenfalls an der Studie beteiligte Physikerin Stephanie Schörner. Aber die Forscher fanden einen Weg. Ihr neu entwickeltes neuronales Netz liefert nicht nur eine Klassifikation, ob eine Gewebeprobe tumorhaltig oder tumorfrei ist. Sie erzeugt zusätzlich eine Aktivierungskarte des mikroskopischen Gewebebildes.
Die Aktivierungskarte orientiert sich an einer falsifizierbaren Hypothese, nämlich dass die vom neuronalen Netz abgeleitete Aktivierung genau den Tumorregionen in der Probe entspricht. Mit ortsspezifischen molekularen Methoden kann diese Hypothese überprüft werden. „Dank der interdisziplinären Strukturen am PRODI haben wir beste Voraussetzungen, um den hypothesenbasierten Ansatz zukünftig in die Entwicklung vertrauenswürdiger Biomarker-KI einfließen zu lassen, beispielsweise um bestimmte Therapie-relevante Tumor-Subtypen unterscheiden zu können“, resümiert Axel Mosig.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: National Cancer Institute, unsplash