Haushalte erhalten Entlastungspakete, aber wer denkt bei der Energiekrise an medizinische Einrichtungen? Bisher niemand. Und das ist ein großes Problem, wie ein Blick hinter die Kulissen zeigt.
Beim Heizen setzt Deutschland bekanntlich auf einen Energiemix. Gas, Öl, Kohle, Strom bzw. Wärmepumpen und andere Erneuerbare ergänzen sich. Nicht so im Gesundheitswesen. Dort ist die Abhängigkeit vom Gas enorm, wie ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auf Nachfrage von DocCheck betonte: „92 Prozent der Häuser betreiben ihre Heizungen mit Gas.“ Entsprechend teuer könnte es für die Krankenhäuser in den nächsten Monaten werden.
Wie sich der Gaspreis genau entwickelt, weiß kein Mensch, aber realistische Schätzungen gibt es mittlerweile: „Wir rechnen mit Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro bundesweit allein für Erdgas“, so die DKG. Was diese abstrakte Zahl konkret bedeutet, zeigt die Einzelfallrechnung: In größeren Kliniken könnten der DKG zufolge allein die Heizkosten durch die Zunahme des Gaspreises um eine Million Euro und mehr steigen.
Wie sieht das vor Ort, quasi an der Basis aus? In Köln äußerte sich die Universitätsklinik gegenüber DocCheck nicht zu ihren Kosten, wohl dagegen die Stiftung der Cellitinnen zur heiligen Maria, die das Heilig Geist-Krankenhaus in Longerich, das St. Franziskus-Hospital in Ehrenfeld, das St. Marien-Hospital in der Innenstadt und das St. Vinzenz-Hospital in Nippes betreibt: „Nach derzeitigem Stand rechnen wir für 2022 mit Kostensteigerungen bei den Preisen für Erdgas, die Gasumlage eingerechnet, um jahresdurchschnittlich 300 Prozent“, so eine Sprecherin der Cellitinnen. Der große Sprung steht unmittelbar bevor: „Der ab Oktober gültige, neu abgeschlossene Gasvertrag der Verbundkrankenhäuser enthält eine Steigerung um das 4,8-Fache des Ursprungspreises.“
Die deutschen Krankenhäuser sind aus mehreren Gründen von der Energiekrise besonders betroffen. Zum einen sind sie schon seit Jahren unterfinanziert und schieben insbesondere Investitionskosten in Milliardenhöhe vor sich her. Zwar hatte sich die Finanzlage der Krankenhäuser in den letzten Jahren durch Ausgleichszahlungen und Förderprogramme im Kontext der Corona-Krise etwas verbessert. So befanden sich 2020 gemäß im Juni vorgestelltem Krankenhaus-Rating-Report nur noch 7 % der Häuser im roten Bereich erhöhter Insolvenzgefahr – nach 34 % im Jahr 2019. Doch die Zeiten der Ausgleichszahlungen sind vorbei.
An der Investitionsmisere hat sich durch die Corona-Pandemie und dem ihr zu verdankenden Krankenhauszukunftsgesetz nichts grundsätzlich geändert: „Wir müssen jedes Jahr einen Investitionsstau von mehr als drei Milliarden Euro konstatieren. Von den 6,2 Milliarden Euro notwendigen Investitionskosten im Jahr 2020 haben die Länder weniger als die Hälfte finanziert“, so die DKG zu DocCheck. Das Ergebnis sind Querfinanzierungen von Investitionen aus den laufenden (DRG-)Einnahmen – die eigentlich zu 100 Prozent in die Patientenversorgung fließen sollten.
Neben dieser ohnehin prekären Ausgangslage, die sich, alles kein Geheimnis, in einer auf Kante genähten Personalsituation sowohl im Pflegebereich als auch im ärztlichen Dienst widerspiegelt, haben Krankenhäuser in Zeiten steigender Energiepreise noch ein sozusagen strukturelles Problem: Anders als in der freien Wirtschaft können medizinische Einrichtungen die Mehrkosten beim Gas nicht einfach an die Kunden durchreichen: „Die Kliniken stehen vor sehr großen wirtschaftlichen Problemen. Daher muss die Politik schnell handeln“, so die DKG. „Kurzfristig benötigen wir dringend einen Inflationsausgleich, um die Mehrkosten schultern zu können. Ansonsten droht sogar Personalabbau als Ultima Ratio, um wirtschaftlich bedingten Klinikschließungen zuvorzukommen.“
Bei den Cellitinnen sieht man das ähnlich. Tatsache ist, Krankenhäuser sind Energiegroßverbraucher: Der Energiebedarf im Durchschnitt pro Krankenhausbett ist höher als der eines Einfamilienhauses. Neben der Heizung und dem Betrieb radiologischer Großgeräte schlägt nicht zuletzt auch die Intensivmedizin mit einem sehr hohen Energiebedarf zu Buche.
Die Kölner (und viele andere) haben den Eindruck, dass die Brisanz dieser Situation im politischen Berlin noch nicht so ganz erkannt wurde: „Es kommen in den nächsten Monaten zusätzliche Kosten in Millionenhöhe auf jedes Krankenhaus bundesweit zu, die nicht gegenfinanziert sind und die über kurz oder lang quasi jeden Krankenhausbetrieb in die Knie zwingen müssen. Von den politischen Entscheidungsträgern des Bundes ist bislang keinerlei Initiative ergriffen worden, diese vorhersehbare Krise abzuwenden. Die Verwunderung und das Entsetzen darüber sind groß“, so die Cellitinnen-Sprecherin zu DocCheck.
Dass die Krankenhäuser versuchen, zu sparen, versteht sich von selbst. In Köln optimiert die Stiftung in ihren Häusern, wo möglich, die Gebäudeleittechnik. Es werden Heizungsanlagen erneuert, die Umrüstung auf LED-Technik vorangetrieben und auch Investitionen in Photovoltaik auf den Dächern geprüft bzw. teilweise schon umgesetzt. All das und mehr – vom Stoßlüften über das Herunterfahren von Computern bis hin zum Lichtabschalten in Lagerräumen – wird aber nicht ansatzweise reichen, weil es bei den großen Energiefressern, sprich Radiologie und Intensivmedizin, praktisch keine Spielräume zum Energiesparen gibt.
Dass sich der Krankenhaussektor (und mit ihm der Medizintechniksektor) mittel- und längerfristig in Richtung Klimaneutralität oder jedenfalls Ressourcenschonung weiterentwickeln muss, ist in der Branche völlig unstrittig. Tatsächlich gibt es gerade bei den radiologischen Großgeräten aktuell einige neue Plattformen und Technologien, die den Ressourcenbedarf teils deutlich senken. Das löst allerdings nicht die kurzfristigen Finanzprobleme.
Und weil Klimaneutralität nicht zuletzt ein Investitionsthema ist, herrscht vielerorts auch beim Blick nach vorn etwas Fatalismus: Warum sollten die Bundesländer jetzt plötzlich investieren, wenn sie teils seit Jahrzehnten ihren gesetzlich niedergelegten Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen – was gerade auch klimagerechte Sanierungen und den Einbau neuer Heizungsanlagen behindert hat? Die DKG jedenfalls wünscht sich jetzt kraftvolles Gegensteuern – und zwar vom Bund: „Wir fordern die Bundesregierung auf, aus dem Sondervermögen zur Klimaneutralität in Deutschland ein Green-Hospital-Investitionsprogramm aufzulegen. Aus eigener Kraft schaffen die Krankenhäuser dies nicht, schon gar nicht unter den derzeitigen Bedingungen der Inflation.“
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