Geräusche – einschließlich Musik und Lärm – können Schmerzen lindern. Eine Studie geht den bisher unbekannten neuronalen Mechanismen dahinter auf den Grund.
Dass Schallwellen Schmerzen wirksam unterdrücken können, ist seit langem bekannt. Es ist jedoch immer noch unklar, was die schmerzlindernde Wirkung von Musik oder Lärm auslöst. Zhou et al. wiesen mit einer Reihe von Methoden bei Mäusen nach, dass der auditorische Kortex funktionell mit Regionen verbunden ist, die an der Nozizeption, also dem Schmerzempfinden, beteiligt sind. Sie zeigten, dass die Schmerzempfindlichkeit von Mäusen durch Geräusche bestimmter Intensität verringert werden konnte.
Als Grundlage ihrer im Science Magazine veröffentlichten Studie bezieht sich die Forschungsgruppe auf bereits vor mehr als 60 Jahren durchgeführte Untersuchungen am Menschen: Demnach können Musik und andere Arten von Geräuschen akute und chronische Schmerzen lindern. Dabei wirkten die Klänge schmerzlindernd bei zahnärztlichen und medizinischen Eingriffen, bei Wehen und Entbindungen sowie bei Krebs. Wie das Gehirn diese Analgesie erzeugt, war jedoch bisher unklar.
Die neue Studie, die von Teams der University of Science and Technology of China und der Anhui Medical University durchgeführt wurde, untersuchte und manipulierte erstmalig die neuronalen Strukturen im Detail, welche in Verbindung mit musikalischer Schmerzlinderung stehen sollen.
Die Forschungsgruppe setzte zunächst verschiedene Modelle der Schmerzinduktion bei Mäusen ein: Durch Capsaicin-Injektionen sowie einer operativen Ligatur des Nervus tibialis und Nervus peroneus communis (Spared Nerve Injury) wurden neuropathischer Schmerz und eine Entzündung der Pfoten induziert. Die Wissenschaftler setzten nicht-infektiöse Viren, die mit fluoreszierenden Proteinen gekoppelt waren, durch die eröffnete Schädelkalotte in das Gehirn der Mäuse ein. So konnten sie drei Wochen später Gehirnareale durch Fluoreszenssignale, die von den AcxGlu- oder MGB-Glu-Neuronen der Hörrinde, sowie aus der Area preoptica (PO) und des ventralen Pallidum (VP) stammen, tracen. Dadurch zeigten sich bisher unerforschte Areale mittels Calcium als In-vivo-Single-Cell-Darstellung, also auf Zellebene. Im Klartext: Strukturen, von denen bisher nur durch Bildgebungen am Menschen vermutet wurde, dass sie eine besondere Rolle in der akustischen Analgesie spielen, konnten nun im Detail beobachtet werden.
Neben fotometrischen Untersuchungen spezifischer Calciumsignale wurde auch die Schmerzreaktion der Tiere bestimmt. Dazu mussten die Mäuse ihre Pfoten benutzen, um immer stärkere Filamente mit ausreichender Kraft zu verbiegen. Ab welchem Faden die Mäuse ihre Pfote zügig zurückzogen, zuckten oder leckten, wurde als Schwellenwert für die Schmerzreaktion festgelegt. Wenn keine positive Schmerzreaktion auftrat, wurde ein Faden mit größerer Kraft verwendet und die Messung wurde fünfmal wiederholt, um einen durchschnittlichen Schwellenwert zu erhalten. Die thermische nozizeptive Schwelle wurde mit dem Hargreaves-Test ermittelt. Nach der Gewöhnung wurde die Pfote mit Laserwärme bestrahlt, und die Latenzzeit des Pfötchenabzugs wurde gemessen.
Die Mäuse mit schmerzenden Pfötchen wurden drei Arten von Klängen ausgesetzt: ein angenehmes Stück klassischer Musik, eine „unangenehme“ Neuanordnung desselben Stücks und white noise. White noise beschreibt dabei ein eintöniges Rauschen, welches dem Gehirn dabei helfen soll, Störgeräusche zu ignorieren und Umgebungslärm zu unterdrücken.
Überraschenderweise stellten die Wissenschaftler fest, dass alle drei Arten von Geräuschen, wenn sie mit einem niedrigen Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) abgespielt wurden (etwa so laut wie ein Flüstern; 5 Dezibel) die Schmerzempfindlichkeit der Mäuse verringerten. Es war den Mäusen quasi egal, ob die Geräusche melodisch oder schön komponiert waren. Allein die Intensität der drei Klänge schien wichtig. Diese sorgte nämlich dafür, dass die Mäuse ihre Pfote erst bei stärkerer Beanspruchung zurückzogen, im Vergleich zu Mäusen ohne musikalische Begleitung. Dabei hatten lautere Schallwellen keine Auswirkungen auf die Schmerzreaktionen der Tiere. Die Forscher vermuten, dass die Linderung der Schmerzen nicht auf Stressreduktion oder Ablenkung zurückzuführen ist, da die schmerzlindernde Wirkung mindestens zwei Tage nach dem Entzug der Geräusche anhielt.
Das Viral Tracing und das mikroendoskopische Calcium-Imaging zeigten, dass Geräusche mit niedriger SNR-Intensität glutamaterge Eingänge vom auditorischen Kortex (AcxGlu) zu den hinteren (PO) und ventralen Thalamuskernen (VP) hemmten. Die Geräusche bewirkten also Schmerzlinderung, indem sie die Verbindung der Hörrinde zum Thalamus hemmten. Um diese Wirkung genauer zu untersuchen, manipulierten die Forscher diesen Schaltkreis durch chemische und optische Methoden. Die künstliche Aktivierung des Schaltkreises hob die schallinduzierte Analgesie auf.
Es ist unklar, ob beim Menschen ähnliche Gehirnprozesse ablaufen oder ob andere Aspekte des Klangs, wie Harmonie oder Melodie, für die Schmerzlinderung beim Menschen wichtig sein könnten. Die berichteten Ergebnisse könnten den Wissenschaftlern als Ausgangspunkt für Studien dienen, um festzustellen, ob die Erkenntnisse aus dem Tierreich auf den Menschen übertragbar sind, und könnten letztlich zur Entwicklung von ergänzenden Methoden der Schmerzbehandlung beitragen.
Es ist jedoch Vorsicht geboten, da die Wechselwirkung zwischen Schall und Schmerz ein zweischneidiges Schwert ist. Bestimmte Geräusche können sogar Schmerzen auslösen oder verstärken, wie z.B. die Phonophobie, die bei Migräne häufig auftritt.
Bidlquelle: Vlah Dumitru, unsplash