Virtuelle 3-D-Modelle von Organen sind bei minimalinvasiven Operationen von entscheidender Bedeutung. Eine echtzeitfähige Methode macht es möglich, die gesamten Formveränderungen eines Organs darzustellen. Tieferliegende Tumoren können so exakter lokalisiert werden.
Das Prinzip klingt einfach: Anhand computertomographischer Bilddaten erzeugen die Wissenschaftler vor der Operation ein virtuelles 3-D-Modell des betreffenden Organs samt Tumor. Während der Operation tasten Kameras die Oberfläche des Organs ab und erstellen eine starre Profilmaske. An diesen virtuellen Abdruck soll sich das 3-D-Modell dann anschmiegen – ähnlich wie Wackelpudding an eine Form. Die Nachwuchsgruppe von Dr. Stefanie Speidel hat sich diesem geometrischen Problem der Formanpassung nun von physikalischer Seite genähert: „Wir modellieren das Oberflächenprofil als elektrisch negativ und das Volumenmodell des Organs als elektrisch positiv geladen“, erklärt Speidel. „Da sich beide nun anziehen, gleitet das elastische Volumenmodell quasi von selbst in die unbewegliche Profilmaske hinein.“ An dem angepassten 3-D-Modell kann der Chirurg direkt erkennen, wie sich der Tumor mit der Verformung des Organs verschoben hat. Simulationen und Experimente mit einer wirklichkeitsnahen Phantomleber haben bereits gezeigt: Das elektrostatisch-elastische Verfahren der Nachwuchsgruppe funktioniert selbst dann, wenn das verformte Oberflächenprofil nur bruchstückhaft vorliegt. Im Klinikum ist das die Standardsituation, weil die Leber beim Menschen zwischen anderen Organen eingebettet und daher selbst mit endoskopischen Kameras bloß teilweise sichtbar ist. „Nur die Strukturen, die unser System eindeutig als Teile der Leber identifizieren kann, erhalten eine elektrische Ladung“, sagt Dr. Stefan Suwelack, der in der Gruppe von Speidel über das Thema promoviert hat. Problematisch werde es erst, wenn deutlich weniger als die Hälfte der verformten Oberfläche zu sehen sei. Um die Rechnung in solchen Fällen zu stabilisieren, können die KIT-Forscher eindeutige Referenzpunkte, wie sich kreuzende Gefäße, mit einbeziehen. Im Gegensatz zu anderen Verfahren sind sie aber nicht von vorneherein darauf angewiesen. Das unverformte Lebermodell (rot) passt sich an das verformte Oberflächenprofil (blau) an. © Grafik: Dr. Stefanie Speidel, KIT, in Medical Physics, 41
Zudem ist das Modell der KIT-Forscher genauer als bisherige Standardmethoden, weil es auch biomechanische Faktoren der Leber berücksichtigt: etwa wie elastisch das Gewebe ist. So setzt sich ihre Phantomleber beispielsweise aus zwei unterschiedlichen Silikonen zusammen: einem härteren für die Kapsel, also die äußere Hülle der Leber, und einem weichen für das innere Lebergewebe. Ihre physikalische Herangehensweise ermöglicht es den Nachwuchswissenschaftlern außerdem, den Rechenvorgang zu beschleunigen. Weil sie die Formanpassung über elektrostatische und elastische Energien beschrieben, konnten sie dafür eine einzige mathematische Formel finden. Damit arbeiten selbst gewöhnliche Computer, die nur über eine Recheneinheit verfügen, so schnell, dass die Methode konkurrenzfähig ist. Im Gegensatz zu bisher gängigen Berechnungsverfahren eignet sie sich aber auch für Parallelrechner. Mit einem solchen will die Nachwuchsgruppe Organverformungen als nächstes stabil in Echtzeit modellieren. Originalpublikation: Physics-based shape matching for intraoperative image guidance Stefan Suwelack, et al.:, Medical Physics, http://dx.doi.org/10.1118/1.4896021 , 2014