„Frauenquote ist eine Blamage für alle Frauen“, „Lauter uralte Männer! Die sind unsere Vertreter?!“ – eure Meinungen zum Thema Frauen in kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen waren stark. Wir haben bei den drei Frauen im Vorstandsvorsitz nachgefragt.
Unser Beitrag zum Thema Geschlechterparität in den ärztlichen Gremien der Selbstverwaltung hat einige Wellen geschlagen (hier nachzulesen). Grund genug, einmal bei den aktuell drei Frauen im Vorstandsvorsitz der deutschen kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nachzuhorchen, wie sie ihre persönliche Situation wahrnehmen. Spoiler: Im Vergleich zu den Statements der Expertinnen aus dem ersten Artikel überraschen einige der Antworten.
Einer der wichtigsten Punkte vorweg: Alle Vorstandsvorsitzenden präzisieren unsere Nachfrage, wie man sich als eine von drei Frauen im Vorstand einer KV bzw. KZV fühlt. „In Deutschland gibt es in den 17 KVen acht Frauen in den Vorständen: Thüringen, Sachsen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern (zwei Frauen), Hamburg, Schleswig-Holstein, Bayern“, schreibt Dr. Annette Rommel, Vorsitzende der KV Thüringen. Das betont auch Dr. Monika Schliffke, Vorsitzende der KV Schleswig-Holstein. „Dennoch sind es nur insgesamt 20 %“, räumt die Allgemeinmedizinerin ein. Auch Dr. Ute Maier, Vorsitzende der KZV Baden-Württemberg, bestätigt das. Sie fügt hinzu: „Es gibt insgesamt viel zu wenige Frauen in Spitzenpositionen bei den KZVen, obwohl es zahlreiche standespolitisch aktive und kompetente Frauen im Berufsstand gibt.“
Nachdem also geklärt ist, wie wichtig den Akteuren die Unterscheidung zwischen Vorstand und Vorstandsvorsitz ist – woran scheitert die dennoch nicht gegebene Parität? „Aus meiner Sicht häufig noch an bestehenden, männlich dominierten Seilschaften, die es jungen, motivierten Frauen oft sehr schwer machen, den Fuß in die Tür zu bekommen“, so Maier. Schliffke äußert sich zu diesem Punkt nicht, während Rommel Daten ergänzt: „Wenn man sich anschaut, wo heute schon Frauen in den Vorständen der KVen tätig sind, scheinen Ärztinnen in den ostdeutschen Bundesländern ein größeres Interesse an einem standespolitischen Engagement zu haben. Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig. Ich erwarte beispielsweise für die neue Legislatur auch Kandidatinnen aus Baden-Württemberg. In unserer neu gewählten Vertreterversammlung haben die Frauen im Übrigen die Mehrheit für die Legislatur vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2028.“ Sie betont, dass das Vorstandsamt ein Wahlamt ist; Eigeninitiative und aktives Bewerben sind also gefragt.
Wie steht es nun mit der Arbeit an sich, die von den Expertinnen aus Teil 1 dieser Reihe als wenig attraktiv – sowohl inhaltlich als auch vom Zeitaufwand her – beschrieben wird? Hier sind die drei K(Z)V-Frauen uneins. „Die ehrenamtliche Arbeit in der KV empfinde ich als hochinteressant und sinnstiftend. Wir haben eine ganze Reihe junger Kolleginnen, die sich standespolitisch engagieren. Einige davon haben bereits das Vertrauen ihrer Kolleginnen bekommen und sind in die Vertreterversammlung gewählt worden. Das ist eine sehr anspruchs- und verantwortungsvolle Tätigkeit und nicht im Geringsten langweilig: Hier werden Beschlüsse von grundlegender Bedeutung für die Ärzte- und Psychotherapeutenschaft getroffen, die die Arbeit der Kolleginnen in ihren Praxen unmittelbar beeinflussen“, fasst Rommel zusammen. Zeitlich gebe es selten Probleme, weil viel am Mittwochnachmittag stattfinde, an denen Praxen ohnehin meistens geschlossen sind. Ferienzeiten würden berücksichtigt, aber dennoch nehme die zusätzliche Arbeit natürlich auch zusätzliche Zeit in Anspruch.
Schliffke bestätigt die Wahrnehmung der Expertinnen dagegen, dass die Arbeit eintönig sei und viele Frauen vor dem zeitlichen Mehraufwand zusätzlich zur Mental Load, die sie oft in Partnerschaften tragen, zurückschrecken. „Das ist sehr deutlich wahrzunehmen und wird beständig signalisiert. Allerdings sind Frauen zu motivieren, wenn sie persönlich angesprochen werden, das Etikett von ‚zu viel Zeitaufwand‘ und ‚langweilig‘ relativiert wird und man sie direkt einlädt. Ich tue das z. B. im Vorfeld der Wahlen zur Vertreterversammlung und gehe auf einige wieder zu, wenn es an die Besetzungen der Gremien geht.“ Maier ordnet sich eher mittig ein: Die Arbeit muss nicht langweilig sein, ist aber zeitintensiv. Allerdings führt sie an: „Manche Kolleg*innen finden es sogar besser, wenn Sitzungen in die Abendstunden fallen, weil dann gerade auch der Partner oder die Partnerin die häusliche Care-Arbeit übernehmen kann. In Zukunft wird es jedoch immer mehr darauf ankommen, die individuelle Lebenswirklichkeit zu berücksichtigen und unterschiedliche Angebote zu unterbreiten, damit Familie und Beruf vereinbar sind.“
Bleibt noch die Frage nach dem unzugänglichen „Old Men’s Club“, wie Prof. Sylvia Thun von der Charité Berlin die Gremien bezeichnet. Was sagen die drei Vorstandsvorsitzenden dazu? „Scheinbar lebe ich in einer anderen Realität als Frau Prof. Thun, die offenbar mit dem ambulanten System weniger Berührung hat als mit dem Krankenhaussektor. Anders als Frau Prof. Thun halte ich die Wahlen zur Vertreterversammlung in den Ländern für absolut transparent. Es gibt eine klare Wahlordnung, ein geregeltes Wahlverfahren, amtliche Bekanntmachung der Wahlergebnisse. Alles nachvollziehbar“, so Rommel eindeutig. Auch an der unterschwelligen Wertung, die im Begriff mitschwingt, stört sie sich: „Ist das nicht auch eine Diskriminierung, wenn man Menschen wegen ihres Alters beurteilt. Zählt Erfahrung nichts mehr? ‚Old Men’s Club‘ finde ich echt abwertend und nicht zutreffend. Ich fühle mich als Frau in diesem System respektiert und geachtet. Meine Stimme zählt.“
Maier formuliert es etwas zurückhaltender: „Klar ist, dass gute Netzwerke bei Wahlen eine große Rolle spielen und oft Lange-im-Geschäft-sein, Sich-gut-kennen oder Wählst-Du- mich-dann-wähle-ich-dich schon als Qualifikation bewertet wird. Das können die jungen Leute und gerade auch die jungen Frauen logischerweise nicht mitbringen.“ Gestandene Frauen zwischen 35 und 40 würden jedoch das, was ihnen vielleicht an Kontakten fehlt, durch neue Sichtweisen und frische Ideen ausgleichen können. „Eine gute Mischung macht insofern gute Standespolitik aus. Aber offensichtlich haben viele, die sich an ihre Ämter klammern, gerade vor dieser Mischung Angst“, so Maier. Schliffke antwortet dagegen ebenfalls mit einem klaren Nein und ergänzt: „Hätten wir mehr Frauen in den Vorständen und den Vertreterversammlungen in den Ländern, würde sich die KBV-Vertreterversammlung automatisch verändern. ‚Patriarchalisch und hierarchisch‘ kann ich nach 10 Jahren nicht bestätigen – auch wenn es das gelegentlich gibt.“
Zu guter Letzt die unvermeidliche Debatte um eine Frauenquote. Was halten die 3 K(Z)V-Frauen hiervon? „Nicht sehr viel“, schreibt Schliffke. Ein Vorstandsamt zu übernehmen, bringe große Verantwortung und ein Reduzieren oder gar Ausscheiden aus dem eigentlichen Beruf für mindestens 6 Jahre mit sich. „Das ist ein sehr großer Schritt, den verständlicherweise viele scheuen.“ Es ist also keine Aufgabe für jederfrau, sozusagen. Maier hat dagegen – wie die Expertin aus dem ersten Text auch – ihre Meinung zur Frauenquote geändert: „Angesichts zu vieler Widerstände bei manchen arrivierten Standespolitikern bin ich mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass es ohne verbindliche Quote noch viel zu lange dauern wird. Insofern empfinde ich es als vertane Chance, dass sowohl die vorherige Bundesregierung als auch bis jetzt die derzeitige – trotz großer Ankündigung im Koalitionsvertrag – untätig blieben.“
Rommels Antwort überrascht kaum. „Aus meinen Erklärungen im Vorfeld ist zu erkennen, dass mehr dazu gehört, Vorständin einer KV zu sein, als durch eine Frauenquote zu dem Amt zu kommen. Es gehört dazu, zu überzeugen. Deshalb halte ich nichts von einer Frauenquote.“ Fazit: Drei Frauen, drei Meinungen – das gilt auch (oder erst recht?) im Vorstandsvorsitz.
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