Den Abschied vom Leben kann ein intensives Gespräch zwischen Arzt, Patient und Angehörigen erleichtern. Doch nur selten, so zeigt eine Untersuchung, nehmen sich Ärzte dafür genügend Zeit. Die Folge: Unzufriedenheit auf beiden Seiten.
„Nur das nicht!“, wünschen sich die meisten Menschen, wenn es um ihr Lebensende geht – und doch geschieht es nur allzu oft: Das Sterben in einem Klinikbett, umgeben von Schläuchen und piependen Geräten und schlimmstenfalls sogar ohne fürsorgliche Begleitung. Für viele ist der Tod auf der Intensivstation ein Alptraum, wenn die „lebenserhaltenden Systeme“ nicht mehr in der Lage sind, den Patienten noch einige Zeit länger leben zu lassen. Fast jeder Zweite stirbt im Krankenhaus. Auf einer durchschnittlichen Intensivstation mit 10 bis 15 Betten ereignen sich damit ein bis zwei Sterbefälle pro Woche. Man sollte meinen, dass die Menschen, die dort arbeiten, ein geübtes Einfühlungsvermögen haben, um Sterbende und deren Angehörige in den letzten Stunden, aber auch schon davor zu begleiten. Dass dies nur selten der Fall ist, zeigt eine Studie aus Kanada. Was sich Patient und sein Anhang in Gesprächen mit dem Arzt wünschen, unterscheidet sich ganz deutlich von dem, was sie dann in Wirklichkeit kurz vor dem Ableben bekommen.
Die Autoren um John You und Daren Heyland von der McMaster University in Hamilton und der Queen's University in Kingston wollten ursprünglich wissen, wie wichtig eine von Medizin-Experten entworfene Leitlinie ist, die elf Punkte für ein Gespräch am Lebensende zwischen Patient, Angehörigen und Arzt umfasst. Die 233 Patienten in der Studie im Alter von durchschnittlich 81 Jahren kamen mit einer Lebenserwartung von weniger als sechs Monaten in die Klinik. Die Wissenschaftler befragten ebenso 205 Familien, die Hälfte davon war mit den teilnehmenden Patienten verwandt. Von den elf Punkten kristallisierten sich fünf Punkte heraus, die sowohl Patient als auch den Begleitern aus der Familien als besonders wichtig erscheinen, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Reihenfolge.
Für die Angehörigen waren insbesondere Informationen über die weitere Prognose und die Frage nach Bedenken und Ängsten besonders wichtig. Genau dieses Thema wurde jedoch nur bei jedem zehnten Gespräch zwischen Arzt und Patient und nur bei jedem sechsten Gespräch mit den Angehörigen angesprochen.
Auch die übrigen Punkte kamen trotz der Leitlinie zu kurz: In der Regel kamen nur 1,4 der 11 Punkte bei einem solchen „Lebensend-Gespräch“ vor. Nicht überraschend bei einem solchen Verlauf war die unterschiedliche Einstellung zur Behandlung des Arztes auf der einen Seite und von Patient und Angehörigen auf der anderen. Ging es um die lebenserhaltenden Maßnahmen und die weitere Versorgung, waren sich Angehörige und Arzt lediglich in 35 Prozent der Fälle einig, Patient und Arzt sogar nur in 30 Prozent. Dabei gab die Studie aber auch Hinweise, dass die Fürsorge mit Worten besser funktionieren könnte. Denn je mehr Punkte aus der Leitlinie bei einem solchen Gespräch zur Sprache kamen, desto zufriedener waren die Beteiligten mit der Versorgung in der Klinik.
Nach Experteneinschätzungen sind die USA und Großbritannien noch am weitesten in der Organisation ihrer Palliativpflege. Dass es in Deutschland wohl nicht ganz anders aussieht als im kanadischen Ontario oder British Columbia, zeigt eine Befragung von bayrischen Ärzten zu medizinethischen Fragen, insbesondere am Lebensende ihrer Patienten. Das Ärzteblatt veröffentlichte die Studie vor rund zwei Jahren. Dementsprechend fühlte sich ein großer Teil der Mediziner unsicher, wenn es um Fragen der Ethik in der letzten Phase des Lebens geht. In einer anderen aktuellen Arbeit von Wolfgang George von der Gießener TransMit GmbH sagten mehr als ein Drittel der von ihm und seinen Kollegen befragten rund 1.400 Ärzte und Pfleger in Krankenhäusern in ganz Deutschland, sie seien durch ihre Ausbildung nur mangelhaft auf den Kontakt mit Sterbenden vorbereitet. Gespräche mit den Sterbenden fänden, so rund die Hälfte der Auskunftgeber, nur gelegentlich oder auch nie statt.
Nur durch ein ausführliches und intensives Gespräch lassen sich unterschiedliche Vorstellungen von Patient und Arzt auflösen, wie es mit der Behandlung weitergehen soll. Ein solcher Austausch darf aber nicht erst dann stattfinden, wenn es fast schon zu spät ist, sondern möglichst frühzeitig, wenn sich beide Seiten darauf vorbereiten können. Nancy Keating von der Harvard University belegte 2010 in ihrer Studie mit über 4.000 Ärzten, dass diese zwar bereit waren, frühzeitig mit ihren Patienten über deren Prognose zu sprechen, nicht jedoch über Pflege, lebenserhaltende Maßnahmen oder weiteres Vorgehen. Die Mehrheit der Mediziner würde damit warten, bis sich der Zustand deutlich verschlechterte und die Krankheit in ein letztes Stadium trete. Womöglich, so spekulieren etliche Fachleute, versuchen sie damit einem Gewissenskonflikt zu entgehen. Anstatt mit dem Patient über möglicherweise unterschiedliche Ziele bei der Behandlung zu reden, biete eine Entscheidung „in letzter Stunde“ weniger Alternativen und damit weniger Konfliktstoff. Dabei, so zeigen Untersuchungen, bringe ein Gespräch schon in der Anfangsphase der Behandlung Vorteile und Vertrauen für beide Seiten.
Noch im 19. Jahrhundert, so berichtete der Hamburger Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer vor einigen Wochen auf einer Tagung „Sterben im Krankenhaus und stationären Pflegeeinrichtungen“, hatte der Medicus das Zimmer des Sterbenden zu verlassen, wenn die Zeichen des Todes sichtbar wurden und seinen Platz dem Priester zu überlassen. „Seitdem der Tod aber nicht mehr „kommt“, sondern seine medizinisch zu diagnostizierende Ursache im Körper des Sterbenden hat,“ so Gronemeyer weiter, „bekommt die Medizin ein Primat am Bett des Sterbenden. Heute ist ein Sterben ohne medizinische Expertise fast undenkbar geworden.“ Jeder Patient, ob er nun kurz vor seinem Tod steht oder noch eine ganze Zeit weiterleben wird, hat ein Recht auf Informationen, die ihm nur sein Arzt vermitteln kann. Dazu gehört auch Einfühlungsvermögen – eine Fähigkeit, die sich einüben lässt. Die Zeit, die sich früher der Seelsorger dafür genommen hat, sollte für den Arzt selbst im hektischen Klinikbetrieb übrig bleiben.